03.11.2025
„Investitionen in digitale Technologien liegen in Deutschland heute etwa auf dem Niveau von vor 20 Jahren“

Angesichts des demografischen Wandels und des zunehmenden Fachkräftemangels dürften die Produktivitätsgewinne durch die Digitalisierung mittelfristig zu einem der zentralen Wachstumstreiber für die deutsche Wirtschaft werden.
Ein eigenständiges Digitalbudget markiert einen Wendepunkt im Bundeshaushalt 2026. Doch während der Bund erstmals gezielt Mittel für Digitalprojekte bündelt, stagniert das Volumen privater Investitionen in den letzten Jahrzehnten nahezu. Im DMB-Interview erklärt Dr. Thomas Niebel vom Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), welche Rolle staatliche Investitionen für das gesamtwirtschaftliche Wachstum spielen und warum der Erfolg privater Unternehmensinvestitionen unterschiedlich stark ausfällt.
DMB: Welche Bedeutung messen Sie dem erstmalig eigenständigen Budget für das Digitalministerium bei? Welchen Einfluss hat das auf das gesamtwirtschaftliche Wachstum?
Niebel (ZEW): Die größere Transparenz durch ein eigenes Digitalisierungsbudget ist ein sehr positiver Schritt. So ist nachvollziehbarer, wofür öffentliche Gelder in diesem Bereich eingesetzt werden. Viele dieser Ausgaben sind Teil der Investition in eine wachstumsrelevante Infrastruktur und schaffen die Basis für künftiges Wirtschaftswachstum.
Zudem können öffentliche Investitionen in die Digitalisierung weitere private Ausgaben in diesem Bereich anstoßen. Wenn der Staat bei der Beschaffung innovativ vorgeht und dabei Start-ups sowie kleine und mittlere Unternehmen berücksichtigt, verstärkt das zusätzlich die positiven Effekte auf die Realwirtschaft. Auch Ausgaben für E-Government führen dazu, dass Unternehmen Zeit und Ressourcen sparen, die sie wiederum in weiteres Wachstum investieren können.
Neben dem Bund investiert der Mittelstand selbst im großen Rahmen Zukunftstechnologien. Wie ordnen Sie die Entwicklung der privaten Investitionen in den Digitalbereich ein?
Die Investitionen in digitale Technologien liegen in Deutschland heute etwa auf dem Niveau von vor 20 Jahren. Doch inzwischen bekommt man für jeden investierten Euro deutlich mehr Rechenleistung und einen größeren Funktionsumfang. Viele Unternehmen nutzen außerdem nach anfänglicher Skepsis zunehmend Cloud-Dienste, statt in eigene Hard- und Software zu investieren. Dennoch gibt es weiterhin große Unterschiede zwischen Branchen und Unternehmensgrößen.
„Ein ineffizienter analoger Prozess wird nicht automatisch effizient, wenn er eins zu eins digitalisiert wird.“
Dr. Thomas Niebel
Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsbereich „Digitale Ökonomie“ am Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung „ZEW“ in Mannheim
Warum wirken sich Investitionen in digitale Technologien bei manchen Unternehmen stärker aus als bei anderen?
Nicht jede Investition in digitale Technologien führt automatisch zu besseren Ergebnissen. Studien zeigen deutlich: Es reicht nicht, nur in Technik zu investieren. Genauso wichtig sind Investitionen in das Know-how der Mitarbeitenden und in die Organisationsstrukturen. Denn ein ineffizienter analoger Prozess wird nicht automatisch effizient, wenn er eins zu eins digitalisiert wird.

Trotz der insgesamt verhaltenen Wirtschaftsentwicklung zeigt sich die Digitalbranche robust. Welche Unterschiede lassen sich derzeit innerhalb der Digitalbranche erkennen?
Sowohl der Bitkom-ifo-Digitalindex als auch der ZEW-Stimmungsindikator für die IKT-Branche zeigen aktuell kein allzu ermutigendes Bild. Dennoch fällt das Geschäftsklima in der Digitalbranche insgesamt besser aus als in der Gesamtwirtschaft. Besonders interessant dabei ist der Blick auf die einzelnen Bereiche im ZEW-Indikator und die Einschätzung für das zweite Quartal 2025: So berichten beispielsweise die meisten IKT-Hardwarehersteller von steigenden Umsätzen, während IKT-Dienstleister eher rückläufige Umsätze angeben. Diese Unterschiede verdeutlichen, dass die Entwicklung innerhalb der Branche sehr heterogen ist.
Welches Potenzial steckt in der Digitalisierung für das Wirtschaftswachstum in Deutschland?
Der Einsatz generativer KI bietet bereits heute erhebliche Potenziale zur Steigerung der gesamten Wirtschaftsleistung. In den USA zeigt sich, wie der aktuelle KI-Boom einen wichtigen Beitrag zum Wirtschaftswachstum leistet. Das hängt dort vor allem mit gewaltigen Investitionen in Rechenzentren zusammen. Solche Dimensionen sind in Deutschland nicht zu erwarten. Dennoch ist davon auszugehen, dass die Digitalisierung die Produktivität mittelfristig weiter steigern wird. Angesichts des demografischen Wandels und des zunehmenden Fachkräftemangels dürften die Produktivitätsgewinne durch die Digitalisierung mittelfristig zu einem der zentralen Wachstumstreiber für die deutsche Wirtschaft werden.

Kommentar abgeben