08.01.2021Interview

"Pionierarbeit, die den Zahn der Zeit trifft"

Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) betrifft jede Branche und jedes Unternehmen. Christian Kuckartz von der BGM Solutions GmbH erklärt im Interview, wie kleine und mittelständische Unternehmen von digitalen Lösungen im Bereich BGM profitieren können, welche Vorteile eine Online-Plattform bietet und was Unternehmer in Zeiten der Pandemie beachten müssen.

 

DMB: Herr Kuckartz, Sie sind Geschäftsführer der BGM Solutions GmbH. Stellen Sie sich und Ihr Unternehmen bitte kurz vor.

Kuckartz: Gerne! Wir sind die BGM-Solutions – BGM steht dabei für Betriebliches Gesundheitsmanagement. Ganz einfach übersetzt entwickeln wir also Lösungen für die Sicherheit und Gesundheit in Unternehmen. Dabei widmen wir uns neben den analogen Lösungen vor allem digitalen Tools.

Ich bin als geschäftsführender Gesellschafter der BGM-Solutions tätig. Im Arbeitsschutz, der Prävention und dem BGM habe ich bereits aus verschiedenen Perspektiven gearbeitet, zuvor in Führungsposition bei einem Dienstleister für Arbeitsmedizin und Sicherheitstechnik. Meine Expertise aus Tätigkeit und Studium bringe ich nun fokussiert in digitale Lösungen ein.

Wir bei BGM-Solutions wissen vom Bedarf an Modernisierung und Digitalisierung in dieser doch sehr komplexen und für den einzelnen Unternehmer dadurch oft belastenden Thematik.

Beim Thema Arbeitsschutz bzw. Gesundheitsmanagement ist Digitalisierung nicht der erste Begriff, der einem in diesem Zusammenhang einfällt. Ist das aus Ihrer Sicht ein Trugschluss?

Nein, das ist (leider) vollkommen richtig. Wir widmen uns gewissermaßen einer Pionierarbeit, die den Zahn der Zeit trifft. Zwar gibt es sowohl die Sicherheitstechnik als auch die Arbeitsmedizin schon sehr lange, doch seit einigen Jahren kommt nun die Gesundheitsförderung und die betriebliche Eingliederung mit zunehmendem Stellenwert dazu. Es mangelt an einer übergreifenden Digitalisierung, stattdessen gibt es ein buntes Feld an Einzellösungen. Inhaltlich herrschen je nach Branche des Unternehmens aber große Unterschiede. Ein IT-Unternehmen muss sich ganz anders mit dem Thema Gesundheitsmanagement auseinandersetzen als ein Mittelständler aus dem produzierenden Gewerbe. Dementsprechend herrscht hier nur wenig Transparenz für den Unternehmer und man kann kaum von digitaler Zusammenführung zum Wohle einzelner Unternehmer sprechen. Wir haben uns genau dieser Herausforderung gestellt und führen die komplexen Themen Arbeitssicherheit und Arbeitsmedizin sowie betriebliche Eingliederung und Gesundheitsförderung unter dem Begriff Gesundheitsmanagement digital zusammen. Das ist etwas Neues, was man so weder kennt noch in erster Linie erwartet.

Also ist das Thema digitaler Arbeitsschutz für den Mittelstand bereits jetzt relevant? Oder wird es erst in Zukunft immer relevanter werden?

Es wird auf jeden Fall immer relevanter! Es kommt dabei immer auf die Branche an. Im Büro geht es beispielsweise weniger um Sicherheitstechnik, dafür mehr um Ergonomie und psychische Belastungen. Im produzierenden Gewerbe hingegen stehen häufiger Arbeitsunfälle oder Arbeitsbelastungen im Fokus. Das heißt, die Unternehmen sind unterschiedlich betroffen. Die Eingliederung nach Krankheit ist ein Thema, was für alle relevant ist, sobald es entsprechende Ausfälle gibt.

All dies verlangt viel Dokumentation und Einhaltung von Regularien - gerade im Mittelstand bedeutet das eine hohe Arbeitslast und Zeitaufwand! Diese Arbeitslast obliegt meist dem Geschäftsführer oder Personalleiter. Deswegen ist die Digitalisierung in diesem Bereich, die eine höhere Effizienz und Automatisierung bietet, unerlässlich. Es wird alles immer schneller und die Anforderungen – gerade in Deutschland – werden immer höher. Der Mittelstand kann das im Gegensatz zu einem großen Konzern, der dafür ein ganzes Team zur Verfügung hat, kaum leisten.

Sie haben gerade angesprochen, dass das Thema Arbeitsschutz unterschiedliche Betriebe auf unterschiedlichen Ebenen betrifft. Gibt es trotzdem ein paar allgemeingültige Tipps für Mittelständler?

