10.12.2020Interview

Digitalisierung im Einzelhandel: Interview mit Thomas Wartner

Der Einkauf als rundum Genuss- und Sinneserlebnis, Wohlfühlatmosphäre inklusive – für Kunden von stulz – mode, genuss, leben in Waldshut-Tiengen ist das ganz normal. Das Konzept von Unternehmer Thomas Wartner geht auf: mehr als 6000 Stammkunden zählt das Familienunternehmen, das in diesem Jahr sein 90-jähriges Bestehen feiert. In der Mittelstand INTAKT (Ausgabe II/2020) haben wir Thomas Wartner und sein Unternehmen bereits ausführlich vorgestellt und mit ihm darüber gesprochen, wie man auch in Krisenzeiten erfinderisch bleiben kann. Besonders beeindruckend: wie schnell das Team digitale Antworten auf den Ausnahmezustand „Lockdown“ entwickeln konnte und damit erfolgreich war. Zeit für ein vertiefendes Gespräch über digitale Strategien für den Einzelhandel mit Thomas Wartner. 

DMB: Sehr geehrter Herr Wartner, stellen Sie Ihr Unternehmen bitte kurz vor?

Wartner: Die persönliche Begeisterung von Menschen bestimmt unser tägliches Handeln bei stulz – mode, genuss, leben. Darauf basiert unsere Unternehmensphilosophie. Unsere Kunden wissen, dass gute Stimmung herrscht, wenn Sie zu stulz gehen. stulz steht für eine Familiengeschichte, die Tradition und Moderne miteinander verbindet. Wir verstehen uns nicht als Händler im klassischen Sinne, sondern vielmehr als Gastgeber. Wir wollen die Kunden begeistern, ein Erlebnis schaffen, unabhängig davon, was der Kunde am Ende kauft. Was uns auszeichnet, ist die Kombination aus Mode mit ausgewählten Feinkostartikeln und Events. Unser Schwerpunkt liegt auf hochwertiger, ausgewählter und individueller Mode. Dazu zählt mittlerweile auch unsere Eigenmarke, die sich durch ausgewähltes und besonderes Design hervorsticht Die lassen wir in Italien fertigen. Wo stulz drauf steht, muss schließlich auch stulz drin sein. Genau dafür schätzen uns unsere Kunden. Die Kombination aus einer hohen Aufenthaltsqualität, die unserem Rollenverständnis als Gastgeber entspringt sowie einem ausgewählten und hochwertigen Sortiment. Davon lebt unser Erfolg.

Wann haben Sie die Digitalisierung bei stulz angepackt und wie sind sie vorgegangen?

Gerade was den Bereich des Social Media Marketings angeht, waren wir zu Beginn eher zurückhaltend, auch weil uns das Wissen gefehlt hat. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung und den neuen Möglichkeiten haben wir uns dazu entschlossen, digitale Serviceleistungen konzeptionell in unser bestehendes Geschäftsmodell zu integrieren.

Wir haben im Jahr 2016 damit begonnen, die Digitalisierung intern strukturell voranzutreiben. Das betraf zum einen den Aufbau von eigenen Social-Media-Kanälen sowie die Zusammenarbeit mit regionalen Influencern. Unser Fokus hat sich davon ausgehend auf die Frage verlagert, wie sich die Kundenkommunikation künftig entwickeln wird. Unsere wesentliche Erkenntnis war, dass jeder Charakter einen bevorzugten Kanal für die Kommunikation hat. Das war der Beginn für den Ausbau unserer Social-Media-Kanäle. Die Frage, wie wir darüber hinaus noch intensiver kommunizieren können, hat schließlich zu der Entwicklung unserer eigenen App geführt. Im Vergleich zu Printmagazinen, die wir in hoher Qualität lieben und immer noch in geringen Auflagen produzieren, lässt sich mit einer App beispielsweise viel schneller und flexibler kommunizieren.

Letztlich habe ich rund zwei Jahre nach einer passenden App gesucht, die extrem flexibel ist und sich unseren wechselnden Ansprüchen anpasst. Die App habe ich schließlich auch selbst gebaut, in Zusammenarbeit mit einer Firma, die den Tool-Baukasten lieferte. Mittlerweile sind wir Kooperationspartner der App-Entwickler, da wir Vorbild für einen besonders aktiven Umgang mit der App in der Praxis sind.

Grundsätzlich lag und liegt unser Hauptaugenmerk aber immer auf dem Einkaufserlebnis und auf der Begeisterung im Laden. Die Begeisterung wird immer bei uns im Laden stattfinden. Aber die digitale Kommunikation hilft, unseren persönlichen Service außerhalb des Geschäfts fortzuführen. Denn das ist gerade unser Alleinstellungsmerkmal, das uns von der Konkurrenz abhebt. Daran orientieren sich unsere Digitalisierungsmaßnahmen.

Der Lockdown hat im Frühjahr den stationären Einzelhandel besonders hart getroffen. Wie haben Sie auf die Geschäftsschließung mit Ihrem Team reagiert, was war Ihre Strategie?

