Europawahl 2019: Interview mit Nicola Beer, FDP
Interviewreihe mit den Spitzenkandidaten zur Europawahl 2019 zu mittelstandspolitischen Fragen.
Nicola Beer (49) ist die amtierende Generalsekretärin der FDP und Spitzenkandidatin der Freien Demokraten. Die in Wiesbaden geborende Rechtsanwältin und Politikerin ist seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestags, wo sie für die Europangelegenheiten der Fraktion zuständig ist. Auch in ihrer vorherigen Funktion als Mitglied des Hessischen Landtags war sie als Staatssekretärin für Europaangelegenheiten tätig. Anlässlich der Europawahl 2019 hat der Deutsche Mittelstands-Bund (DMB) Frau Beer fünf Fragen zu den relevanten Herausforderungen des Mittelstandes gestellt. Für ein Interview stand sie gerne zur Verfügung.
Schwerpunkte in der KMU-Europapolitik
Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sind das Fundament der deutschen und europäischen Wirtschaft. Der Umgang mit den Herausforderungen für den Mittelstand wie der Digitalisierung, der Unternehmensbesteuerung und -finanzierung sowie dem demographischen Wandel wird maßgeblich über die künftige Wettbewerbsfähigkeit europäischer KMU mitentscheiden. Inwiefern hebt sich die KMU-Europapolitik ihrer Partei von der Politik der anderen Parteien ab?
Nicola Beer: Manche unserer politischen Mitbewerber wollen eine Europäische Ministererlaubnis zur Umgehung des Wettbewerbsrechts einführen, damit die Mitgliedstaaten eine Anhäufung von Marktmacht unterstützen und große Konzerne den Wettbewerb aushebeln können. Wir Freie Demokraten gehen hier bewusst einen anderen Weg: Gemeinsam mit unserer Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager kämpfen wir für faire Wettbewerbsbedingungen und gegen den Missbrauch von Marktmacht oder unlautere Beihilfen. Davon profitieren vor allem die Millionen KMUs. Anders als unseren politischen Mitbewerbern von links geht es uns beim Kampf gegen internationale Steuervermeidung auch nicht um ein höheres Steueraufkommen, sondern um eine gerechtere Verteilung der Steuerlast: Wenn das Schließen der Schlupflöcher zu höheren Einnahmen führt, muss gleichzeitig mit niedrigeren Steuersätzen entlastet werden. KMU profitieren also doppelt: Faire Wettbewerbsbedingungen und niedrigere Steuern. Ferner wollen wir Bürokratie abbauen. Ein verpflichtender Mittelstands-Test soll dabei insbesondere Belastungen vermeiden, die KMU besonders treffen.
Hilfe bei der Digitalisierung
Das Digitalisierungsniveau von KMU muss europaweit deutlich ausgebaut werden. Kleine Unternehmen haben jedoch Schwierigkeiten damit, die dafür notwendigen finanziellen und organisatorischen Ressourcen aufzubringen. Zudem fehlt es vielerorts an Know-how. Wie kann das Digitalisierungsniveau von KMU erhöht werden und welche Förderschwerpunkte wollen Sie in Zukunft setzen?
Nicola Beer: KMU sollen sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können. Dafür müssen die Rahmenbedingungen stimmen, auch im digitalen Bereich. Für eine lückenlose Versorgung mit schnellem Internet wollen wir die europäische Glasfaserinfrastruktur und den Ausbau der 5G-Funktechnologie in der Fläche mithilfe der Connecting Europe Facility vorantreiben. Dazu soll der EU-Haushalt Sofortmaßnahmen der Mitgliedstaaten fördern, wie zum Beispiel die digitale Vernetzung von Gewerbegebieten untereinander.
Zusätzlich wollen wir mit europäischen Digital-Freiheitszonen jungen Unternehmen im Hinblick auf regulatorische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen mehr Freiheiten geben. Hier sollen zum Beispiel sog. „Sandbox-Verfahren“ ermöglicht werden und gleiche Umsatzsteuersätze und Bemessungsgrundlagen für die Körperschaftssteuer gelten.
Die digitale Transformation im Betrieb vor Ort muss jedes Unternehmen natürlich selbst in die Hand nehmen. Der Staat kann jedoch für Planungssicherheit sorgen, etwa was Datenschutzstandards aber auch IT-Sicherheitsstandards anbetrifft. Bei öffentlichen Auftragsvergaben - etwa im Baubereich - müssen einheitliche und verlässliche Datenstandards gelten. Auch hier wollen wir europaweit einheitliche Lösungen, damit die innovationsstarken deutschen KMU ihre Stärken ausspielen können.
Unruhige politischen Lage
Die bevorstehende Europawahl wird vom Brexit überschattet. Zudem bedrohen internationale Handelskonflikte die exportstarken europäischen Volkswirtschaften. Ein geeintes und handlungsfähiges Europa scheint wichtiger denn je. Wie kann die EU in diesen politisch und wirtschaftlich unruhigen Zeiten geeint und gestärkt werden?
