20.04.2022Interview

„Es war Glück, dass mein Vater noch lange mit dabei war.“

Den Eintritt in die alleinige Verantwortung für ihr Unternehmen erlebte Aline Henke (Mitte) als besonders wandlungsintensive Phase.

Unternehmen sind immer wieder mit verschiedenen Prozessen des Wandels konfrontiert. Aline Henke ist DMB-Mitglied und führt die hankensbütteler kunststoffverarbeitung (hk) GmbH in zweiter Generation. Welche Veränderungen sie derzeit für ihr Unternehmen wahrnimmt, welche Herausforderungen mit der Übernahme der Geschäftsleitung einhergingen und welche Eigenschaften sie an der jungen Generation besonders schätzt, verrät die Unternehmerin in diesem Interview.

Frau Henke, bitte stellen Sie uns Ihr Unternehmen kurz vor.

Die hankensbütteler Kunststoffverarbeitung wurde 1973 durch meinen Vater gegründet und hat derzeit 80 Beschäftigte. Ich führe das Unternehmen nun in der zweiten Generation.

Durch die geographische Nähe zu Wolfsburg kam auch die Nähe zur Automotive-Branche zustande. Mein Vater hatte durch sein vorheriges Beschäftigungsverhältnis entsprechende Geschäftskontakte und ist mit seinem Wissen über die Verarbeitung von Kunststoff in die Automobilschiene gegangen. Wir sind auf Automotive spezialisiert. Auf der einen Seite könnte man sagen, wir sind von der Automotive abhängig. Aber dies ist eine gegenseitige Abhängigkeit. Wenn wir von hier aus in die Medizintechnik wechseln wollten, müssten wir einen enormen Know-How-Shift vollziehen. Das würden wir wahrscheinlich schaffen, aber eigentlich fehlt uns der Hintergrund, um das adhoc zu bearbeiten.

Wir sind ein kleines Unternehmen mit flachen Hierarchien. Das schätzen die Kunden insbesondere dann, wenn sie kurz vor dem Start einer Produktserie feststellen, dass ihnen noch ein bestimmtes Teil fehlt. Da helfen wir gerne und da ist es ein Vorteil, dass wir so klein sind und keinen großen Regelprozess haben, um die erforderlichen Werkzeuge zu bekommen, die wir für die Herstellung der Teile benötigen.

Wir sind der Meinung: Wer Fachkräfte benötigt, muss sie auch selbst ausbilden. Unsere Ausbildungsquote liegt bei 13 Prozent. Wir waren schon immer sehr ausbildungsaktiv, deswegen ist das für uns nichts neues. Zum Zeitpunkt der Gründung gab es hier nicht das geeignete Fachpersonal. Zwar gab es Fachkräfte mit technischem Hintergrund, zum Beispiel Landmaschinentechniker, aber die Kunststoffverarbeitung steckte damals noch weitestgehend in den Kinderschuhen. Daher war das Ausbilden von auf unsere Arbeit spezialisierten Fachkräften für uns immer ein Thema.

In der Automobilbranche ist gerade eine Menge im Wandel, insbesondere hinsichtlich der Antriebstechnik. Wie erleben Sie diesen Wandel?

Unsere Arbeit mit der Automobilbranche ist unabhängig von der Frage des Antriebs. Wir produzieren Fixierungs- und Lagerungselemente oder auch Teile, die eine Schraube verdecken sollen. Daher hat das für uns eine völlig andere Relevanz als für Unternehmen, die Getriebe herstellen. Wir sind in einem kleinen Bereich aktiv, bei dem wir dicht am Kunden bleiben müssen, um ihm weiterhin Lösungen anbieten zu können. Es kann passieren, dass wir bei Kunden ein Glied in der Lieferkette nach hinten rutschen, weil der Automobilhersteller ein bestimmtes Teil jetzt nicht mehr direkt kauft, sondern sein Zulieferer. Das bedeutet aber nicht, dass wir auf einmal Programmierer benötigen, die zum Beispiel aus einem analogen Tacho einen digitalen Tacho machen, um weiter am Markt zu bleiben. Deshalb ist dieser Wandel hin zur E-Mobilität nicht so relevant für uns wie für andere Zulieferer und ich bin froh, dass unser Geschäft nicht von dieser Kernfrage abhängt.

In welchen weiteren Bereichen drückt sich der Wandel in Ihrem Unternehmen aus?