Ja, es gibt kleine Digitalisierungen, die für alle Mittelständler hilfreich sind: Das betrifft vor allem die Einhaltung der Vorsorgepflichten für die Sicherheit von Maschinen und Menschen. Viele Unternehmen im Mittelstand nutzen dafür noch Microsoft Outlook, stellen sich Erinnerungsserien ein oder erstellen Excellisten. Teilweise wird auch noch Papier genutzt, ein haptischer Arbeitsschutz-Ordner angelegt. Steht dann ein großes Projekt an, werden diese Dinge im Hintergrund schnell vergessen. Das sorgt für Rückstände, für Haftungsschwierigkeiten, für Lücken – auch, was Versicherungsschutz angeht. Dementsprechend ist meine absolute Empfehlung: Fristen automatisieren und sich digital erinnern lassen!

Sie bieten mit Protarmo eine eigene digitale Plattform für Arbeitsschutz und BGM an. Was ist Protarmo und welche Vorteile bietet die Plattform?

Von Gefährdungsbeurteilung über Unterweisung bis Arbeitsmedizin: Protarmo bietet die Organisation all dieser Prozesse. Per automatischen Emails werden die beteiligten Personen rechtzeitig erinnert, Mängel nachverfolgt.

Unternehmen können über ihren kundenspezifischen Account die benötigten Prozesse, alle Maßnahmen zur Sicherheit und Gesundheit des Unternehmens abbilden, dokumentieren, auswerten. Durch das flexible System ist vor allem eine bedarfsgerechte Nutzung möglich. Das erzeugt nach der Startphase zügig eine Zeitersparnis und einen qualitativen Mehrwert, z.B. auch für Zertifizierungen. Das Tool kann von den beteiligten Personen im Betrieb genutzt werden, bietet damit eine gemeinsame Arbeitsplattform.

Stichwort „Gemeinsame Plattform, Organisation, Prozessverbesserung“. Ist digitales BGM und digitaler Arbeitsschutz kostspielig? Wie hoch ist der Kosten-Nutzen-Aufwand, gerade in Bezug auf Protarmo?

Die Frage nach dem Kosten-Nutzen-Aufwand sollten sich Unternehmer natürlich immer stellen. In diesem Fall genau dann, wenn sie sich fragen, ob sie digitalisieren möchten und falls ja, in welchem Ausmaß. Man muss abwägen, was nachher praktikabel im Alltag ist. Bereitet ein Thema regelmäßig Aufwand, zum Beispiel die Arbeitsmittel, gilt es zu prüfen, welche Optimierung die Digitalisierung bieten kann. Bei Protarmo können wir durch die digitale Kartei eine deutliche Zeitersparnis erzielen, somit ist das System schnell refinanziert. Denn Protarmo fängt im Mittelstand bei 95 Euro im Monat an. Gehen wir dann mittelfristig von weiteren Effekten des Gesundheitsschutzes aus, wird es noch viel interessanter. Studien beweisen die Wirksamkeit von Gesundheitsmanagement auf die Krankheitsausfälle, Mitarbeiterbindung und weitere Kennzahlen.

Sprechen wir nun über konkrete Anwendungsfälle, wie zum Beispiel über die Gefährdungsbeurteilung. Ist diese Pflicht für Unternehmen und lässt sich eine Gefährdungsbeurteilung auch digital abwickeln?

Ja und Nein. Die Gefährdungsbeurteilung für das Unternehmen macht es nötig, dass eine Fachkraft für Arbeitssicherheit oder ein Sicherheitsingenieur diese mit den Verantwortlichen vornimmt, vor Ort die Zustände begutachtet und auch eine realistische Gefahreneinschätzung ermöglicht. Unternehmen können aber die Dokumentation der Begehung und der Gefahren, die To-dos, die sich daraus ergeben und die Einbindung der Mitarbeiter digitalisieren. Schließlich kann man einen Sicherheitsingenieur nicht einfach zu einem Home-Office Arbeitsplatz schicken. Erst recht nicht in einer Covid-19-Pandemie. Den Heim-Arbeitsplatz aber digital „abfragen“, das geht.

Sie sprechen das nächste Thema bereits an: die Covid-19-Pandemie. Gerade Schutz- und Hygienekonzepte haben in diesem Jahr einen besonderen Stellenwert erhalten. Was können Arbeitgeber hier besonders gut und was besonders schlecht machen?

Seit dem Beginn der Pandemie haben wir bei BGM-Solutions sowohl analoge als auch digitale Hygienekonzepte für große Veranstaltungen, den Unternehmensalltag oder TV-Teams entwickelt und umgesetzt. Dabei ist deutlich geworden, wie individuell jedes Einzelne sein muss.

