13.05.2019Interview

Europawahl 2019: Interview mit Manfred Weber, CDU/CSU

Manfred Weber (46) ist europaweiter Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP) für das Amt des Kommissionspräsidenten und Spitzenkandidat von CDU und CSU zur Europawahl.  1972 kam Herr Weber in Niederhatzkofen, Niederbayern, in die Welt und ist seit 2004 Mitglied des Europäischen Parlaments, seit 2014 Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament und seit 2015 Stellvertretender Parteivorsitzender der CSU. Er hat im Laufe seiner Karriere bereits zwei Unternehmen gegründet und geführt. Er kennt somit die Herausforderungen von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) aus eigener Erfahrung. Der Umgang mit den Herausforderungen für den Mittelstand wie der Digitalisierung, der Unternehmensbesteuerung und -finanzierung sowie dem demographischen Wandel wird maßgeblich über die künftige Wettbewerbsfähigkeit europäischer KMU mitentscheiden.

Anlässlich der Europawahl 2019 hat der Deutsche Mittelstands-Bund (DMB) den Spitzenkandidaten der Parteien fünf Fragen zu den relevanten Themen des Mittelstandes gestellt. Welche Meinung haben sie und wofür möchten sie sich in den kommenden Jahren einsetzen?

Schwerpunkte in der KMU-Europapolitik

Was wären die Schwerpunkte einer KMU-Europapolitik mit einem möglichen EU-Kommissionspräsidenten Manfred Weber?

Manfred Weber: Unsere kleinen und mittelständischen Unternehmen schaffen etwa Zwei Drittel der Arbeitsplätze und sind mit ihrer Innovationsbereitschaft der zentrale Grund für die wirtschaftliche Stärke Europas. Deshalb unterstützen wir sie besonders. Im Bereich des Zugangs zu Finanzierung haben wir schon einiges erreicht: So ist beispielsweise im Rahmen des Horizont 2020-Programms ein gesondertes KMU-Instrument vorgesehen. Dieses Querschnittsinstrument ermöglicht eine Bottom-Up-Förderung innerhalb verschiedener Förderbereiche. Diesen Grundgedanken des einfachen Zugangs von KMUs zu Förderungen wollen wir natürlich auch in der Zukunft weitertragen.

Die Schlüsselfrage aber ist aus meiner Sicht die Handelspolitik. Es ist zentral, neue Absatzmärkte zu erschließen, um den kleinen und mittleren Unternehmen Wachstum zu ermöglichen. Für große Konzerne sind Zollgrenzen meist kein Problem, für die kleineren allerdings schon. Auf das Miteinander im Welthandel und die Handelspolitik werde ich besonderen Wert legen.

Hilfe bei der Digitalisierung

Das Digitalisierungsniveau von KMU muss europaweit deutlich ausgebaut werden. Kleine Unternehmen haben jedoch Schwierigkeiten damit, die dafür notwendigen finanziellen und organisatorischen Ressourcen aufzubringen. Zudem fehlt es vielerorts an Know-how. Wie kann das Digitalisierungsniveau von KMU erhöht werden und welche Förderschwerpunkte wollen Sie in Zukunft setzen?

Manfred Weber: Für mich gibt es hier zwei wesentliche Punkte: die Infrastruktur und das entsprechende Know-how. Ohne die erforderliche Infrastruktur hilft das beste Know-how nichts. Und anders herum genauso. Beide Aspekte müssen zusammen angepackt werden. Zum einen gilt es daher unbedingt den Breitbandausbau weiter voranzutreiben, damit Unternehmen einen ordentlichen Internetzugang erhalten. Zum anderen, muss natürlich auch das entsprechende Know-how aufgebaut und weitergegeben werden. Digitale Innovationszentren sind hier eine gute Möglichkeit, um KMUs in ihren Digitalisierungsbestrebungen zu unterstützen. Hier können neue Digitalisierungsstrategien erarbeitet und getestet werden sowie der Technologietransfer von Wissenschaft und Forschung gesichert werden. Investieren muss Europa aber vor allem auch in technologischen Schlüsselbereichen, wie der Künstlichen Intelligenz und in die verantwortungsvolle Nutzung von Big Data. Diese Technologien werden für die kommenden Jahre von entscheidender Bedeutung sein und hier müssen wir den Wandel hin zur digitalen Gesellschaft aktiv zum Wohle der Bürger und unserer Unternehmen gestalten - und zwar auf Basis europäischer Werte, nicht amerikanischer oder chinesischer.

Unruhige politischen Lage

Die bevorstehende Europawahl wird vom Brexit überschattet. Zudem bedrohen internationale Handelskonflikte die exportstarken europäischen Volkswirtschaften. Ein geeintes und handlungsfähiges Europa scheint wichtiger denn je. Wie kann die EU in diesen politisch und wirtschaftlich unruhigen Zeiten geeint und gestärkt werden?