Es werden zunehmend Spannungsfelder von unterschiedlich schnellen Entwicklungen sichtbar. Nehmen wir zum Beispiel das Thema Verwaltung. Wenn ein Unternehmen Statistiken melden soll, dann gibt es auf behördlicher Seite Serverzusammenbrüche und andere Schwierigkeiten. Da zeigt sich dann, dass in der Vergangenheit zu wenig in die Infrastruktur investiert wurde. Das gleiche trifft auf den Ausbildungsbereich zu. Ich glaube, dass in den Schulen beim Umgang mit digitalen Medien viel mehr möglich ist. Wie schaffen wir es, dass nicht nur Anwender ausgebildet werden, sondern auch der dahinterliegende Sinn und die Anforderungen dahinter mit in den Fokus rücken? Da sehe ich großen Nachholbedarf, weil wir sonst das Rennen verlieren. Bei IT und Digitalisierung müssen wir viel schneller werden. Dass uns das noch bremst, haben wir in den letzten zwei Jahren der Pandemie gesehen. Bei uns in der Gegend sind Homeoffice und Homeschooling nicht möglich. Wenn hier im Landkreis Gifhorn jemand im Homeoffice arbeitet und es kommt im gleichen Haushalt eine weitere Person hinzu, dann hat diese garantiert keinen Anschluss mehr. Das soll sich seit zwei Jahren mit Glasfaser ändern, aber die Mühlen mahlen langsam.

Auch hinsichtlich der Kommunikation hat sich bei uns etwas deutlich verändert. Unsere „Frührunde“ fand früher in Präsenz statt und während der Pandemie haben wir das in einen Videochat verlagert. Es stellte sich heraus, dass sich dies für uns viel besser eignet. Denn dann schreiben wir uns nicht erst auf, welche Probleme es gibt, um anschließend an unserem Arbeitsplatz nach Lösungen zu suchen. Jetzt sitzt jeder an seinem Arbeitsplatz und kann das direkt nachschauen. Dieses Beispiel zeigt, dass man bei der Organisation schneller werden kann, wenn es notwendig ist. Ich bin mir sicher, dass die Nutzung dieses Mediums durch die Pandemie deutlich schneller in den Alltag integriert worden ist. Das ist für uns ein großer Wandel.

Was erwarten junge Menschen und Fachkräfte heute von einem attraktiven Unternehmen?

Für die derzeitige Generation von Auszubildenden ist Klimaschutz ein wichtiges Thema. Zunächst besteht natürlich ein gewisser Konflikt zwischen Kunststoffverarbeitung und Klimaschutz. Interessant fand ich, dass der Klimaaspekt bei unseren Azubis aber in den wenigsten Fällen entscheidungsrelevant für den Ausbildungsberuf war. Viel mehr ging es darum, was wir machen und was sie bei uns lernen können. Wir konnten damit punkten, dass die gewerblichen, aber auch die kaufmännischen Auszubildenden während der Ausbildung verschiedene Bereiche des Unternehmens kennenlernen. Außerdem ermöglichen wir parallel zur Ausbildung noch zusätzliche Qualifikationen, zum Beispiel einen Schweißschein. Wissensvermittlung und Aneignung von Wissen ist ein ganz großes Thema bei jungen Menschen. Der Wille, gut bei dem zu sein, was man macht, ist bei ihnen sehr ausgeprägt. Auf der anderen Seite muss man am Anfang genau umreißen, was man von ihnen erwartet. Die junge Generation möchte Feedback und hat eine offene Haltung. Das gefällt mir gut und spielt uns auch in die Karten, wenn es um Veränderung geht. Allerdings hat sich auch heute der Wunsch nicht verändert, hinterher ein Zertifikat in der Hand zu haben. Qualifizierung sichtbar zu machen, hat sich für uns im Personalmanagement und bei der Weiterbildung deshalb als wichtiger Punkt herauskristallisiert.

Hankensbüttel ist ländlich und für viele junge Leute daher nicht so attraktiv. Wenn jemand mit Mitte 20 raus und etwas anderes sehen möchte, kann ich das verstehen. Schließlich war es bei mir genauso. Dennoch gibt es einige, die nach ihrer Ausbildung bei uns geblieben sind. Zu einigen, die weggehen, versuchen wir den Kontakt zu halten und sie dann wiederzugewinnen, wenn sie in eine andere Lebensphase eintreten und vielleicht wieder zurück nach Hankensbüttel kommen.

Wie gestalten Sie Ihren persönlichen Weiterbildungsprozess?

Für Weiterbildung nehme ich mir bewusst ein bis zwei Mal im Jahr Zeit. Einmal mache ich das sicher und ein zweites Mal gerne, wenn es passt. Dazu arbeite ich sehr gut mit einer Unternehmensberatung zusammen. Sie hilft mir, immer dort anzusetzen, wo es noch hakt. Dies galt früher zum Beispiel für unsere vorausschauende Planung. Uns war zwar bewusst, dass die Bank dies benötigt, aber wir waren uns nicht sicher, wie man so etwas für Banker verständlich gestaltet. Daraus Routinen abzuleiten, das habe ich trotz meines BWL-Studiums erst mit unseren Unternehmensberatern gelernt. Insgesamt erweitert das meinen persönlichen Horizont unheimlich.

Mit anderen Kollegen bin ich auch durch Verbandsarbeit im Austausch. Der persönliche Austausch darf auch jetzt während der Pandemie nicht auf der Strecke bleiben.

