06.11.2020Praxistipp

Künstliche Intelligenz im Mittelstand. Ein Anwendungsbeispiel

Künstliche Intelligenz im Kleinbetrieb einsetzen? Das Beispiel der Polierscheibenfabrik Spaeth e.K. zeigt, wie das funktionieren kann.

Wie Künstliche Intelligenz bei der Polierscheibenfabrik Spaeth E.K. das Fehlermanagement optimiert.

Die Polierscheibenfabrik Spaeth e.K. gehört auf dem Gebiet der Herstellung von Polierscheiben zu den ältesten Unternehmen in Deutschland und zählt mit circa elf Mitarbeitern zu den kleineren Betrieben.


Die Ausgangssituation

Gerade für kleine Unternehmen sind die Digitalisierung sowie die Einführung von KI aufgrund hoher Implementierungskosten und Anforderungen an die Infrastruktur eine große Herausforderung. Auch die Möglichkeit, mit Hilfe neuer Technologien einen weitreichenden Nutzen aus dem Fehleraufkommen zu ziehen, wird häufig verkannt. Denn insbesondere in KMU fehlt es an einer strukturierten Erfassung von Unregelmäßigkeiten und erarbeiteter Lösungen, weshalb Fehler nicht systematisch erkannt und anschließend abgestellt werden können. Das kann in Reklamationen des Kunden mit entsprechenden Folgekosten münden. Zudem steigt der Aufwand für die Ursachenfindung sowie die Ableitung korrigierender Maßnahmen aufgrund der fehlenden Dokumentation eklatant.

Im Rahmen des Transferprojektes mit Digital in NRW schafft die Polierscheibenfabrik Spaeth gemeinsam mit dem Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen die Voraussetzungen für ein auf Verfahren Künstlicher Intelligenz basierendem Fehlermanagement.


Die Lösung

Ziel des Projekts ist die Entwicklung einer leicht anzuwendenden und klar zu interpretierenden Fehlererfassung. Zur Bildung einer breiten, sich für weiterführende Untersuchungen eignenden Datenbasis wurde innerhalb des IGF-Verbundprojektes „LeaF – Learning Failure Management“ (AiF –Nr.: 19931N) ein an die spezifischen Anforderungen angepasstes Fehlererfassungstool entwickelt.

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Grundlage dafür ist die erfahrungsbasierte Erarbeitung eines Fehlerbaums, der alle bis dato bekannten Fehler, Ursachen sowie mögliche Sofort- und Langzeitmaßnahmen einschließt. Auf Basis der bereits innerhalb der Produktion installierten Tablets wird eine Webanwendung entwickelt, die eine Fehlerbeschreibung entsprechend bekannter Fehlerbilder zulässt. Über die Dropdown-Menüs „Tätigkeit“, „Fehler“ und „Grund“ wird die Fehler- sowie Ursachenangabe ausgehend vom betreffenden Arbeitsplatz sukzessive eingeschränkt, sodass in Zukunft je nach Fall nur eine geringe Auswahl möglicher Beschreibungen zur Verfügung stehen wird.

Dem spezifischen Anspruch der Mitarbeiter wird durch die Wahl einer verständlichen Sprache und der einfachen Funktionalität des Tools entsprochen. Auch die Option, neue Fehlereinträge hinzuzufügen, wird berücksichtigt. Ist das Tool einmal in die Abläufe integriert, wird der Mitarbeiter nach Abschluss der Fehlererfassung aufgefordert, die initiierten Maßnahmen sowie deren Wirksamkeit anzugeben. Auf der Grundlage von Ähnlichkeitsmustern lassen sich dann langfristig Lösungsvorschläge ableiten, wodurch die Fehlerbeseitigung beschleunigt wird. Die einheitliche Fehleraufnahme befähigt langfristig zur Durchführung weitreichender Analysen in Form von einfachen Häufigkeitsuntersuchungen bis hin zum selbstständigen Erkennen von Auffälligkeiten innerhalb der verknüpften Prozessdaten oder der Bereitstellung von Ursachen- und Maßnahmeninformationen im Moment der Fehlererkennung. Quelle der Prozessdaten sind zehn implementierte Sensoren, die ebenso wie zugehörige 3D-Gehäuse eigens für das Projekt entwickelt werden mussten.

Durch die strukturierte Fehlererfassung und die Anbindung maschineller Prozessdaten können aufgetretene Fehler auf maschinelle Ursachen zurückgeführt werden. Hierzu sollen Clusteralgorithmen eingesetzt werden, welche durch den Vergleich fehlerbehafteter Prozessdaten sogenannte Fehlerklassen ausbilden und folglich Schwerpunkte und charakteristische Auffälligkeiten in den Fehlerbildern erkennen lassen sollen. So kann zum Beispiel auf einen fortgeschritten Werkzeugverschleiß oder falsch gewählte Einstellparameter geschlossen werden.


Die Herausforderungen

Zur korrekten Erfassung der Daten war die Konstruktion und Installation der Sensoren eine notwendige Voraussetzung. Die Sensoren mussten dabei den besonderen Bedingungen vor Ort standhalten und z. B. resistent gegen Feuchtigkeit sein. Darüber hinaus war die Konstruktion von individuellen Halterungen mithilfe des 3D-Drucks notwendig. Zudem musste das Projektteam eine für den Anwender verständliche Sprachbasis schaffen. Das heißt, es musste

die Brücke geschlagen werden von akademischen Formulierungen hin zu einer anwenderfreundlichen Sprache. Eine Schwierigkeit lag dabei vor allem in der Beschreibung von Ursachen bzw. Gründen für die Fehler. Weitere Herausforderungen bestehen in den umfangreichen Programmieraufwänden, die mit der Entwicklung der Software verbunden sind, sowie in der kommenden Implementierung von Data Analytics-Methoden. Das liegt vor allem an der aktuell fehlenden Datenbasis, die noch aufgebaut und im Laufe des Projekts generiert werden muss. Diese sollen dann perspektivisch mit Prozessdaten kombiniert werden, um den anschließenden Einsatz von Datenanalyse und KI-Methoden zu ermöglichen.


Der Nutzen

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Das Tool zur Fehlererfassung bietet sich auch für kleine und mittlere Betriebe an. Das Verfahren ist mit einem überschaubaren Kostenaufwand umzusetzen und lässt sich auf unterschiedliche Systeme und Prozessketten anwenden. Durch die Implementierung der Sensoren sowie die strukturierte Fehlererfassung wird die Basis für eine auswertbare Fehler- und Prozessdatenbasis gelegt. Auf dieser Grundlage lassen sich im Weiteren Datenanalyse- und KI-Methoden sowie Algorithmen anwenden.


Fakten zum Projekt

Was wurde benötigt?

Was wurde erreicht?

  • Hardware: Tablets mit einem Kostenaufwand von unter 400 Euro sowie selbstentwickelte Sensoren  (u. a. Rasperry Pie, Beacon)
  • Reduktion von Ausschuss und Fehlerkosten
  • Reduzierung des Fehlererfassungsaufwands
  • Projektverantwortlich im Rahmen des Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrums Digital in NRW: Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen
  • Effiziente Dokumentation von Fehlerinformationen
  • Option eines Transfers auf ähnliche Problemstellungen

 

Übrigens: Weiterführende Informationen zum Thema KI im Mittelstand und weitere, spannende Praxisbeispiele finden Sie in der kostenlosen Informationsbroschüre „Künstliche Intelligenz im Mittelstand – Potenziale und Anwendungsbeispiele“ (PDF-Datei) von Digital in NRW. 

 

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