28.05.2020Fachbeitrag

Digital Dank Corona: So konkret treibt die Krise den digitalen Wandel des Mittelstands an

 

Laut einer Studie der Online-Plattform “99designs” in Kooperation mit dem Forschungsunternehmen Corus haben weltweit rund 56 Prozent der befragten UnternehmerInnen angegeben, ihr Geschäftsmodell aufgrund der Corona-Krise umgestellt zu haben. Doch das ist keineswegs ein rein globales Phänomen. Auch in Deutschland beeinflusst die Krise den digitalen Wandel. Das betrifft auch die kleinen und mittelständischen Unternehmen.

 

Ein gutes Beispiel dafür ist die Tischlerei Eigenstetter aus Rehna in Mecklenburg-Vorpommern. Das Handwerksunternehmen gilt als hochmoderner Betrieb, der in der Lage ist, nahezu selbstverständlich und effektiv digitale Lösungen in die eigenen Betriebsprozesse einzubinden. Die neueste Errungenschaft seit Corona – ein Roboter namens Horst. Das steht für “Highly Optimized Robotic Systems Technology”. Der Einsatz des Roboters ist Teil einer Aus- und Weiterbildungsinitiative, die der Handwerksbetrieb ganz bewusst in der Corona-Krise gestartet hat, um der kurzfristigen Unterbeschäftigung der MitarbeiterInnen entgegenzuwirken. Horst stehe im Trend der “neuen, kleinen, relativ günstigen Leichtbauroboter, die verhältnismäßig leicht zu teachen (Anm. der Red.: anzulernen) sind”, sagt Entwicklungsingenieur Martin Eigenstetter. Zukünftig sollen sie auch im Handwerk vermehrt eingesetzt werden.

 

Roboter zur Weiterbildung

Aktuell wird der Roboter, ein Vorseriengerät aus der Entwicklungsabteilung des Start-Ups fruitcore, besonders in der Ausbildung der Lehrlinge und JunggesellInnen genutzt. Sie hätten sich bewundernswert mit dem Thema Leichtbaurobotik im Handwerk auseinandergesetzt und sehr selbstständig und erstaunlich schnell kleine Beispiellösungen erdacht und umgesetzt, berichtet Eigenstetter. Genutzt werden könne er außerdem möglicherweise in der Klein- und Mittelserienfertigung. Darüber denkt man in der Tischlerei jetzt nach. 

Das Unternehmen hat die mangelnde Beschäftigung in der Krise also aktiv genutzt, um einen Schritt in die Zeit nach Corona zu machen. Auch mit solchen Maßnahmen wird die Belegschaft an den Umgang mit Robotern gewöhnt. Bedenken beim Einsatz von Robotern gebe es keine, denn davon einen wirklichen Handwerker mit all seiner Problemlösungskompetenz zu ersetzen, seien sie weit entfernt in der Tischlerei. 

 

Neue Dynamik für den digitalen Fortschritt

Auch, wenn die Tischlerei Eigenstetter nicht erst durch die Krise auf digitale Lösungen aufmerksam geworden ist, zeigt sich, dass der Mittelstand bereit ist die Zeit der Krise zu nutzen. Das stellt auch die Politik fest. „Unbenommen aller schweren Monate und Wochen, die die Unternehmen jetzt durchmachen mussten – der Zulauf für die Soforthilfen war auch bei uns groß – geht es jetzt darum die Chancen zu erkennen: Wie kann ich mich jetzt effizient, nachhaltig und wettbewerbsfähig aufstellen”, sagt Mareike Donath, Leiterin der Stabsstelle für Digitalisierung und Internationales für das Ressort beim Ministerium für Energie, Infrastruktur und Digitalisierung des Landes Mecklenburg-Vorpommern. “Man muss die Möglichkeiten der Digitalisierung sehen und mit einbeziehen!“ Viele UnternehmerInnen hatten vor der Krise vielleicht noch den Eindruck, dass die Digitalisierung an ihnen vorbeigeht, sagt Donath in der Interviewreihe NETZfeld: Meet the expert. „Das wird jetzt wohl keiner mehr denken.“

Der digitale Fortschritt von kleinen und mittelständischen Betrieben habe durch Corona eine neue Dynamik gewonnen. „Schockstarre hat auch immer etwas mit wachrütteln und aufwachen zu tun. Die Frage, die sich stellt, ist: Wie geht man jetzt mit den ganzen Mechanismen und Hilfsangeboten um, die gemacht werden, um für Digitalisierung zu motivieren? Wie werden die jetzt angenommen? Ich kann wahrnehmen, dass sie jetzt auf einen anderen, fruchtbaren Boden fallen, als noch vor einem halben Jahr.“ 

 

