25.03.2025
Potenziale heben, Zukunft sichern: Strategien für nachhaltige Fachkräftesicherung

Wirtschaft und Politik sind sich einig: In Deutschland fehlen Fachkräfte. Doch welche Maßnahmen sind wirksam, um die Lücke zu schließen? Eine Analyse der Hans-Böckler-Stiftung zeigt, dass es zu kurz greift, einfach nur das Bürgergeld zu senken und das Renteneintrittsalter zu erhöhen. Dem Fachkräftemangel lässt sich nachhaltig nur mit einer umfassenden Arbeitsmarkt-, Familien- und Qualifizierungspolitik begegnen.
In Deutschland fehlen Fachkräfte. Darin ist sich die Politik einig. Doch darüber, welche Strategie nun den gewünschten Effekt liefert, herrscht Uneinigkeit. Oft genannte Argumente zur Sicherung nationaler Fachkräfte umfassen Kürzungen des Bürgergelds oder die Erhöhung des Renteneintrittsalters.
Eine Analyse des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung zeigt jedoch, dass diese Überlegungen zu kurz greifen und nicht die Realität des deutschen Arbeitsmarkts widerspiegeln. Um die Fachkräftelücke zu schließen und ungenutzte Potenziale zu heben, sei es unerlässlich in Weiterbildung, betriebliches Gesundheitsmanagement, Schulen sowie in Kinderbetreuung zu investieren. Zusätzlich zur Anhebung und Ausschöpfung inländischer Potenziale bedarf es der Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland. Schätzungen von Experten gehen davon aus, dass bis 2027 knapp 730.000 Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt fehlen werden, wenn keine gegensteuernden Maßnahmen ergriffen werden.
Welche Strategien tragen zu einer nachhaltigen Fachkräftesicherung bei?
Um mehr Menschen in eine stabile und qualifizierte Beschäftigung zu bringen, ist es laut WSI notwendig, ungenutzte Arbeitsmarktpotenziale durch eine gezielte Arbeitsmarkt-, Qualifizierungs- und Familienpolitik zu mobilisieren. Folgende vier Personengruppen sollten dabei besonders in den Fokus genommen werden:
Personen ohne berufsqualifizierenden Abschluss
Im Jahr 2022 hatten in Deutschland 2,86 Millionen junge Erwachsene zwischen 20 und 34 Jahren keinen formal qualifizierenden Berufsabschluss. Um dem entgegenzuwirken, braucht es laut WSI eine aktive Förderung von Schul- und Berufsabschlüssen. Ohne eine berufliche Qualifikation sinken nicht nur die Chancen auf einen stabilen Erwerbsverlauf, sondern auch das Risiko, dauerhaft arbeitslos zu bleiben, steigt erheblich. Ein qualifizierender Schulabschluss bildet demnach die Grundlage für den Eintritt in eine Berufsausbildung. Darüber hinaus müssen bestehende Instrumente der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik, wie z. B. Mentoring- oder Berufsorientierungsprogramme, ausgeweitet werden. So erhalten mehr Menschen die Möglichkeit, Schulabschlüsse nachzuholen, eine Berufsausbildung zu beginnen oder sich durch Weiterbildungsangebote zu qualifizieren. Eine konsequente Förderung dieser Maßnahmen kann nicht nur individuelle Perspektiven stärken, sondern auch den Fachkräftebedarf nachhaltig decken.
Erhöhung der Erwerbstätigkeit von Frauen
Neben der Förderung junger Menschen spielt die Erhöhung der Erwerbstätigkeit von Frauen eine zentrale Rolle, heißt es im WSI-Bericht. Laut Expertenschätzungen könnte eine Erhöhung des Potenzials um 10 Prozent bis 2027 zu einem Zuwachs einer Million Erwerbstätigen führen. Ein wesentliches Hemmnis hierfür sei das unzureichende Angebot an Kinderbetreuung und Pflegeinfrastruktur. Dies hindere viele Frauen daran, ihre Arbeitszeit auszuweiten oder führe in vielen Fällen sogar zu einer Reduzierung der Erwerbsarbeit. Der Ausbau von Kinderbetreuung und Unterstützung bei der Pflege von Angehörigen ist daher eine grundlegende Voraussetzung, um die Erwerbsbeteiligung von Frauen zu steigern. Gleichzeitig bedarf es einer Umverteilung der Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern, sodass Frauen die Möglichkeit haben mehr Erwerbsarbeit zu leisten. Frauen übernehmen nach wie vor einen Großteil der Aufgaben im Haushalt und in der Betreuung von Angehörigen. Um eine ausgewogenere Aufteilung zu fördern, sollten Maßnahmen wie das Elterngeld weiter ausgebaut werden, sodass auch vermehrt Väter ihren Anspruch wahrnehmen. Gleichzeitig müssten strukturelle Hemmnisse, wie das Ehegattensplitting, abgeschafft werden, da es vor allem Paare mit hohen Einkommensunterschieden begünstigt und somit eine ungleiche Verteilung der Sorgearbeit und so auch der Erwerbsarbeit fördert. Diese Regelung setzt falsche Anreize, die insbesondere Zweitverdiener, meist Frauen, benachteiligen. Nur so kann eine faire und nachhaltige Gleichstellung im Arbeitsmarkt erreicht werden.
