18.06.2025

Nachfolge

Nachfolge mit Weitblick – wie Szenarien Zeit, Klarheit und neue Perspektiven schaffen

Viele Unternehmerinnen und Unternehmer warten zu lange oder handeln zu schnell. Wer die Übergabe jedoch frühzeitig als strategischen Prozess versteht, eröffnet sich und der nächsten Generation echte Handlungsfreiheit.

Viele Unternehmerinnen und Unternehmer stehen vor der Frage: Wann und wie gelingt die Übergabe? Doch oft sind die eigenen Kinder noch nicht so weit oder der Markt verändert sich schneller als gedacht. Der Beitrag zeigt, wie Szenarienplanung hilft, den Überblick zu behalten, Alternativen zu entwickeln und Entscheidungen gut vorzubereiten. So wird Nachfolge zum gestaltbaren Prozess statt zum Risiko.

„Mein Sohn ist erst 16. Vielleicht steigt er irgendwann ein. Vielleicht aber auch nicht.“ „Wir wollen nicht einfach übernehmen – wir wollen etwas daraus machen.“ „Ich hatte auf Plan A gehofft. Jetzt brauche ich einen Plan B.“

Solche Aussagen höre ich häufig, wenn Unternehmerfamilien über die Nachfolge sprechen. Sie spiegeln eine Realität, in der die Übergabe nicht mehr der letzte Schritt in einer klaren Laufbahn ist, sondern ein Prozess mit offenem Ausgang. Viele Beteiligte sind sich unsicher: Wann ist der richtige Zeitpunkt? Wie soll der Übergang ablaufen? Und wer übernimmt überhaupt? Gerade in Familienunternehmen wird die Nachfolge dadurch zur Herausforderung – aber auch zur großen Chance.

Keine Übergabe ohne Reifezeit

Viele Inhaber-innen im Mittelstand haben ihre Kinder erst spät bekommen – nach dem Aufbau des Betriebs, oder sie leben in einer zweiten Partnerschaft mit jüngeren Kindern. Diese sind heute 12, 15 oder 18 Jahre alt. Noch mitten in der Schule oder am Anfang von Ausbildung oder Studium. Aber noch weit davon entfernt, ein Unternehmen übernehmen oder führen zu können. 

Ein Beispiel: Ein Maschinenbauunternehmen aus Süddeutschland. Der Inhaber ist 55 Jahre alt. Sein Sohn ist 16 und besucht das Gymnasium. Technik interessiert ihn, konkrete Pläne hat er aber noch keine. Der Vater sagt: „Ich möchte ihm die Tür offenhalten. Aber ich will nicht, dass alles von ihm abhängt.“ Gemeinsam mit einem externen Berater entwickelt er eine Strategie: Der Betrieb wird Stück für Stück unabhängiger von ihm selbst. Ein erfahrener Mitarbeiter wird in die Führung eingebunden, Abläufe und Zuständigkeiten werden dokumentiert. Ziel ist es, die Firma so aufzustellen, dass sie auch ohne den Chef funktioniert. Der Sohn darf in den Ferien mitarbeiten – aber ohne Druck. Und der Vater gewinnt Sicherheit: Wenn der Sohn später einsteigen will – umso besser. Wenn nicht, bleibt der Betrieb handlungsfähig.

Szenarien statt Wunschbild

Viele Betriebsinhaber starten mit einem festen Bild im Kopf: „Meine Tochter macht das schon.“ Oder: „Ein Käufer wird sich schon finden.“ Doch Nachfolge lässt sich nicht erzwingen. Sie ist kein standardisierter Prozess. Vieles kann sich verändern: die Interessen der Kinder, die eigene Motivation, das wirtschaftliche Umfeld. Wer nur auf einen einzigen Plan setzt, läuft Gefahr, sich in eine Sackgasse zu manövrieren. 

Genau hier hilft Szenarienplanung. Sie bedeutet: verschiedene mögliche Zukünfte durchdenken – ohne sich vorschnell festzulegen. Was wäre, wenn die Tochter in ein paar Jahren doch übernehmen will? Was, wenn ein langjähriger Mitarbeiter Interesse zeigt? Was, wenn zwei Geschwister gemein sam führen möchten? Oder wenn ein externer Verkauf die bessere Lösung ist? 