Wir sind unmittelbar nach der Geschäftsschließung mit unserem Team in eine Planungs- und Strategiephase übergegangen. Wie können wir unsere Kunden erreichen, wenn Sie nicht in die Läden dürfen, wie können wir unsere Willkommenskultur trotz Lockdown beibehalten – das waren unsere Hauptfragen. Nach der ersten Woche im Lockdown haben wir dann damit angefangen, das, was uns auszeichnet, nämlich Spaß und Freude zu vermitteln, auf unsere digitalen Kanäle zu übertragen. Dazu zählten unter anderem unsere Mitarbeiter-Shootings, mit denen wir unsere Produkte individuell zugeschnitten unseren Kunden über deren Lieblingskanäle vorgestellt haben. Außerdem haben wir die Reservierungsfunktion der App in einen Online-Shop mit Bestellfunktion umgewandelt. Das war eine direkte Konsequenz aus dem Lockdown. Als Besonderheit haben wir die Option angeboten, die Pakete in einem Radius von bis zu 30 Kilometern persönlich an unsere Kunden auszuliefern.

Wir haben unsere Öffnungszeiten nach dem Lockdown zudem angepasst. Inzwischen machen wir täglich von 9 bis 10 Uhr unsere Produktionsstunde im Team. Innerhalb dieser Stunde findet unsere interne Kommunikationsplanung für den Tag statt. Produkte werden ausgewählt und zielgruppenspezifische Botschaften für die entsprechenden Kanäle festgelegt. Dabei geht es darum, wie wir als Offline-Händler digitale Kanäle nutzen können, um unseren Bekanntheitsgrad sowie Kundenkreis zu erweitern. Diese Routine haben wir während des Lockdowns eingeführt und seitdem beibehalten.

Welche technischen und strategischen Grundlagen oder Vorarbeiten waren für Sie besonders hilfreich in dieser Zeit?

Natürlich war unsere konsequente Digitalisierung in den vergangenen Jahren eine wichtige Grundvoraussetzung. Eine weitere zentrale Voraussetzung ist sicherlich auch die prinzipielle Offenheit für Neues. Denn im Zuge der Pandemie sind wir mit vielen grundsätzlichen Fragen konfrontiert gewesen. Wie schaffen wir es, den ausgefallenen Umsatz wieder aufzuholen. Wie wird die Logistik der Waren organisiert. Mit welchen Verzögerungen ist zu rechnen und wie gehen wir damit um. Unserer Lösung war, eine unsere drei Filialen in ein Outlet umzuwandeln. Darin bestand eine große Chance, den Kreislauf der Warenlieferung und Umsetzung beizubehalten und dadurch Kosten zu sparen.

Für mich persönlich ist das Thema Zeit durch die Krise sehr wichtig geworden, die hatten meine Frau und ich natürlich auch während des Lockdowns. Wir waren in der Lage, viele betriebliche Abläufe und konzeptionelle Ansätze zu evaluieren und in Teilen neu zu strukturieren. Die Krise hat gewissermaßen dabei geholfen, sich auf das zu konzentrieren, was wir so sehr an unserer Arbeit lieben. Von daher ist die Pandemie eine Chance zur Neustrukturierung und Weiterentwicklung von unseren digitalen, aber auch von analogen Angeboten.

Setzen Sie weiterhin auf Ihre Strategie oder haben Sie diese noch angepasst?

Grundsätzlich setzen wir auch weiterhin auf unsere Strategie, entwickeln sie aber noch weiter und professionalisieren beispielsweise kontinuierlich unsere App und unsere Social-Media- Präsenz. Seit Mitte November arbeiten wir auch mit einer Social-Media-Agentur zusammen. Ziel ist es, noch präsenter zu werden. Wir wollen zeigen, wer wir sind, wer bei uns beschäftigt ist und was wir unseren Kunden anbieten. Das erste Ergebnis der Zusammenarbeit ist ein Video, in dem sich meine Frau und ich vorstellen. Wir wollen so das Lebensgefühl von stulz noch besser nach außen tragen.

Wir stecken auch derzeit mitten in den Vorbereitungen für das nächste Jahr. Anfang 2021 erscheint sowohl auf der Website als auch in der App ein stulz & friends Blog. Darin erzählen wir dann beispielsweise, warum wir uns so viel Mühe geben und was der Unterschied zwischen unseren Produkten und standardisierten Produkten ist. Wir wollen den Lesern unsere individuelle Tätigkeit als „Trüffelsucher“ näherbringen.  

Die App ist ein gutes Stichwort. Sind die User-Zahlen in diesem Jahr merklich gestiegen? Und wie zufrieden sind Sie mit der App?

Seitdem wir die App im Herbst nochmal intensiv beworben haben und auch den Online-Shop verlinkt haben, sind die User-Zahlen gestiegen. Wir gehen nun auf die Tausend zu! Es macht Spaß, zu sehen, dass die Zahlen steigen. Ich bin auch sehr zufrieden mit der App. Wir entwickeln sie ständig selbst weiter. Wir haben die Struktur geschaffen und können die App intern umbauen. Selbst machen bedeutet, selbst betreiben, Kosten sparen und schnell in der Umsetzung sein. Ich kann die App so gestalten, dass es für unsere Kunden das Richtige ist.

