Europawahl 2019: Interview mit Dr. Katarina Barley, SPD
Dr. Katarina Barley (50) ist die Spitzenkandidatin der SPD bei der Europawahl 2019. Die deutsch-britische Juristin lebt in Schweich bei Trier. Seit 2013 gehört sie dem Deutschen Bundestag an. Von Dezember 2015 bis zu ihrer Ernennung als Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Juni 2017 war sie SPD-Generalsekretärin. Nach der Bundestagswahl 2017 führte sie zusätzlich das Amt der geschäftsführenden Arbeits- und Sozialministerin aus. Im März 2018 wurde sie zur Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz ernannt. Anlässlich der Europawahl 2019 hat der Deutsche Mittelstands-Bund (DMB) Dr. Barley fünf Fragen zu den relevanten Themen des Mittelstandes gestellt. Für ein Interview stand sie gerne zur Verfügung.
Schwerpunkte in der KMU-Europapolitik
Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sind das Fundament der deutschen und europäischen Wirtschaft. Der Umgang mit den Herausforderungen für den Mittelstand wie der Digitalisierung, der Unternehmensbesteuerung und -finanzierung sowie dem demographischen Wandel wird maßgeblich über die künftige Wettbewerbsfähigkeit europäischer KMU mitentscheiden.
Inwiefern hebt sich die KMU-Europapolitik ihrer Partei von der Politik der anderen Parteien ab?
Dr. Barley: Der Mittelstand bildet das Herzstück unserer Wirtschaftskraft. Die Innovationskraft des Wirtschaftsstandorts Europa hängt auch maßgeblich vom Erfolg unserer KMUs ab. Wir wollen, dass Europa gezielt KMUs fördert, die innovative und bahnbrechende Ideen entwickeln. Nur durch fortwährende Innovation und Qualität können sich europäische Produkte langfristig auf globalen Märkten behaupten. Dafür darf es für KMUs keine Wettbewerbsnachteile geben – ob im internationalen Handel oder bei der Erfüllung von Auflagen für den Binnenmarkt.
Hilfe bei der Digitalisierung
Das Digitalisierungsniveau von KMU muss europaweit deutlich ausgebaut werden. Kleine Unternehmen haben jedoch Schwierigkeiten damit, die dafür notwendigen finanziellen und organisatorischen Ressourcen aufzubringen. Zudem fehlt es vielerorts an Knowhow.
Wie kann das Digitalisierungsniveau von KMU erhöht werden und welche Förderschwerpunkte wollen Sie in Zukunft setzen?
Dr. Barley: Wir benötigen einen Rahmen, der Innovationen im Bereich der Digitalisierung und neue Geschäftsmodelle fördert und eine übermäßige Marktkonzentration einiger weniger großer Technologieunternehmen, die über ständig wachsende Datenströme verfügen, verhindert. Wer große Datenströme exklusiv kontrolliert, hat einen entscheidenden Vorteil gegenüber Wettbewerbern. Wir setzen uns daher für ein so genanntes Daten-für-alle-Gesetz ein. Dies soll regeln, dass Digitalunternehmen, die über eine bestimmte Zeit einen festgelegten Marktanteil überschreiten, einen anonymisierten und repräsentativen Teil ihrer gespeicherten Daten dem offenen Zugang zur Nutzung zur Verfügung stellen müssen. Hiervon könnten Start-Ups und kleine und mittlere Unternehmen profitieren.
Die SPD will in der kommenden Legislaturperiode durch eine effiziente Einbindung der Digitalisierung eine Entlastung von Verwaltungsvorgaben und Meldepflichten für mittelständische Unternehmen bewirken, wie dies etwa mit der Verabschiedung des Digital Single Gateways in der laufenden Legislaturperiode bereits erfolgt ist. Zudem liegt unser Augenmerk darauf, dass eine Förderung von mittelständischen Unternehmen in den Bereichen Big Data, Cybersicherheit oder künstliche Intelligenz erfolgt und entsprechend harmonisierte Regelungen in Europa dazu geschaffen werden, dass der Mittelstand das Potenzial des Europäischen Binnenmarktes besser ausschöpfen kann.
Unruhige politische Lage in Europa
Die bevorstehende Europawahl wird vom Brexit überschattet. Zudem bedrohen internationale Handelskonflikte die exportstarken europäischen Volkswirtschaften. Ein geeintes und handlungsfähiges Europa scheint wichtiger denn je.
Wie kann die EU in diesen politisch und wirtschaftlich unruhigen Zeiten geeint und gestärkt werden?