Besonders schlecht wäre, sich auf allgemeine Regelungen zu beziehen und nicht auf die spezifischen Anforderungen im Betrieb. Unternehmen sind sehr individuell, von der örtlichen Gestaltung, vom Ausbau der Räumlichkeiten, von der Tätigkeit. Deshalb sollte man immer spezifisch schauen: Was sagt meine Berufsgenossenschaft? Was empfiehlt man meiner Branche? Was sagt meine Fachkraft für Arbeitssicherheit? Außerdem sollte der Fokus auf den Mitarbeitern liegen. Welche Sorgen haben meine Mitarbeiter? Was funktioniert gut in der Umsetzung und was funktioniert gar nicht? Hier ist stets Optimierungsbedarf.

Daraus geht nun hervor, was Unternehmen besonders gut machen können. Sie sollten ihr Hygienekonzept immer wieder betrachten und den gegebenen Umständen anpassen. Jeder Unternehmer muss auf sich selbst schauen und nicht nur umsetzen, was in den Abendnachrichten gefordert wird. Denn das allein reicht nicht aus.

Kommen wir vom Hygienekonzept zu einem Thema, das gerade im nächsten Jahr nochmal für viele Unternehmer an Relevanz gewinnen wird: Impfungen und Impfschutz. Sollten sich Unternehmer mit dem Thema Impfungen bzw. Impfschutz proaktiv beschäftigen oder liegt das allein in der Zuständigkeit der Arbeitnehmer?

Es ist derzeit keine Arbeitgeberpflicht, bei diesem Thema aktiv zu werden. Allerdings ist es ein Thema, das medial sehr präsent ist und daher Arbeitnehmer belastet. Mitarbeiter werden sich dazu austauschen, ob digital aus dem Home-Office oder vor Ort im Unternehmen. Auch hier sollten Unternehmer individuell handeln und sich fragen: Was betrifft mich? Bin ich ein Unternehmen, das in der medizinischen Versorgung oder im Pflegebereich tätig ist? Habe ich viel Kundenkontakt? Bin ich im Außendienst tätig? Denn dann ist die Relevanz, meinen Mitarbeitern die Vorteile einer Impfung zu kommunizieren oder sogar eben eine digitale, anonyme Risikoabfrage anzubieten, eine ganz andere. Pflicht ist es nicht, aber man kann auf einem sehr guten Level kommunizieren. Daher empfehle ich Arbeitgebern, sich Gedanken zu machen und ihre Mitarbeiter zu unterstützen.

Unsere Beitragsserie läuft unter dem Begriff der Zukunftsfähigkeit für den Mittelstand. Welchen Beitrag zur Zukunftsfähigkeit mittelständischer Unternehmen kann digitales BGM leisten?

Gerade der Mittelstand ist vom Fachkräftemangel und von der demographischen Alterung der Bevölkerung betroffen. Hinzu kommt noch Stressmanagement, Ausfallzeiten und psychische Erkrankungen. Arbeitsunfallzahlen hingegen sinken. Durch die Pandemie und die einhergehenden Quarantäne-Zeiten haben Unternehmen noch mehr mit dem Thema Arbeitsausfall zu tun als zuvor. Bezogen auf den Mitarbeiterausfall sind die Belastungen insgesamt für mittelständische Unternehmen enorm. Hier gilt es vorzusorgen! Wenn man bedenkt, dass die gesetzlichen Pflichten im Arbeitsschutz und in der Arbeitsmedizin von vielen Unternehmen schon sehr gut erfüllt werden, sollten sie auch darauf aufbauen. Das ist ein Potenzial, das viele Unternehmen bisher noch nicht nutzen. Bildet man dazu digitale Prozesse ab, kann man sehr genau sehen, welche Maßnahmen sich rentieren, womit man die Gesundheit des Unternehmens noch weiter absichern kann oder wie man es noch weiter nach vorne bringen kann. Was hilft meinen Mitarbeitern und was hilft ihnen nicht?

Das sind nicht nur wichtige Faktoren, um das Unternehmen erfolgreich und arbeitsfähig zu halten, sondern auch, um die Arbeitgeberattraktivität zu steigern. Bieten Unternehmen solche Dinge an und setzen sie effizient um, reizt das die junge Generation der Fachkräfte.

Wo können sich unsere Mitglieder zum Thema Digitaler Arbeitsschutz informieren?

Ich empfehle die INQA, eine Initiative des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Die INQA stellt Unternehmern unter anderem viele kostenfreie, digitale Checklisten und Fragebögen zu Verfügung. Unternehmer können sich dort informieren. Ebenfalls können sie das bei ihrer Berufsgenossenschaft oder allgemein der VBG. Auch dort gibt es viele Informationen zur Digitalisierung der Themen, es gibt Arbeitsvorlagen, die dann zum Beispiel per Excel oder PDF genutzt werden können. Computer statt Papierordner zu nutzen, ist der erste Schritt im Zuge der Digitalisierung! Das klingt banal, ist im Arbeitsschutz aber häufig die Realität.

 

Herr Kuckartz, vielen Dank für das Gespräch!

 

Teil XI der Beitragsserie Zukunftsfähigkeit durch digitalen Technologien sichern

 

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