30.12.2022MonitoringDMB+

Chancen-Aufenthaltsrecht

Worum geht es bei dem Gesetzesvorhaben?

Die Bundesregierung erteilt mit dem Gesetz zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts langjährig in Deutschland Geduldeten eine 18-monatige Aufenthaltserlaubnis, die es ihnen ermöglicht, während dieser Zeit alle erforderlichen Voraussetzungen für ein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland zu erfüllen. Dazu zählen insbesondere die Sicherung des eigenen Lebensunterhaltes, Kenntnisse der deutschen Sprache sowie der Identitäsnachweis. Die 18-monatige Aufenthaltserlaubnis erhalten Menschen, die am 31. Oktober 2022 seit fünf Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthalserlaubnis in Deutschland gelebt haben. Straftäter sollen allerdings vom Chancen-Aufenthaltsrecht grundsätzlich genauso ausgeschlossen bleiben, wie Personen, die ihre Abschiebung aufgrund wiederholter, vorsätzlicher und eigener Falschangaben oder aktiver Identitätstäuschung verhindern. Erfüllt eine betroffene Person die Voraussetzungen einer Aufenthaltserlaubnis nach der 18-monatigen Aufenthaltsdauer nicht, soll sie in den Status der Duldung zurückfallen. 

Außerdem sieht das Gesetz vor, bestehende Bleiberechtsregelungen so anzupassen, dass mehr Menschen davon profitieren können. So sollen gut integrierte Jugendliche sowie junge Volljährige nach drei Jahren Aufenthalt in Deutschland und bis zum 27. Lebensjahr die Möglichkeit für ein Bleiberecht erhalten. Gewürdigt werden sollen auch besondere Integrationsleistungen von Geduldeten, indem sie künftig nach sechs Jahren  oder schon nach vier Jahren bei Zusammenleben mit minderjährigen Kindern  ein Bleiberecht erhalten. Die Voraufenthaltszeiten werden damit um jeweils zwei Jahre reduziert.

Zusätzlich werden bestimmte Normen des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes, die die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen zwecks Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen betreffen, und bisher nur befristet in Kraft waren, entfristet und somit dauerhaft anwendbar. Auch der Familiennachzug von Fachkräften aus Drittstaaten soll dadurch erleichtert werden, dass für nachziehende Angehörige das Erfordernis eines Sprachnachweises entfällt. Allen Asylbewerbern wird noch vor Abschluss ihres Asylverfahrens der Zugang zu einem Integrationskurs sowie bei Arbeitsmarktzugang zu einem Berufssprachkurs eröffnet.

Um die Rückführung von Straftätern und Gefährdern konsequenter durchzusetzen, wird mit dem Gesetz bei diesen Personen die Ausweisung sowie die Anordnung von Abschiebehaft erleichtert.

In welchem Stadium befindet sich das Vorhaben?

Der Bundestag hat den Gesetzentwurf zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts am 2. Dezember verabschiedet. Anschließend billigte der Bundesrat dieses Gesetz am 16. Dezember, bevor es schließlich am 30. Dezember im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurde und am Tag nach seiner Verkündung in Kraft tritt.