Nicola Beer: Die Europäische Integration ist eine weltweit einmalige Erfolgsstory. In unruhigen Zeiten wie heute gilt es vor allem, in unserem eigenen Wirkungsbereich unsere Widerstandskraft zu stärken. Dazu brauchen wir grundlegende institutionelle Reformen. Die EU muss sich wieder auf Aufgaben mit europäischen Mehrwert konzentrieren anstatt sich im Klein-Klein zu verzetteln. Durch mehr Bürgernähe wollen wir die verbreitete Skepsis gegenüber der EU abbauen. Mit Blick auf unsere Wettbewerbsfähigkeit gilt es, die Rahmenbedingungen für innovative Technologien und Start-ups in Europa zu verbessern und hier im EU-Haushalt zukunftsweisende Schwerpunkte zu setzen. Vor allem aber muss die EU geschlossen auftreten – in der Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik ebenso wie in der Handels- und Wettbewerbspolitik.
Ein geeintes, starkes Europa ist die Unabhängigkeitserklärung an Moskau, Peking und Washington. Wir müssen hier offensiv in den Diskurs einsteigen, um gegen Fake News gewappnet zu sein, mit denen der Einigungsprozess bekämpft wird. Hier sind auch die Betriebe gefragt. Es reicht nicht, wenn in Berliner Salons diskutiert wird, wie man mit dem neuen Populismus umgehen soll. Der Malermeister und die Mechatronik-Auszubildende – das sind doch diejenigen, die die Mitte der Gesellschaft ausmachen. Hier muss das Gespräch geführt werden.
Probleme bei der Unternehmensnachfolge
Die Effekte des demographischen Wandels zeichnen sich im Mittelstand deutlich ab: für die kommenden Jahre rechnen wir mit einer deutlichen Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage bei Unternehmensübergaben in Deutschland – dies gilt aber auch in vielen anderen europäischen Staaten. Wie stehen Sie zu der DMB-Forderung, das Thema der Unternehmensnachfolge als gesamteuropäisches Problem zu begreifen und eine binnenmarktumfassende Lösungsstrategie zu erarbeiten?
Nicola Beer: Ich freue mich über diese Anregung und möchte mich nach der Wahl in das Europäische Parlament daran beteiligen, eine solche Strategie zu finden. Eine engere europäische Zusammenarbeit im Bereich der Unternehmensnachfolge, etwa durch die Vernetzung verschiedener Plattformen, könnte dazu beitragen, einerseits die Suche nach Nachfolgern zu vereinfachen und andererseits den europäischen Gedanken noch stärker im Mittelstand zu verankern. Gleichzeitig möchte ich mich auch dafür einsetzen, die Finanzierungsbedingungen für den Mittelstand zu verbessern, da gerade Finanzierungsfragen hier so manches Mal im Weg stehen.
Bürokratieabbau - Hemmnisse lösen
Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen leiden unter bürokratischen Lasten und hohen Informationspflichten. Mit dem Small-Business-Act (SBA) wurde ein wichtiger Grundstein für den Bürokratieabbau gelegt. Dennoch müssen weitere Schritte folgen – viele Unternehmer sehen in der EU weiterhin ein „Bürokratiemonster“. Was sind aus Ihrer Perspektive sinnvolle Maßnahmen, um den Bürokratieabbau fortzuführen und bessere Rechtsetzung zu gewährleisten?
Nicola Beer: Schon in meiner bisherigen Tätigkeit als Landtags- und Bundestagsabgeordnete habe ich mich gerne an Initiativen zum Bürokratieabbau beteiligt. Denn Bürokratie ist wie eine Hecke: Sie wächst stetig und muss regelmäßig zurechtgestutzt werden. Unnötige Bürokratie kostet die Unternehmen nur Zeit und Geld und hemmt Innovationen. Im Bund muss endlich ein Bürokratieentlastungsgesetz III vorgelegt werden. Unsere Forderungen hier entsprechen einigen Forderungen für Europa: Wir wollen etwa eine „One in, two out“-Regel, durch die bei jedem neuen bürokratischen Gesetz in doppeltem Umfang Belastungen abgebaut werden müssen. Für uns gilt das „Think Small First“-Prinzip: Wenn eine Regelung in kleinen Betrieben nicht durchführbar ist, sollte die Regel ganz überdacht oder zumindest mit umfangreichen Ausnahmen versehen werden. Der Bund muss aber auch endlich aufhören, an EU-Regeln wie die DSGVO noch unnötige Auflagen anzukoppeln. Dieses sogenannte „Goldplating“ ist eine Hintertür der Bundesregierung, um unnötige Regeln einzuführen, für die man dann Brüssel die Schuld gibt.
Das Interview wurde am 23.04.2019 schriftlich mit Frau Beer geführt.
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