Inzwischen beraten Sie auch andere Unternehmer bei der Einführung von Apps. Was sollte ein kleines oder mittelständisches Unternehmen bei der Einführung einer App beachten? Was ist speziell für den Handel wichtig?

Es sollte eine progressive Web App sein, die sowohl Android als auch IOS basiert ist, damit jeder sie downloaden kann. Wichtig ist auch, dass man Push-Nachrichten an die User senden kann.  Ein weiterer Punkt ist das Kampagnenmanagement, damit ich beispielsweise Gutschein- oder Coupon-Aktionen ins Leben rufen kann. Auch darf ein Online-Shop in der App nicht fehlen. Zu guter Letzt ist es auch wichtig, dass ich die App selbst verwalten kann. Dadurch kreiert man die App selbst, kann Ideen schnell umsetzen und spart Geld.

Was können sie Unternehmern neben der App noch empfehlen? Was ist neben der App der zentrale, digitale Kanal?

Wichtig ist das große Ganze. Wir betreiben verschiedene Kanäle. Facebook bietet am meisten Potential, um den Bekanntheitsgrad zu steigern und Aufmerksamkeit zu erregen. Allein durch unser Vorstellungsvideo haben wir innerhalb von drei Tagen über dreitausend Personen erreicht, das ist genial! Aber auch wenn man beispielsweise eine bestimmte Aktion plant, bietet sich Facebook als Kanal am besten an. Instagram dagegen ist ein persönlicher Kanal, deine Follower wollen meist live dabei sein. Dafür bieten sich Instagram-Storys gut an. Rund 200 Follower sehen sich unsere Storys an. Sie sehen dann nicht nur, dass was passiert, sondern auch, was passiert. Instagram ist also das ruhige, persönliche Portal, bei Facebook ist hingegen viel mehr los.

Die Website ist das erste Fenster nach außen. Googelt ein Interessent uns, wird ihm zuerst die Website angezeigt. Die muss ihm gefallen. Die App ist der Schlüssel zur persönlichen Kundenpflege und zum Serviceausbau. Alle Kanäle sind also wichtig, man kann keinen streichen!

Facebook, Google und andere Technologieunternehmen bieten für kleine und mittelständische Unternehmen zurzeit kostenlose Schulungen, Trainings und weitere Angebote an. Nutzen Sie diese?  

Das stimmt. Wir sind dem Ganzen aber tatsächlich schon ein paar Schritte voraus. Ich finde es grundsätzlich gut, dass es diese Angebote gibt. Denn viele Unternehmen sind doch noch recht weit entfernt von diesen Themen. Aber diese Angebote hätte es schon früher geben müssen!

Da war wohl dieses Jahr wahrscheinlich nochmal ein Wachrüttler.

Auf jeden Fall! Und trotzdem gibt es noch viele Unternehmen, die sich mit dem Thema nicht auskennen oder das Gefühl haben, dass es nicht wichtig ist. Macht man sich aber Gedanken, wie wir heute leben, merkt man, dass wir täglich diese digitalen Angebote nutzen – ob in der Gastronomie, im Handel oder in anderen Gewerben.

Unsere Beitragsserie läuft unter dem Begriff Zukunftsfähigkeit. Welche Faktoren sind für den Einzelhandel, speziell für kleinere Geschäfte, wichtig?

Persönlichkeit und Sozialkompetenz sind ganz wichtige Faktoren, die gerade in Zeiten von Corona nochmal an Bedeutung gewonnen haben. Ich hatte erst letzte Woche Besuch von einem Stammkunden. Er kam in unser Geschäft, wollte aber nichts kaufen. Stattdessen hat er gefragt, ob er bei uns einen Espresso trinken dürfte. Daran merkt man, dass viele Leute – gerade im Homeoffice – das Bedürfnis haben, rauszukommen und sich zu unterhalten. Genauso wichtig sind die Menschen im Unternehmen. Sie müssen das, was sie im Laden machen, gerne machen und in ihrem Element sein. Man muss dem Kunden auch ein Erlebnis bieten. Sei es Produkte anders zu präsentieren, spezielle Events oder Verkostungen anzubieten. Auch das Sortiment sollte besonders sein. Keiner sucht das Standardsortiment. Man muss sich immer die Kernfrage stellen: Warum gehe ich in die Stadt und warum mache ich mir die Mühe, in einen Laden zu gehen?

Technologie und Social Media hingegen sind für mich Standards der Zukunft. Wer da nicht mitzieht, erreicht seine Kunden nicht. Wir werden uns in Zukunft anders informieren und da wird Technologie für kleine Geschäfte lebensnotwendig werden. Über die digitalen Kanäle holen wir die Menschen in die Städte, in die Geschäfte. Dort müssen wir die die Kunden dann begeistern.


Herr Wartner, vielen Dank für das Gespräch!

 

Teil VIII der Beitragsserie: Zukunftsfähig mit digitalen Technologien?

 

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