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Hintergrund

Durch das Chancen-Aufenthaltsrecht erhalten langjährig in Deutschland Geduldete die Perspektive auf ein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland. Bei Geduldeten handelt es sich um Ausländer, die nicht als Flüchtlinge oder Asylberechtigte anerkannt wurden, die aber nicht abgeschoben werden dürfen, da diesen Personen beispielsweise in ihren Herkunftsländern Folter oder andere unmenschliche Behandlung droht. Laut Gesetzentwurf der Bundesregierung lebten Ende 2021 in der Bundesrepublik 242.029 geduldete Ausländer, davon 136.605 seit mehr als fünf Jahren. Diesen Menschen, die über die lange Aufenthaltszeit ihr Lebensumfeld in Deutschland gefunden haben, möchte die Bundesregierung grundsätzlich eine aufenthaltsrechtliche Perspektive eröffnen und eine Chance einräumen, die notwendigen Voraussetzungen für einen erlaubten Aufenthalt zu erlangen. Darüber hinaus sollen positive Anreize für ihre Integration in den Arbeitsmarkt und die für eine geordnete Migration wesentliche Identitätsklärung gesetzt werden. Die Lebensplanung für langjährig in Deutschland aufhältige Personen soll verlässlicher werden, wenn sie bestimmte Integrationsvoraussetzungen erfüllen. Dazu gehört, dass sie bereits gut in Deutschland integriert sind, am 31. Oktober 2022 seit fünf Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis in Deutschland leben, nicht straffällig geworden sind und sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen. Gleichzeitig möchte die Bundesregierung aber die Ausweisung von Straftätern und Gefährdern konsequenter und zügiger vollziehen und dafür die entsprechenden Voraussetzungen schaffen.

Die Bundesregierung sieht in der Einwanderung von qualifizierten Fachkräften aus Drittstaaten eine Notwendigkeit, um dem Fachkräftemangel in Deutschland zu begegnen. Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz seien dazu fundamentale Weichen gestellt worden, allerdings seien aus Sicht der Bundesregierung weitere gesetzgeberische Maßnahmen erforderlich, damit die Bundesrepublik Deutschland für weltweit nachgefragte Fachkräfte und ihre Familienangehörigen als Einwanderungsland attraktiver wird.

Für Asylbewerber sind unzureichende deutsche Sprachkenntnisse nach Einschätzung der Bundesregierung das größte Hindernis für die Aufnahme einer Beschäftigung, die die eigene Sicherung des Lebensunterhalts gewährleistet, was auch durch zahlreiche wissenschaftliche Erkenntnisse belegt werde. Gleichzeitig haben viele Ausländer, deren Aufenthalt zur Durchführung des Asylverfahrens gestattet ist, trotz Arbeitsmarktzugang keinen Zugang zur Sprachförderung des Bundes. Dies birgt aus Sicht der Ampel-Koalition die Gefahr, dass sie aufgrund unzureichender Sprachkenntnisse keine Beschäftigung finden und auf Sozialleistungen an-
gewiesen sind. Ziel sei es deshalb, ihnen durch einen frühzeitigen Zugang zur Sprachförderung die Aufnahme einer Beschäftigung zu erleichtern.

Welches Ziel verfolgt die Bundesregierung mit diesem Gesetzesvorhaben?

Die Bundesregierung sieht die Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts als ersten Schritt auf dem Weg zu einem Neuanfang in der Asyl-, Migrations- und Integrationspolitik und einer umfassenden Modernisierung des Einwanderungsrechts. Indem langjährig Geduldeten durch eine 18-monatige Aufenthaltserlaubnis ermöglicht wird, alle erforderlichen Voraussetzungen für ein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland zu erfüllen, soll die bisherige Praxis der Kettenduldungen beendet werden. Dies ist laut Bundesregierung sowohl für Betroffene wie auch für die Behörden eine große Belastung gewesen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser dazu: „Damit beenden wir auch die Bürokratie und die Unsicherheit für Menschen, die schon Teil unserer Gesellschaft geworden sind.“

Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Regelung rund 136.000 Menschen betrifft, die bereits gut in Deutschland integriert sind.

Warum ist das Gesetzesvorhaben relevant für KMU / den Mittelstand?

Laut ifo-Institut sah sich im Juli 2022 rund die Hälfte aller Unternehmen in Deutschland durch den Fachkräftemangel beeinträchtigt. Auch der generelle Mangel an Arbeitskräften in verschiedenen Bereichen wie zum Beispiel an Flughäfen oder in der Gastronomie sorgt für Einschränkungen in der Wirtschaft und dem Alltag der Bürger. Neben der Ausschöpfung des inländischen Potentials an Arbeitskräften spielt daher auch der Zugang ausländischer Arbeitskräfte zum deutschen Arbeitsmarkt eine bedeutende Rolle. Die Bundesregierung erhofft sich durch das Chancen-Aufenthaltsrecht eine Linderung der akuten Personalengpässe in vielen Bereichen. Die Migrationsexpertin der Grünen-Bundestagsfraktion, Filiz Polat, erklärte gegenüber dem Handelsblatt: „Profitieren werden auch unzählige Unternehmen, gerade aus dem Mittelstand, die händeringend Arbeitskräfte suchen und schon seit Längerem auf pragmatische Verfahren im Aufenthaltsrecht dringen.“