Welche Phasen haben Sie in Ihrem eigenen Leben als besonders wandlungsintensiv und dynamisch wahrgenommen?

Der Eintritt in die alleinige Verantwortung in unserem Unternehmen war für mich eine solche Phase. Ich hatte das Glück, dass mein Vater noch sehr lange mit mir im Unternehmen gewesen ist. Wir haben uns aneinander gerieben und unsere Persönlichkeiten aneinander gestählt, formuliere ich es mal vorsichtig. Diese Übergangszeit ist nicht zu unterschätzen. Da ist es gut, wenn man externe Hilfe erhält. Mein Vater und ich hatten völlig unterschiedliche Rollen. Er hat sich in den 70er Jahren selbstständig gemacht und ist mit dem Kopf durch die Wand gegangen, womit er einen riesigen Erfolg hatte. Gleichzeitig war sein gesamtes Team aber auch immer wieder damit beschäftigt, die dabei entstandenen „Schäden“ hinter ihm zu beseitigen. Meine Rolle war (und ist) eine andere. Ich bin dafür verantwortlich, dass es das Unternehmen auch morgen noch gibt. Dies ist eine völlig andere Herangehensweise und bringt auch automatisch einen Wandel für die Unternehmenskultur mit sich. Manche Mitarbeiter waren über 40 Jahre im Unternehmen und fanden es gut, wie mein Vater agierte. Deswegen sind sie ja so lange geblieben. Wenn man dann sagt, ich möchte euch an Entscheidungen beteiligen, ist das schon ein schwerer Weg, den man ganz aktiv angehen muss.

Wenn wir über Wandel sprechen, ist im Arbeitsalltag auch die Digitalisierung ein Punkt. Wir haben uns in der Nutzung von CAD-Modellen und in der Messtechnik verändert. Dort brauchen wir bei unseren Mitarbeitern unheimlich viel Wissen und auch Vorstellungsvermögen. Da ist eine Menge im Wandel. Daher müssen wir uns in diesem Bereich weiterentwickeln und das Niveau erhöhen, damit unsere Mitarbeiter in der Lage sind, mit Spezialisten bei unseren Kunden und Partnern zu sprechen. Wir müssen ihnen deshalb Freiräume bieten, um dies erlernen zu können.

Auch die Corona-Pandemie hat uns stark zugesetzt. Es gab alle paar Wochen eine neue Betriebsanweisung zum Umgang mit der Pandemie und wir mussten uns permanent mit etwas beschäftigen, das nichts mit unserer Kernkompetenz zu tun hat. Diese ständige Umsetzung von neuen Regelungen, war schon ein großer Druck. Es ging darum, die Notwendigkeit des Tragens einer Maske auch wirklich durchzusetzen und Rückverfolgbarkeit von Kontakten herzustellen. Diese Dinge haben jeden persönlich betroffen und wir mussten in der ganzen Firma erklären, wie wir uns jetzt aufstellen. Dies geschah in einer Taktzahl, bei der wir in einem Schichtbetrieb, wenn wir die letzten Mitarbeiter über eine Regel aufgeklärt haben, bei den ersten schon wieder mit der Aktualisierung anfangen mussten. Irgendwann haben wir uns aber dazu entschlossen, uns nicht aufzuregen, sondern einfach zu machen.

Ist es für Sie eher Fluch oder Segen, dass Sie bereits zu Beginn der Transformation im Automotive-Bereich hohen Anforderungen genügen müssen?

Das hängt zunächst davon ab, in welchem Bereich man tätig und wofür man Zulieferer ist. Wir sind hauptsächlich bei so genannten Volumen-Produkten involviert. Der Kunde weiß dabei bereits, was er haben möchte. 97 Prozent unserer Aufträge sind entwicklungsfrei. Vorne bei der Entwicklung sind wir zwar nicht beteiligt, aber uns treffen alle Vorgaben der Automotive. Und das ist schon ein recht hohes Niveau.

Wenn wir den Aspekt der Nachhaltigkeit in den Blick nehmen, sind wir natürlich dicht dran an dem, was unser Kunde haben möchte. Wir fragen ihn danach und versuchen eben gemeinsam diese Auskunftstiefe, die wir irgendwann haben werden müssen, miteinander zu fixieren. Im ersten Moment kommt man da schon in einen Schreckmoment und fragt sich, wie man das realisieren soll. Aber wenn man sich intensiv mit den Vorgaben beschäftigt, kann man da auch Vorteile rausziehen. Denn wenn man es verstanden hat, richtet man sich danach und ist beim nächsten Mal schneller. Es ist daher Fluch und Segen.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Henke!

Dieses Interview hat der DMB anlässlich des Leitartikels in der aktuellen Ausgabe des Magazins INTAKT geführt. Ein Interview mit dem weiteren Protagonisten des Leitartikels, Andreas Hensing, finden Sie hier.

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