Kreative Ideen im Mittelstand

Dabei ist digitaler Fortschritt keineswegs ein Phänomen, das für KMU schwer zu nutzen ist. Wie weit der Mittelstand grundsätzlich bereits sein kann, zeigt das Beispiel der Erwin Kastner GmbH. Das Handwerksunternehmen, das aktiv ist in den Bereichen Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik, hat zusammen mit dem Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Augsburg eine ganz konkrete digitale Lösung für ein Problem entwickelt, das viele vergleichbare Unternehmen kennen. Angekommen am Einsatzort, zum Beispiel auf der Baustelle, fehlt ein bestimmtes Werkzeug. Dann ist der Weg zurück in die Werkstatt, ins Unternehmen oder ins Lager unumgänglich. Arbeitszeit, die nicht effektiv genutzt wird und damit unnötig Geld kostet. Die Lösung nennt sich RFID. Das kommt aus dem Englischen und bedeutet Radio-frequency identification. Dabei arbeiten ein Sender und ein Empfänger mittels Radiowellen zusammen. So lassen sich, wie im Fall der Erwin Kastner GmbH mit ihren zwölf MitarbeiterInnen, zum Beispiel Werkzeuge automatisch identifizieren und lokalisieren. Zum Einsatz kommen soll RFID in den Fahrzeugen des familiengeführten Betriebs, um in Zukunft automatisch erkennen zu können, ob die richtigen Werkzeuge bereits im Fahrzeug sind oder, ob noch etwas fehlt. Dann gibt es eine Benachrichtigung an den oder die FahrerIn.

Einziges Problem für den Handwerksbetrieb – die Kosten. Liegen die Preise für Funketiketten, die zum Beispiel auf die Werkzeuge geklebt werden, im Cent-Bereich, kosten Software und Antennen, die in den Fahrzeugen verbaut werden müssen, deutlich mehr. Würden sich mehrere Unternehmen zusammentun und die Kosten für die Entwicklung aufteilen, wäre den einzelnen Betrieben deutlich geholfen. 

 

Digitalisierungsschub in Wirtschaft und Verwaltung

Das Kooperationen und digitaler Fortschritt fast immer zusammengehören, zeigt sich auch in der Corona-Krise. Das weiß auch die Pressesprecherin der IHK Flensburg Petra Vogt. Sie stellt fest, dass sich die Bedeutung und das Potenzial digitaler Prozesse in der Zeit des coronabedingten Lockdowns deutlich gezeigt haben. “So haben notgedrungen auch Unternehmen, die beim Thema Homeoffice bisher zurückhaltend waren, mit ‘Work at Home’ gute Erfahrungen gemacht und werden auch nach der Krise teilweise daran festhalten”, so Vogt. Vieles in Wirtschaft und Verwaltung, was bisher schwer umsetzbar erschien, habe auf einmal über Nacht funktioniert. 

 

Initiativen als Beispiele für kreatives digitales Krisenmanagement

Wie wichtig Kooperationen sind, zeige sich vor allem im schwer durch Corona gebeutelten Einzelhandel. Händler und Dienstleister haben laut Vogt gemeinsam kreative Lösungen gefunden, um ihre Waren und Angebote online anzubieten, um so Ausfälle zu kompensieren. Dazu nennt sie lokale solidarische Aktionen, wie etwa „einkaufeninschleswig.de„. “Auf Initiative des Stadtmarketings haben 52 Geschäftsleute die Chance genutzt, sich auf der Website zu präsentieren”, so Vogt. Auch die IHK selbst habe eine Plattform geschaffen mit der Aktion „wir-fairzichten.de„. Darüber verfügten KundInnen über Möglichkeiten auf Erstattungsansprüche zu verzichten oder den Transfer zu Gutscheinen. Laut Vogt sind dies Beispiele für “kreatives digitales Krisenmanagement.“ 

 

Digitalisierung als Entlastung?

Es scheint, als habe die digitale Lernkurve durch Corona einen steilen Anstieg gemeistert. Doch scheint bei der Digitalisierung besonders zu gelten, dass man nie ausgelernt hat. Das weiß man auch bei der Tischlerei Eigenstetter. Lernbedarf sieht man dort zum Beispiel noch im Vertrieb und im Marketing. Denn das Hauptaugenmerk, das liege auf dem handwerklichen und technologischen Vorankommen. Deshalb hat der Betrieb einen Fokus auf ein hauseigenes und hochmodernes Roboterfräszentrum gelegt. Das bringe auch noch ganz andere Vor- und Nachteile mit sich. „Die liegen in der Tatsache begründet, dass immer größere Tätigkeitsfelder von der Hand in den Kopf, von der konkreten in die abstrakte Ebene wandern”, sagt Martin Eigenstetter. Damit gingen stärkere geistige Anforderungen, jedoch auch Entlastungen einher – körperlich, wie auch in der Sicherheit.

 

NETZfeld ist ein Angebot der NOZ Digital und bietet Informationen zur Zukunft von Geschäftsmodellen und Geschäftsprozessen von kleinen und mittelständischen Unternehmen in ländlichen Räumen. Dabei geht es um umsetzbare Lösungen für ganz konkrete Herausforderungen. 

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