Wichtige Daten und Ereignisse

Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz vom 15. August 2019 hat der Gesetzgeber bereits wichtige Weichen gestellt, um mehr ausländische Fachkräfte für den deutschen Arbeitsmarkt zu gewinnen. Die Ampel-Koalition sieht allerdings weitere gesetzgeberische Maßnahmen als erforderlich an, damit Deutschland für weltweit nachgefragte Fachkräfte und ihre Familienangehörigen als Einwanderungsland attraktiver wird. In ihrem Koalitionsvertrag vom 7. Dezember 2021 haben SPD, Grüne und FDP daher beschlossen, in der Migrations- und Integrationspolitik einen Neuanfang zu gestalten, "der einem modernen Einwanderungsland gerecht wird". Die Koalitionäre bekunden dort den Willen, irreguläre Migration zu reduzieren und reguläre Migration zu ermöglichen sowie "das komplizierte System der Duldungstatbestände" zu ordnen und "neue Chancen für Menschen zu schaffen, die bereits ein Teil unserer Gesellschaft geworden sind". Am 27. Mai 2022 hat das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) einen Referentenentwurf zu einem Gesetz zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts vorgelegt. Dieser Entwurf des BMI wurde am 6. Juli 2022 vom Bundeskabinett verabschiedet. Der Bundesrat hat am 6. September 2022 eine Stellungnahme zum Kabinettsentwurf abgegeben. Der Gesetzesentwurf wurde am 19. Oktober erstmals im Bundestag beraten und am 2. Dezember in modifizierter Fassung verabschiedet. Nachdem der Bundesrat das Gesetz am 16. Dezember billigte, wurde es schließlich am 30. Dezember im Bundesgesetzblatt veröffentlicht und tritt am Tag nach seiner Verkündung in Kraft.

Die DMB-Bewertung

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Um den derzeitigen und künftigen Arbeits- und Fachkräftebedarf zu decken, ist die deutsche Wirtschaft auf Arbeits- und Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen. Daher ist es wichtig, dass Deutschland zu einem attraktiven Einwanderungsland wird, das Zuwanderern einen unkomplizierten Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht. Das Ziel der Bundesregierung, die Asyl-, Migrations- und Integrationspolitik zu reformieren und das Einwanderungsrecht insgesamt zu modernisieren, ist daher aus Sicht des Mittelstands positiv. Durch das Gesetz erhalten Asylbewerber bereits während ihres laufenden Asylverfahrens einen Zugang zu Integrationskursen, unabhängig von ihrer Bleibeperspektive. Asylbewerber verlieren so keine wertvolle Zeit, bei ihrer Integration und der Vorbereitung für den Arbeitsmarkt. Da beim Ehegattennachzug ausländischer Fachkräfte ein Nachweis deutscher Sprachkenntnisse nicht mehr verpflichtend ist, entfällt eine weitere Hürde für Fachkräfte und ihre Familien auf dem Weg nach Deutschland. Außerdem ist positiv zu bewerten, dass bestimmte Regelungen des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes entfristet werden, die die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen zwecks Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen betreffen.

Konstantin Kuhle, Vize-Fraktionsvorsitzender der FDP, erklärte gegenüber dem Handelsblatt jedoch auch, dass eine gezielte Einwanderungsoffensive notwendig sei und der Gesetzentwurf des Chancen-Aufenthaltsrechts noch nicht der entscheidende Schritt ist, um das Problem des Arbeitskräftemangels zu lösen.

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