Manfred Weber: Der Brexit ist in jeglicher Hinsicht ein Desaster – vor allem für Großbritannien, aber auch für die anderen EU-Länder. Das politische und wirtschaftliche Chaos in Großbritannien zeigt aber sehr deutlich, dass es besser ist, zusammen zu halten als getrennte Wege zu gehen. Gemeinsam können wir viel mehr erreichen als alleine. Durch die Überwindung der Krisen in den vergangenen Jahren und den Brexit rücken die EU-Staaten enger zusammen. Wir sind aus meiner Sicht geeinter als noch vor zehn Jahren, weil wir gelernt haben, dass uns mehr verbindet, als uns trennt.

Es sind unsere gemeinsamen Werte, unsere gemeinsame Vorstellung von einer freien und sozialen Gesellschaft, unser europäischer Lebensstil – dieser European Way of Life wird auf dieser Welt keineswegs von jedem geteilt. Wir müssen diese Errungenschaften in der Welt von morgen verteidigen. Daher braucht es eine stärkere Handlungsfähigkeit Europas nach außen. Wir sehen uns gerade in der Außenpolitik einer Vielzahl von Bedrohungen ausgesetzt gegen die kein Staat alleine bestehen kann. Deshalb müssen wir beispielsweise wegkommen vom Einstimmigkeitsprinzip.

Probleme bei der Unternehmensnachfolge

Die Effekte des demographischen Wandels zeichnen sich im Mittelstand deutlich ab: für die kommenden Jahre rechnen wir mit einer deutlichen Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage bei Unternehmensübergaben in Deutschland – dies gilt aber auch in vielen anderen europäischen Staaten. Wie stehen Sie zu der DMB-Forderung, das Thema der Unternehmensnachfolge als gesamteuropäisches Problem zu begreifen und eine binnenmarktumfassende Lösungsstrategie zu erarbeiten?

Manfred Weber: Im Moment ist es leider so, dass ein junger Mensch, der gerne sein eigenes Unternehmen führen würde, gar nicht weiß, dass es wenige Kilometer über der Grenze, eine schon bestehende Firma gäbe, die er übernehmen könnte. Das ist ein Nachteil für beide Seiten und führt dazu, dass viel Potenzial verloren geht. Wir haben also ein Informationsproblem. Es könnte dadurch besser werden, bereits bestehende Datenbanken für Unternehmensnachfolgen grenzüberschreitend auszuweiten. Die Idee ist sehr einfach: Wer die Führung seines Unternehmens aufgeben will und keinen Nachfolger hat, kann das bei der Börse bekanntgeben. Die Börse kann diese Information dann europaweit veröffentlichen. Junge, engagierte Menschen aus ganz Europa, die sich die Übernahme so eines Unternehmens zutrauen, können dann die Information einsehen und ihr Interesse bekunden. So werden die Chancen höher, dass Unternehmen übernommen werden und das entsprechende Know-how und die Arbeitsplätze geschützt werden.

Bürokratieabbau - Hemmnisse lösen

Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen leiden unter bürokratischen Lasten und hohen Informationspflichten. Mit dem Small-Business-Act (SBA) wurde ein wichtiger Grundstein für den Bürokratieabbau gelegt. Dennoch müssen weitere Schritte folgen – viele Unternehmer sehen in der EU weiterhin ein „Bürokratiemonster“. Was sind aus Ihrer Perspektive sinnvolle Maßnahmen, um den Bürokratieabbau fortzuführen und bessere Rechtsetzung zu gewährleisten?

Manfred Weber: Im Bereich Bürokratieabbau ist ein Bewusstseinswandel eingeleitet. Aber: Es kommt davon noch viel zu wenig bei den Menschen und Unternehmen an. Gute Rechtsetzung bedeutet für mich, immer vom Menschen her zu denken. Es darf nicht sein, dass wir ein Problem des Problems Willen lösen, sondern es muss immer klar sein, welche konkreten Auswirkungen das für die Menschen hat. Im Gegensatz zu großen Konzernen verfügen die KMUs oftmals nicht über besondere Ressourcen, um mit bürokratischen Anforderungen umgehen zu können. Ich möchte deshalb erreichen, dass es möglichst immer eine Ausnahmeklausel für KMU gibt. Ich werde einen Systemcheck durchführen, welche EU-Regelungen überhaupt noch gebraucht werden, und 1.000 überflüssige EU-Gesetze streichen. Für die Zukunft möchte ich einen europäischen Normenkontrollrat einsetzen, der einen Art Gesetzes-TüV vornimmt. Dieser hätte die Aufgabe, die Kosten der Bürokratie und die Wahrung des Subsidiaritätsprinzips im Vorfeld von neuen Regelungen auf allen Ebenen abzuschätzen und effektiv Kosten zu begrenzen. Außerdem müssen alle Förderprogramme so ausgestaltet werden, dass jedes einzelne kleine und jedes mittelständische Unternehmen auch darauf zugreifen kann.

Das Interview wurde am 02.05.2019 schriftlich mit Herrn Weber geführt.

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