Turmgespräch des Mittelstandes
Juni 2018

Folgen des Brexits für Unternehmen: Lehren aus dem Turmgespräch

Der DMB lud am 21. Juni 2018 erstmals Unternehmer, Politiker und Wissenschaftler zum Turmgespräch ein, um miteinander ins Gespräch zu kommen. An diesem Abend ging es um den Brexit und um seine unzähligen Auswirkungen. Es war der Auftakt des neuen Formats, das den DMB-Mitgliedern Orientierungshilfe zu wichtigen Themen geben und sie mit Experten vernetzen soll. Die Turmgespräche sollen zukünftig mehrmals im Jahr stattfinden, stets in intimer Atmosphäre und in den alten Gemäuern des Schlossturms. Die Auftaktveranstaltung war restlos ausgebucht.

Das lag nicht zuletzt an den hochkarätigen Gästen, die mit ihren Impulsvorträgen die Diskussionsrunde bereicherten: Da war zum Beispiel der Verkehrsminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst. Er schildert, wie die Landesregierung mit den EU-abtrünnigen Briten umgeht. Aus dem Europaparlament in Brüssel war Dr. Markus Pieper angereist, der dort Abgeordneter und Vorsitzender der Mittelstandspolitiker der Europäischen Volkspartei (EVP) ist. Michael Schmidt, Präsident der Britischen Handelskammer in Deutschland, gab einen kleinen Einblick in die britische Perspektive.

Der Zeitpunkt, um über das Thema zu sprechen, war gut gewählt: Das Referendum war fast auf den Tag genau zwei Jahre her. Seitdem beschäftigt der Brexit Geschäftsführer kleiner und mittlerer Unternehmer, Politiker, Juristen und Wissenschaftler in ganz Europa.

„Seit zwei Jahren geistert der Brexit wie ein Gespenst durch Europa“, sagte Moderator und WDR-Autor Andreas Turnsek. Auch deshalb passte das Gespräch gut in die Schlussturmspitze: Einer alten Sage zufolge spukt seit mehr als 400 Jahren ein Gespenst durch den Turm, dessen Seele keine Ruhe findet.

Verkehrsminister Hendrik Wüst wäre es lieber gewesen, wenn das Brexit-Gespenst Fiktion geblieben wäre, schließlich sind die Briten seit Jahrzehnten mit Deutschland verbunden, politisch und historisch, man konnte immer gut miteinander reden und verhandeln. Und auch wirtschaftlich sind Deutschland und Großbritannien eng verzahnt: So gibt es Waren, die bei ihrer Herstellung drei bis viermal über den Ärmelkanal geschickt werden, bevor es zum Kunden geht. In einem durchschnittlichen Auto, das in Großbritannien verkauft wird, stecken 17 Prozent deutsche Wertschöpfung. Große Unternehmen wie Ford kaufen jedes Jahr für mehrere Milliarden Euro Motoren auf der Insel, verarbeiten sie hierzulande und exportieren dann die fertigen Fahrzeuge. Ob das künftig weiter möglich sein wird, ist noch offen. Genauso wie die Frage, ob sich die zusätzlichen Zölle, der logistische Mehraufwand und der Papierkrieg für Unternehmen lohnen werden.

Für EU-Parlamentarier Markus Pieper zählen alle zu den Verlieren: Die EU, die Briten, die Politiker, Verbände und Unternehmer. „Mehr als 20.000 Gesetze und Verordnungen sind davon betroffen, die müssen jetzt alle wieder auseinandergedröselt werden.“ Dazu gehören beispielsweise Verordnungen aus der Flugsicherheit, Patent- und Urheberrechtsregelungen, einheitliche Richtlinien für die Sicherheit von Kinderspielzeug und Arzneimittel – eine Sisyphusarbeit für alle Beteiligten. Gleichzeitig fürchten Politiker wie Pieper den politischen Erdrutsch, den der Brexit auslösen und der die EU ins Wanken bringen könnte. „Ich halte den politischen Schaden für viel größer als den wirtschaftlichen“, sagte Pieper.

„Durch den Brexit

verlieren im Grunde alle.“

Hinzu kommt: Die Briten wissen immer noch nicht, was sie eigentlich wollen. Im britischen Parlament wird jeden Tag eifrig gestritten und debattiert. Bisher scheint es, als wolle die Mehrheit den Brexit nicht mehr abwenden. Fraglich ist, ob es einen harten oder einen weichen Brexit geben wird: ob also EU und Großbritannien sich auf Kompromisse in Form von Freihandelsabkommen und Sonderregelungen einigen können oder ob die EU hart bleibt und den Briten nicht zugesteht, sich die Rosinen herauszupicken. „Für Großbritannien war die EU-Mitgliedschaft ohnehin eher eine Clubmitgliedschaft und weniger ein europäisches Friedensprojekt“, sagte Pieper. Das hätten die Briten schon immer deutlich gemacht.

Das könne man vielleicht auch weniger negativ sehen, warf ein mittelständischer Unternehmer ein: Da er in Großbritannien nicht tätig sei, betreffe ihn der Brexit schließlich nur marginal, wenn überhaupt. Die Experten sahen das anders: Abonnenten des britischen Pay-TV-Senders Sky sind genauso betroffen wie alle Großbritannien-Touristen, die auch im Urlaub das Handy nutzen wollen, denn das wird ohne das gebührenfreie Roaming in der EU richtig teuer.

„Gibt es denn gar keine Vorteile?“, wollte ein anderer Besucher wissen. „Ich muss wirklich sehr lange überlegen“, antwortete Michael Schmidt, Präsident der Britischen Handelskammer in Deutschland. Der britische Agrarsektor gehöre wohl zu den wenigen Branchen, für die der Brexit eine gute Nachricht sei, schließlich werden künftig Lebensmittel aus dem Ausland teurer, entsprechend dürfte der Absatz von Lebensmitteln steigen, die im Inland hergestellt werden. Davon abgesehen gebe es aber unzählige Verlierer.

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Der DMB informiert umfassend über die Folgen des EU-Austritts des Vereinigten Königreichs unter Berücksichtigung wirtschaftlicher und politischer Perspektiven in seinem Themenschwerpunkt zum Brexit.

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