10.06.2025

Arbeit & Bildung

„Führung heute heißt: Vertrauen, Verantwortung – und technologische Kompetenz“

Führungsexperte Neil Scholten (links) im Interview mit Referentin Luisa Lippert (rechts)

In einer Arbeitswelt, die sich rasant verändert, stehen Führungskräfte vor ganz neuen Herausforderungen: Vertrauen statt Kontrolle, Diskurs statt Anweisung, Orientierung statt Mikromanagement. Im Interview erklärt Berater und Führungsexperte Neil Scholten, warum der Mittelstand oft zu lange zögert, externe Hilfe anzunehmen, weshalb klassische Leistungsbewertungen wie bei SAP in Deutschland an ihre Grenzen stoßen – und was moderne Führung heute wirklich bedeutet.

Neil Scholten im Interview

DMB: Herr Scholten, Sie beobachten seit Jahren die Entwicklung von Führungskultur. Wie hat sich Führung in den letzten Jahren – insbesondere in Krisenzeiten – verändert?

Neil Scholten: Führung ist heute weit weniger hierarchisch und kontrollorientiert als früher. Die Rolle der Führungskraft hat sich von der Anweisung hin zur Orientierung verändert. In Krisenzeiten suchen Teams nicht nach Mikromanagement, sondern nach Stabilität und Richtung. Statt zu sagen, wie etwas zu tun ist, geht es darum, das Warum zu vermitteln. Mitarbeitende bekommen mehr Freiraum für die Lösungsfindung – und das zahlt auf Motivation, Selbstverantwortung und Innovationsfähigkeit ein. Gute Führung sorgt für psychologische Sicherheit und traut dem Team etwas zu.

SAP hat kürzlich ein Kopfnoten-System zur Bewertung von Mitarbeitenden eingeführt. Was halten Sie davon?

Das SAP-Modell mit Kopfnoten stammt aus der US-amerikanischen Unternehmenskultur, ist aber im deutschen Kontext schwierig. In Deutschland sind leistungsbedingte Kündigungen rechtlich kaum umsetzbar. Der Arbeitsmarkt gibt es auch nicht her: Fachkräftemangel, lange Onboarding-Zeiten und hohe Kosten für Qualifizierung machen ein schnelles Austauschen von Mitarbeitenden nahezu unmöglich. Kurzfristig mag so ein Modell Druck erzeugen, strategisch ist es riskant. Wer nachhaltige Erfolge will, sollte auf Entwicklung, statt auf Selektion setzen – insbesondere im Mittelstand.

 

Wo sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen für Führung im deutschen Mittelstand?

Der Mittelstand ist stark von persönlichen Beziehungen geprägt – das ist ein Vorteil. Doch oft fehlt der strategische Blick. Viele Unternehmen merken zwar, dass Veränderung notwendig ist, wissen aber nicht, wo sie ansetzen sollen. Beratungsmandate entstehen häufig erst, wenn der Leidensdruck hoch ist. Es mangelt an Mut zur Selbstreflexion, viele Führungskräfte tun sich schwer damit, zu akzeptieren, dass sie selbst Teil des Problems sind. Auch strukturell ist der Mittelstand unter Druck: Digitalisierung, Fachkräftemangel und der wachsende Leistungsdruck kollidieren mit gewachsenen Strukturen.
 

Neil Scholten berichtet über die Vorteile, externe Beratung frühzeitig einzubeziehen

Warum tun sich viele mittelständische Unternehmen schwer damit, externe Beratung anzunehmen?

Im Mittelstand herrscht oft ein hohes Maß an Eigenverantwortung und Stolz auf das Erreichte – das ist nachvollziehbar, kann aber zu einer gewissen Beratungsresistenz führen. Viele Inhaber und Führungskräfte sagen sich: „Das haben wir immer selbst geschafft, warum jetzt Hilfe holen?“ Erst wenn der Schmerz groß genug ist – sei es wirtschaftlich, strukturell oder personell – wird Beratung als Option ernsthaft in Erwägung gezogen. Hinzu kommt die Sorge, Kontrolle abzugeben oder kritische Spiegelung auszuhalten. Gute Beratung setzt aber genau da an: bei der Bereitschaft, offen über blinde Flecken zu sprechen und gemeinsam Lösungen zu entwickeln.
 

Fehlerkultur ist in diesem Kontext ein oft bemühtes Schlagwort. Was braucht es konkret, damit sie funktioniert?

Fehlerkultur beginnt nicht beim Fehler, sondern beim Umgang danach. Viele Unternehmen strafen Fehler indirekt ab – etwa durch Entzug von Verantwortung oder Ausschluss aus Entscheidungen. Dabei sind es oft genau die Menschen, die Kritik äußern oder unbequem sind, die als Sprachrohr für viele andere dienen. Statt sie zu ignorieren, sollten Führungskräfte diese „Change Champions“ aktiv einbinden. Diskurs ist kein Störfaktor, sondern ein Innovationsmotor. Vertrauen, Transparenz und das Zulassen von Experimenten machen eine reife Fehlerkultur aus.

Was sind die wichtigsten Kompetenzen für die Führungskraft der Zukunft?

Vier Dinge sind entscheidend: Erstens, Prioritäten setzen – das heißt nicht nur sortieren, sondern auch bewusst Aufgaben streichen. Zweitens, den eigenen Wertbeitrag kennen und Aufgaben abgeben, für die andere besser geeignet sind. Drittens, strategisch denken – Strategie ist kein Projektplan, sondern die klare Richtung in komplexen Umfeldern. Viertens, technologische Kompetenz – speziell im Bereich Künstliche Intelligenz. Wer hier mithalten will, sollte bereit sein, 500 bis 1.000 Stunden über zwei bis vier Jahre in Weiterbildung zu investieren. Denn KI ist keine Zukunftsmusik – sie ist bereits Realität.
 

»Führung ist kein Kuschelkurs. Es geht darum, zur richtigen Zeit der richtige Guide für die passende Zielgruppe zu sein. Das kann auch bedeuten, klare und deutliche Ansagen zu machen – auch mal harte. Das gehört zur Führungsaufgabe dazu.
Oft ist Führung aber dann besonders wirksam, wenn ein gemeinsames Ziel im Fokus steht und alle durch gezielte Impulse und Unterstützung angeregt werden, ihre individuellen Stärken in ihre persönliche Performance-Zone zu bringen. So entsteht echte Leistungsfähigkeit – nicht trotz, sondern durch gute Führung.

Neil Scholten | Berater und Führungsexperte

Zur Person

Neil Scholten

Neil Scholten ist Executive Sparringspartner und Interim Manager mit mehr als 20 Jahren Erfahrung in der Führung und Transformation von Unternehmen. Er unterstützt Mittelstand und Einzelpersonen bei der Digitalisierung, Organisationsentwicklung und dem Aufbau moderner Führungsstrukturen. Seine Schwerpunkte liegen auf nachhaltigem Wandel, Krisenbewältigung und der erfolgreichen Integration technologischer Innovationen wie Digitaler Transformation, Cloud Computing und Künstlicher Intelligenz. Neil ist Gründer, Vater und ein leidenschaftlicher Treiber für Klarheit, Wirksamkeit und echte Umsetzungskraft.

Zur Autorin

Luisa Lippert

Referentin Wirtschaft & Politik

+49 0211 200525-38
luisa.lippert@mittelstandsbund.de