Dr. Barley: Europa hat den größten gemeinsamen Wirtschaftsraum der Welt geschaffen und erfolgreich damit begonnen, eine gemeinsame Währung einzuführen. Diesen Erfolg wollen wir weiter ausbauen und fordern eine noch bessere und wirksamere Integration der Wirtschaftspolitik – perspektivisch mit der Einrichtung einer Wirtschaftsregierung für den Euro-Raum unter politischer Führung eines europäischen Wirtschafts- und Finanzministers. Die praktische Gestaltung der sozialen Grundrechte hat in Europa allerdings nicht Schritt gehalten mit der gelungenen wirtschaftlichen Integration. Um dieses Ungleichgewicht auszugleichen, treten wir für eine neue Balance zwischen wirtschaftlichen Freiheiten und sozialen Rechten ein. Mit der Stärkung der sozialen Dimension Europas wird Europa insgesamt gestärkt. Darüber hinaus muss Europa treibende Kraft sein, die Verflechtung des Welthandels sozial, ökologisch und transparent zu gestalten. Nicht zuletzt wollen wir die europäische Demokratie und die Gemeinschaftsinstitutionen stärken, denn sie sind die Garanten dafür, dass nicht nationale Egoismen, sondern das gemeinsame europäische Interesse im Vordergrund steht.
Probleme bei der Unternehmensnachfolge
Die Effekte des demographischen Wandels zeichnen sich im Mittelstand deutlich ab: für die kommenden Jahre rechnen wir mit einer deutlichen Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage bei Unternehmensübergaben in Deutschland – dies gilt aber auch in vielen anderen europäischen Staaten.
Wie stehen Sie zu der DMB-Forderung, das Thema der Unternehmensnachfolge als gesamteuropäisches Problem zu begreifen und eine binnenmarktumfassende Lösungsstrategie zu erarbeiten?
Dr. Barley: Die SPD unterstützt ausdrücklich die Forderung des DMB nach einer binnenmarktumfassenden Strategie für Unternehmensnachfolgen, da eine misslungene Unternehmensübertragung sowohl für Unternehmer und Unternehmerin, als auch für die Belegschaft verheerende Auswirkungen haben kann. Zudem haben im Markt eingeführte Unternehmen in den meisten Branchen bessere Chancen sich durchzusetzen, als Neugründungen. Deshalb bekennt sich die SPD ausdrücklich zum Bericht des Europäischen Parlaments über Familienunternehmen in Europa (INI 2014/2210), als auch zum Aktionsplan Unternehmertum 2020 der Europäischen Kommission.
Bürokratieabbau - Hemmnisse abbauen
Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen leiden unter bürokratischen Lasten und hohen Informationspflichten. Mit dem Small-Business-Act (SBA) wurde ein wichtiger Grundstein für den Bürokratieabbau gelegt. Dennoch müssen weitere Schritte folgen – viele Unternehmer sehen in der EU weiterhin ein „Bürokratiemonster“.
Was sind aus Ihrer Perspektive sinnvolle Maßnahmen, um den Bürokratieabbau fortzuführen und bessere Rechtsetzung zu gewährleisten?
Dr. Barley: Die EU sollte insbesondere kleine und mittlere Unternehmen von unnötiger Bürokratie befreien. Europäische Gesetzgebung muss so detailliert wie nötig, aber so unbürokratisch und effektiv wie möglich gestaltet werden. Entscheidend ist daher ein kohärenter Prozess während des gesamten politischen Zyklus einer Gesetzesinitiative. Der Dialog mit Bürgern, Sozialpartnern und anderen Interessenträgern der Wirtschaft und Zivilgesellschaft trägt dazu bei für transparente, zielführende und kohärente Rechtsvorschriften der EU zu sorgen. Wir haben uns daher auch dafür eingesetzt, dass die Europäische Kommission im Rahmen ihrer Strategie für eine bessere Rechtsetzung den öffentlichen Konsultationsprozess aufwertet. Die Europäische Kommission hat mit dem REFIT-Programm bereits einen Mechanismus geschaffen, der Belastungen und Widersprüche im EU-Sekundärrecht identifiziert und überflüssige Regelungen aufhebt. Die SPD begrüßt das REFIT-Programm ausdrücklich. Wir befürworten, dass die Kommission weitere Anstrengungen unternimmt, um die Verwaltungslasten für kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) zu senken. Im Europäischen Parlament wollen wir unseren Beitrag dazu leisten, europäische Gesetzgebung grundsätzlich mittelstandsfreundlich zu gestalten, indem wir jederzeit die Situation kleiner und mittelständischer Unternehmen in Betracht ziehen. Zentral ist für die Europa-SPD hierbei: Der Abbau von Bürokratie darf nicht zur Deregulierung auf Kosten von Schutzstandards für Arbeitnehmer, Verbraucher und Umwelt führen.
Das Interview wurde am 03.05.2019 schriftlich mit Dr. Barley geführt.
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