20.03.2023InterviewDMB+

„Ein Jahr Ampel hat Deutschland zurückgeworfen.“

Der DMB hat die mittelstandspolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen um eine Beurteilung der Mittelstandspolitik nach dem ersten Jahr der Ampelkoalition gebeten. Christian Freiherr von Stetten, Vorsitzender des Parlamentskreis Mittelstand (PKM) der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, kritisiert im Interview die Mittelstandspolitik der Ampel und erläutert, wo jetzt dringend handlungsbedarf besteht. 

DMB: Wie beurteilen Sie die Mittelstandspolitik der Ampel nach dem ersten Regierungsjahr?

Christian Freiherr von Stetten: Ein Jahr Ampel hat Deutschland zurückgeworfen. Nach dem ersten Jahr der Ampel-Koalition sind zwei Drittel der Deutschen unzufrieden mit der Regierung. Anstatt dem Mittelstand gerade in der Krise mehr Bewegungsfreiheit einzuräumen, hat sie die Schlinge aus Bürokratie und finanziellen Belastungen noch enger gezogen. Das versprochene „Belastungsmoratorium“ für die Wirtschaft ist ein leeres Versprechen: Eine Überprüfung der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) gemeinsam mit etwa 30 Wirtschaftsverbänden ergab Ende 2022 auf EU-Ebene 76 und auf Bundesebene 34 für die Wirtschaft schädigende Gesetze und Initiativen.

Was werden aus Ihrer Perspektive die drei zentralen mittelstandspolitischen Themen in der laufenden Wahlperiode sein?

Die drei Hauptfelder sind bezahlbare Energie, weniger finanzielle und bürokratische Belastung sowie flexible Arbeitsmärkte bzw. zusätzliche Fachkräfte. Wir brauchen 1. einen nationalen Energiekonsens u.a. mit Nutzung der Kernkraft und der Möglichkeiten des Wasserstoffs sowie einen Industriestrompreis; 2. ein konsequentes Belastungsmoratorium, ein viertes Bürokratieentlastungsgesetz, schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren, eine umfassende Unternehmenssteuerreform, die vollständige Abschaffung des Solis, die Begrenzung der Sozialabgaben auf 40 Prozent; und 3. eine Reform des Arbeitszeitgesetzes und eine Fachkräfteoffensive.

Die CDU ist auf dem Weg zu einem neuen Grundsatzprogramm. Welche mittelstandspolitischen Grundsätze wünschen Sie sich darin?

Die im letzten Jahr erarbeitete Grundwertecharta als Basis des neuen Grundsatzprogramms greift bereits wichtige Punkte für den Mittelstands auf: Jeder soll seine Talente frei entfalten können, Bildung und Leistung sollen jedem zugänglich und möglich sein. Der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen muss mit wirtschaftlicher Stärke, sozialer Gerechtigkeit und einem leistungsfähigen Staat verbunden werden. Wir müssen lernen, den wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt, die dynamischen Kräfte der Sozialen Marktwirtschaft und die Möglichkeiten der Digitalisierung in vollem Umfang zu nutzen.

"Zeitenwende" war das Wort des Jahres 2022. Was leiten Sie von dem Wort für die Mittelstandspolitik ab?

Die Ampel hat eine historische Chance, unser Land zum Besseren zu verändern, verstreichen lassen. Die Zeitenwende ist nicht nur eine große Herausforderung, sondern gleichzeitig auch eine große Chance, verkrustete Strukturen aufzubrechen, Bürokratie abzubauen, und Prioritäten – auch in der Mittelstandspolitik - neu zu setzen.

Wie beurteilen Sie zum Anfang des Jahres 2023 die wirtschaftlichen Aussichten für den Mittelstand?

Die Lage ist ernst. Immer mehr Unternehmer sind dabei, Betrieb und Produktion aus Deutschland zu verlagern oder gänzlich aufzugeben. Diese Auswirkungen zeigen sich. Der Internationale Währungsfonds sieht Deutschland mit einem Miniwachstum von 0,1 Prozent auf dem vorletzten Platz von 38 wichtigen Wirtschaftsnationen. Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung warnt, dass Deutschland der große Verlierer ist: Nur noch Platz 18 von 21 Ländern! Das können wir nicht wollen, damit können wir nicht zufrieden sein! Dem Mittelstand fehlt es 2023 an Freiheit, Planungssicherheit und einer verlässlichen und nachvollziehbaren Standortpolitik.

Sie sind in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für das Thema Mittelstand verantwortlich. Woher stammt die Begeisterung für den Mittelstand? Sind Sie selbst unternehmerisch tätig (gewesen)?

Noch während des Betriebswirtschaftsstudiums habe ich mich 1994 selbstständig gemacht und bin auch heute noch als Vorstandsvorsitzender der Schloss Stetten Holding AG für zahlreiche Mitarbeiter und Kunden verantwortlich. Ich bin am Markt aktiv und kenne alle Probleme, mit denen Selbstständige zu kämpfen haben.

Ich bin überzeugt, dass der Mittelstand die tragende Säule unseres Wohlstandes ist und es sich lohnt für bessere Rahmenbedingungen zu kämpfen. Leider wird diese im politischen Handeln und der gesellschaftlichen Beurteilung von Unternehmern oft nicht hinreichend wertgeschätzt. Mit meiner eigenen Erfahrung als mittelständischer Unternehmer sehe ich es als mein Auftrag an, mich in der täglichen Politik dafür einzusetzen, dass diese Wertschätzung besser erfolgt und so Wohlstand in unserem Land für alle weiter bzw. wieder möglich ist.

Was zeichnet den deutschen Mittelstand für Sie besonders aus?

Es ist seine Innovations-, Beschäftigungs- und Ausbildungsstärke, die ihn prägt und zur tragenden Kraft der deutschen Wirtschaft macht. Viele KMU sind Weltmarktführer und ermöglichen so Wohlstand und Fortschritt in unserem Land. Wir müssen daher Rahmenbedingungen für den Mittelstand bieten, dass dies auch in Zukunft so sein kann.

Was ist für Sie der wichtigste Faktor für die Widerstandsfähigkeit von KMU?

Für mich ist es die Einheit von Eigentum und Leitung in vielen KMU: dass der Unternehmer einen maßgeblichen persönlichen Einfluss ausübt, das unternehmerische Risiko trägt und das Unternehmen seine persönliche Erwerbs- und Existenzgrundlage sichert. Dies bedingt eine besonders enge Verknüpfung von Entscheidung und Verantwortung, die zu Nachhaltigkeit und Widerstandsfähigkeit führt.

Der Mittelstand steckt in der Polykrise. Wann und wie kommen wir aus der Krise?

Kurzfristig müssen Ampel und EU-Kommission sofort alle Regulierungen, die Unternehmen zusätzlich belasten, stoppen. Es muss gelten: Volle Konzentration auf die Rettung des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Darüber hinaus braucht gerade der Mittelstand bessere Rahmenbedingungen und Entfaltungsmöglichkeiten. Das heißt für mich: eine dauerhafte Bürokratiediät für Deutschland, Aufgeschlossenheit und Umsetzung technologischer Möglichkeiten, bessere Bildung, Aus- und Weiterbildung, gezielte Fachkräftezuwanderung, eine konkurrenzfähige Kosten- bzw. Abgabenlast und eine leistungsfähige Infrastruktur.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr von Stetten!

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