Szenarien schaffen Klarheit in einer Phase voller Unsicherheiten. Sie eröffnen neue Handlungsspiel räume – und helfen, Entscheidungen vorzubereiten, anstatt sie aufzuschieben. Sie geben Unternehmerfamilien das gute Gefühl, nicht nur auf Veränderungen zu reagieren, sondern sie aktiv zu gestalten.

Neue Generation, neue Ideen

Hinzu kommt: Die nächste Generation bringt neue Perspektiven mit. Viele junge Nachfolgerinnen und Nachfolger wollen nicht einfach so weitermachen wie bisher. Sie denken digitaler, nachhaltiger, kooperativer. Für sie ist es selbstverständlich, Bestehendes zu hinterfragen und Neues einzubringen. Sie wollen nicht nur übernehmen – sie wollen mitgestalten. 

Doch dafür braucht es Raum, Vertrauen und Gespräche auf Augenhöhe. Denn Nachfolge ist mehr als eine Vertragsunterschrift. Es geht um Rollen, Beziehungen, Verantwortung. Und um den Mut, loszulassen und Neues zuzulassen.

Ein Beispiel: Drei Szenarien, eine gute Entscheidung 

Ein Familienunternehmen, stand vor einer wichtigen Weichenstellung: Die Firma lief stabil, doch der Automobilmarkt war im Umbruch – geprägt von steigenden Anforderungen der Vertragspartner, zunehmendem Konsolidierungsdruck und neuen Verträgen. Diese gingen mit einer Kündigung des bestehenden Händlernetzes einher und leiteten neue Bonusmodelle ein, die sich stark an Größe und Absatz orientierten. Es war klar: Heute war man noch ein interessanter Partner – künftig würde das durch die Netzkonsolidierung schwieriger werden. 

Der Vertrieb lohnte sich nur noch bei wachsendem Absatzvolumen. Für kleinere und mittelgroße Be triebe wurde es zunehmend schwer, dauerhaft profitabel zu wirtschaften. Hinzu kam: Die eigenen Kinder waren 10 und 12 Jahre alt. Eine Übergabe lag mindestens fünfzehn Jahre in der Zukunft. Trotzdem mussten jetzt Entscheidungen getroffen werden. 

Im Gesellschafterkreis wurden gemeinsam drei Szenarien entwickelt: 

1. Wachstum durch Übernahmen, finanziert über Fremdkapital – um Größenvorteile in einem konsolidierten Markt zu sichern. 

2. Rückzug aus dem Neuwagen-Vertrieb, Abfindung des Händlervertrags und Konzentration auf das profitable Jahreswagen- und Servicegeschäft – mit Blick auf einen mittelfristigen Cash-Out. 

3. Verkauf an eine größere Unternehmensgruppe, um im Zuge der Marktkonsolidierung frühzeitig eine starke Position einzunehmen. 

Alle Optionen wurden strategisch, betriebswirtschaftlich und familiär durchdacht. Letztlich erwies sich der Verkauf als attraktivste Lösung – unterstützt durch das günstige Timing aufgrund der Vertragskündigungen und des hohen Interesses seitens wachstumsstarker Gruppen. 

Die Verhandlungen wurden professionell vorbereitet und konnten entspannt mit mehreren Interessenten geführt werden. Der große Vorteil: Es standen immer echte Alternativen im Raum. 

Dieses Beispiel zeigt: Wer rechtzeitig Szenarien entwickelt, verschafft sich Klarheit und Handlungsspielraum. Die Unternehmerfamilie konnte im Jetzt eine fundierte, zukunftsfähige Entscheidung treffen.
 

Übergabe als Projekt denken

Die Nachfolge ist kein einmaliges Ereignis – sie ist ein mehrjähriger Prozess. Und sie sollte auch genauso behandelt werden: nicht als Nebenschauplatz, sondern als zentrales Unternehmensprojekt. So wie der Bau einer neuen Produktionshalle mit Fachplanern, Zeitplan und Budget sorgfältig vorbereitet wird, braucht auch die Übergabe eine durchdachte Strategie und oft externe Begleitung.

Wer zu kurzfristig plant, riskiert Reibungsverluste: Konflikte, unklare Zuständigkeiten, doppelte Arbeit. Wer dagegen früh beginnt, kann einen echten Entwicklungspfad gestalten – Schritt für Schritt, mit klaren Meilensteinen und Rückhalt aus der Familie und dem Betrieb.

