12.06.2025
Zu beschäftigt für Verbesserung – Führung in der Operativ-Falle

Neil Scholten: „Wir wissen, dass wir es anders machen müssten. Aber dafür haben wir einfach keine Zeit."
Wenn ich diesen Satz höre, weiß ich: Ich habe die richtigen Leute vor mir. Und gleichzeitig das falsche Verständnis von Führung.

Sie kennen das. Als Geschäftsführer oder Inhaber im Mittelstand sind Sie meist stark operativ eingebunden. Sie kommen aus dem Fachbereich, können anpacken und wissen, was nötig ist, um das Geschäft am Laufen zu halten. Sie springen ein, wenn's klemmt bei wichtigen Kunden. Sie treffen „eben schnell" noch eine Entscheidung für das Projektteam, helfen bei der Budgetplanung aus, lösen den Konflikt zwischen Vertrieb und IT. Kurzum: Sie funktionieren.
Bis es knallt.
Der Knall muss nicht immer groß sein. Manchmal ist es schleichend - 60-Stunden-Wochen werden zur Gewohnheit, Ihre besten Leute kündigen, wichtige Marktchancen werden verpasst, weil Sie nicht rechtzeitig strategisch reagiert haben. Meist aber bleibt es unauffällig, bis es zu spät ist.
Die Operativ-Falle, wenn Führung verschwindet
Operative Führung heißt: Aufgaben erledigen, Dringendes zuerst, laut vor wichtig. Im Tagesgeschäft wird jede Kundenanfrage aufdringlich, jedes Projektproblem dringend, und jede Stunde zu kurz. Strategisches Denken, langfristige Marktbeobachtung, Organisationsentwicklung: alles Luxus, alles vertagt.
Klingt dramatisch, ist aber Alltag in deutschen Mittelstandsunternehmen. Und gleichzeitig das Kernproblem vieler, die sich fragen, warum digitale Transformation nicht gelingt, warum Fachkräfte schwer zu finden sind, warum der Wettbewerb oder Markteinsteiger plötzlich vorne liegt.
»Die Operativ-Falle entsteht, wenn Geschäftsführer das Gefühl haben, sie müssten alles selbst entscheiden und kontrollieren. Sie glauben, unentbehrlich zu sein. Das ist ein Trugschluss.

Hier liegt das Nicht-Intuitive, das Paradox. Tatsächlich sind sie in diesem Moment nicht entbehrlich. Sie werden sogar zwingend gebraucht. Ohne geht es nicht. Die Ursache ist nur nicht die Situation im Moment, sondern die kontinuierliche Vernachlässigung der eigentlichen Führungsaufgabe: Orientierung geben, Strukturen schaffen, Zukunft gestalten. Das Fundament legen für eine Nicht-Situation. Heute in der Zukunft arbeiten.
In mittelständischen Unternehmen mit 50 bis 500 Mitarbeitenden ist dieses Phänomen besonders ausgeprägt. Sie sind groß genug, um komplex zu sein, aber noch klein genug, dass sich der Chef überall einmischen kann. Das Ergebnis: Hochqualifizierte Führungskräfte warten auf Entscheidungen, während der Geschäftsführer im Meeting über die Büroausstattung sitzt.
Was Führung in der Komplexität braucht: Klarheit, nicht mehr Kontrolle
Führung im Mittelstand heißt nicht, alles selbst zu entscheiden. Führung heißt, dafür zu sorgen, dass richtig entschieden wird - durch die kompetentesten Menschen, mit den notwendigen Informationen und einer klaren strategischen Zielgebung.
Meine Mandate beginnen häufig mit diesem Schritt: Raus aus der Mikrosteuerung, rein in die strategische Klarheit.
»Ich frage konkret:
- Welche Entscheidung, die Sie heute getroffen haben, beeinflusst Ihr Geschäftsergebnis um mehr als 2%?
- Wo blockieren Sie unbewusst Ihre eigenen Führungskräfte?
- Wie viel Zeit verbringen Sie mit Themen, wofür sie Mitarbeitende eingestellt haben?
Meist sehe ich zuerst Widerstand („Aber wenn ich das nicht mache, läuft es schief!"), danach erleichtertes Aufatmen. Es wird schnell klar: Vieles können Mitarbeitende nicht nur genauso gut, sondern oft sogar besser. Was gut ist, denn dafür wurden diese Menschen selbstverständlich eingestellt.

Der erste Schritt ist schmerzhaft, aber befreiend
Geschäftsführer, die ständig operativ eingebunden sind, haben Schwierigkeiten, „Nein" zu sagen. Nein zu spontanen Kundenterminen, nein zu Ad-hoc-Projektbesprechungen, nein zu Detailentscheidungen, die andere treffen sollten.
Dabei ist „Nein sagen" die wertvollste Führungsqualität im modernen Mittelstand, gerade wenn alles gleichzeitig wichtig erscheint.
Diese Erkenntnis ist nicht neu. Ihre Umsetzung entscheidet aber klar über Erfolg oder Misserfolg der Mandatierung.
Die drei häufigsten Fallen in meinen Mandaten
Konkrete Schritte aus der Operativ-Falle
- Die 80/20-Analyse
Dokumentieren Sie eine Woche, womit Sie Ihre Zeit verbringen. Bewerten Sie: Wie viel strategischen Wert hat jede Tätigkeit? Wie gut können andere diese Aufgabe übernehmen? Sie werden überrascht sein.
- Die Delegation-Matrix
Erstellen Sie eine Liste aller Entscheidungen, die in einer Woche bei Ihnen landen. Kategorisieren Sie: Muss wirklich ich das entscheiden? Wer könnte es besser? Welche Kompetenzen braucht diese Person?
- Strategische Blöcke im Kalender
Blocken Sie mindestens vier Stunden pro Woche für strategische Arbeit, weitere vier für KI-Kompetenzaufbau. Nicht verhandelbar. Nutzen Sie diese für Marktbeobachtung, Zukunftstrends, Organisationsentwicklung.
Wenn der Sinn und Zweck des KI-Kompetenzaufbaus nicht glasklar ist: verwenden Sie den Strategische-Arbeit-Block, um genau dies herauszufinden.
- Das Stop-Doing-Meeting
Führen Sie monatlich ein Meeting nur mit der Frage: Was hören wir auf zu tun? Nicht „Was machen wir zusätzlich", sondern „Was lassen wir weg".
Was am Ende zählt
Führung beginnt bei Ihnen selbst. Führen Sie sich aus der Operativ-Falle.
Bitten Sie um Unterstützung. Bilden Sie Allianzen oder Accountability Partnerschaften.
Was auch immer notwendig ist, um in diesem Vorhaben erfolgreich zu werden: Tun sie es.
Genau hier beginnt echte Führung im Mittelstand. Nicht mit „mehr Einsatz", sondern mit mehr strategischer Klarheit und dem Mut, loszulassen, es jetzt wirklich anders zu machen.
Ihr Unternehmen braucht Sie als Visionär, Strategen und Organisationsentwickler. Nicht als überbezahlten Sachbearbeiter.
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