Anwerbung von Fachkräften im Ausland
Ein weiterer Ansatz zur Fachkräftesicherung liege in der gezielten Anwerbung und Integration von Fachkräften aus dem Ausland. Hierbei könne insbesondere die Rekrutierung in Drittstaaten sowie die Optimierung der Blaue Karte EU, einen bedeutenden Beitrag leisten. Um die langfristige Integration zu gewährleisten, brauche es zudem eine Ausweitung von Sprach- und Integrationskursen sowie ein beschleunigtes Anerkennungsverfahren ausländischer Abschlüsse. Auch der Ausbau der Kinderbetreuung und Bildungsangebote für die Kinder internationaler Fachkräfte spiele eine Schlüsselrolle, da diese Maßnahmen nicht nur die Teilhabechancen erhöhen, sondern auch langfristige Bildungspotenziale für die Fachkräftesicherung schaffen. So könnten bis 2027 etwa 850.000 Beschäftigte gewonnen werden.
Erhöhung der Erwerbstätigkeit von älteren Beschäftigten
Die Analyse des WSI zeigt, dass auch die Zielgruppe der älteren Beschäftigten nicht außer Acht gelassen werden darf. Durch verbesserte Arbeitsbedingungen, wie flexible Arbeitszeitmodelle und ein stärkeres Augenmerk auf Gesundheits- und Personalmanagement können ältere Arbeitnehmer länger im Erwerbsleben verbleiben. Dies sei nicht nur für die individuelle Lebensgestaltung von Vorteil, sondern auch ein wichtiger Beitrag zur Deckung des Fachkräftebedarfs. Insgesamt könnten somit 667.000 Beschäftigte mehr gewonnen werden. Daher ist es für Unternehmen essenziell, ihre Unternehmenskultur anzupassen und älteren Beschäftigten passende Rahmenbedingungen zu bieten, um ihre Potenziale bestmöglich zu nutzen.
Unser Appell an die Politik
Die Studienergebnisse des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung zeigen, dass wir dringend eine aktive Arbeitsmarktpolitik brauchen, die sich den aktuellen Herausforderungen des Fachkräftemangels stellt. Um die Qualifikationslücke zu schließen und die Transformation der Arbeitswelt erfolgreich zu gestalten, brauchen wir konkrete Maßnahmen.
Ein erster Schritt in die richtige Richtung war laut WSI die Einführung des Qualifizierungsgelds der Ampel-Regierung. Damit können Arbeitnehmer für die Dauer einer beruflichen Weiterbildung eine Entgeltersatzleistung von der Bundesagentur für Arbeit erhalten. Ziel des Qualifizierungsgeldes ist es, Beschäftigten eine zukunftssichere Tätigkeit zu ermöglichen und sie in die Lage zu versetzen, den Anforderungen eines sich verändernden Arbeitsmarktes gerecht zu werden. Ob diese Maßnahmen letztendlich die gewünschten Resultate erzielen und vor allem niedrige Einkommensgruppen ebenfalls davon profitieren werden, bleibt allerdings abzuwarten.
Der Vorschlag, eine Bildungs(teil)zeit einzuführen, muss von der zukünftigen Bundesregierung zeitnah aufgegriffen und umgesetzt werden. Die Bildungsteilzeit bietet Beschäftigten die Möglichkeit, ihre Arbeitszeit zu reduzieren und gleichzeitig berufliche Weiterbildungen zu absolvieren – ohne das Arbeitsverhältnis aufzugeben. Lohnersatzleistungen sollen dabei helfen, finanzielle Einbußen auszugleichen. Vor dem Hintergrund einer nachhaltigen Fachkräftesicherung ist die Bildungs(teil)zeit besonders wichtig. Sie fördert den Erwerb neuer beruflicher Qualifikationen, erleichtert Umschulungen und hilft so, Fachkräftepotenziale zu aktivieren und den wachsenden Anforderungen des Arbeitsmarktes gerecht zu werden.
Neben der Bildungs(teil)zeit muss die neue Bundesregierung auch verstärkt in die Qualität und Quantität von Weiterbildungsangeboten investieren. Dies umfasst sowohl finanzielle Anreize für Unternehmen als auch den Ausbau von Bildungsinfrastrukturen, um ein möglichst breites Spektrum an Qualifikationen zu fördern. Wir als DMB fordern deshalb die Einführung eines nationalen Fachkräftesicherungsprogramms. Auch der Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland sollte verstärkt nachgegangen und dieser Prozess vor allem digitaler gestaltet werden. Vor diesem Hintergrund muss sich die neue Bundesregierung endlich mit der Attraktivität Deutschlands als Einwanderungsland auseinandersetzen und verbesserte Willkommens- und Integrationsangebote schaffen.
Um Eltern die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu ermöglichen, ist der Ausbau der Kinderbetreuung unerlässlich. So können Eltern ihrem Beruf nachgehen, während ihre Kinder gut versorgt sind. Ein funktionierendes Pflegesystem ist ebenso dringend erforderlich, um eine qualitativ hochwertige Betreuung sicherzustellen und pflegende Angehörige zu entlasten. Flexiblere Arbeitszeiten für pflegende Angehörige sind daher ein Muss, ebenso wie finanzielle Unterstützung und der Ausbau von Tages- und Kurzzeitpflegeangeboten.
Insgesamt brauchen wir in Deutschland folglich ein umfassendes Maßnahmenpaket der neuen Bundesregierung. Dieses muss sich den genannten Potenzialen bedienen, um den Herausforderungen des Fachkräftemangels langfristig und nachhaltig zu begegnen. Nur so kann der Wirtschaftsstandort Deutschland wettbewerbsfähig bleiben und gleichzeitig soziale Gerechtigkeit gewahrt werden.
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