Externe Begleitung bringt neue Perspektiven

Viele Unternehmerinnen und Unternehmer sind tief im Tagesgeschäft eingebunden. Zeit für Reflexion, Planung oder grundsätzliche Entscheidungen bleibt kaum. Oft fehlt auch der Blick von außen – auf das, was möglich wäre. Externe Beratung kann hier entscheidend helfen. Nicht, indem sie fertige Lösungen vorgibt, sondern indem sie den Rahmen schafft, um sie gemeinsam zu entwickeln.

Ob es um Standortbestimmung, Szenarien oder die konkrete Strategieentwicklung geht: Nachfolge braucht Struktur, Moderation und manchmal auch den ehrlichen Blick auf blinde Flecken. 

Ein Beispiel: Zwei Brüder aus der Oberpfalz stehen vor der Entscheidung, ob sie den Landgasthof ihrer Eltern übernehmen wollen. Der eine hat die Hotel- und Tourismusfachschule besucht, der andere ist gelernter Koch. Gemeinsam mit der Familie und externer Begleitung entwerfen sie ein gemeinsames Zukunftsbild:

  • Der Gasthof wird klarer positioniert: regionale Küche mit nachhaltigen Produkten 
  • Es entstehen Eventformate, ein Seminarhaus und Kooperationen mit regionalen Partnern. 
  • Die Eltern ziehen sich schrittweise aus dem Tagesgeschäft zurück, bleiben aber präsent. 
  • Die Brüder teilen sich Verantwortung, Küche und Konzept – entlang ihrer jeweiligen Stärken.

Dieses Zukunftsbild entsteht nicht von heute auf morgen. Aber es hilft, Rollen zu klären, Erwartungen abzugleichen und gemeinsam eine Perspektive zu entwickeln. Es zeigt: Nachfolge ist mehr als ein Generationenwechsel – sie kann ein echter Neustart sein. Auf der Basis von Vertrauen, Erfahrung und einer klaren Idee für die Zukunft.

Strukturen schaffen, anstatt Druck aufzubauen

Ob die Kinder noch zur Schule gehen, studieren oder schon im Betrieb mitarbeiten – eine gute Nach folge braucht Struktur. Nicht Druck. Eine Unternehmensübergabe ist keine Einbahnstraße. Sie braucht Zeit für Entwicklung, Raum für Lernen und Offenheit für individuelle Wege. 

Je klarer ein Betrieb strukturiert ist – in Prozessen, Zuständigkeiten und Kommunikation – desto leichter gelingt der Übergang. Und desto attraktiver ist der Betrieb – für die Nachfolger ebenso wie für potenzielle Käufer. 

Gerade im Mittelstand sind viele Betriebe stark auf die Inhaber-innen zugeschnitten. Das macht Über gaben besonders anspruchsvoll. Wer rechtzeitig beginnt, Wissen weiterzugeben, Abläufe zu dokumentieren und Verantwortung zu übertragen, gewinnt wertvolle Zeit und echte Optionen. Und er gibt der nächsten Generation die Freiheit, eine bewusste Entscheidung zu treffen: Ja zur Nachfolge oder Nein.

Fazit: Zukunft braucht Szenarien und Klarheit

Nachfolge ist kein starrer Plan A oder B. Sie ist ein dynamischer Prozess – voller Fragen, Emotionen und offener Wege. Wer früh beginnt, verschiedene Szenarien zu entwickeln, verschafft sich und seiner Familie Sicherheit und echten Gestaltungsspielraum. 

Es geht nicht darum, sofort alle Antworten zu haben. Sondern darum, die richtigen Gespräche zu führen. Und ein tragfähiges Fundament zu schaffen – für die Zukunft des Betriebs und der Menschen, die ihn tragen.

Zum Autor

Christian Schönberger

Christian Schönberger ist Berater und Moderator mit dem Schwerpunkt auf Unternehmensnachfolge in Familienunternehmen. Er begleitet Unternehmerfamilien bei der Entwicklung tragfähiger Nachfolgelösungen – mit einem ganzheitlichen Ansatz, der wirtschaftliche und zwischenmenschliche Aspekte vereint.

Er stammt selbst aus einem Familienunternehmen, in dem er über viele Jahre als Geschäftsführer tätig war – und kennt die Dynamiken und Herausforderungen von Familienunternehmern aus eigener Erfahrung.