Interview mit Katarina Barley, SPD
Katarina Barley ist die Spitzenkandidatin der SPD bei der Europawahl 2024. Die deutsch-britische Juristin lebt in Schweich bei Trier. Zwischen 2013 und 2019 gehörte sie dem Deutschen Bundestag an. Von Dezember 2015 bis zu ihrer Ernennung als Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Juni 2017 war sie SPD-Generalsekretärin. Nach der Bundestagswahl 2017 führte sie zusätzlich das Amt der geschäftsführenden Arbeits- und Sozialministerin aus. Im März 2018 wurde sie zur Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz ernannt. Die letzten fünf Jahre war sie Mitglied und Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments. Im DMB-Interview beantwortet Frau Barley fünf Fragen zu den relevanten Themen des Mittelstandes.
DMB: Was sind Ihre Hauptforderungen und Maßnahmen zur Unterstützung der europäischen Wirtschaftspolitik, insbesondere im Hinblick auf KMUs? Welche Themen liegen Ihnen besonders am Herzen?
Katarina Barley: Die Unternehmen in Europa stehen vor der großen Aufgabe ihre Produktion klimaneutral umzubauen und Prozesse zu digitalisieren. Der Kampf gegen den Klimawandel und der technische Fortschritt erfordern, dass wir bei beidem vorankommen. Dafür brauchen wir öffentliche Investitionen in Zukunftstechnologien. Außerdem benötigen Unternehmen breiten Zugang zu Kapital, um ihre Investitionen zu finanzieren. Darüber hinaus gilt es, Bürokratie abzubauen und Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen sowie eine sichere und günstige Energieversorgung sicherzustellen.
Wie wollen Sie den Bürokratieabbau tatsächlich vorantreiben und die Rechtsetzung verbessern, um KMUs effektiv zu unterstützen und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken? Wie wollen Sie sicherstellen, dass die angekündigten Entlastungen tatsächlich umgesetzt werden?
Zu viel Bürokratie zählt zu den zentralen Herausforderungen für die Wirtschaft in Deutschland. Das zeigen uns Befragungen eindeutig. Dies gilt für Großunternehmen, für KMU und ebenso für Selbstständige und Start-Ups. Außerdem werden Fachkräftemangel und Energiekosten genannt. Übrigens: Steuern wird mehrheitlich nicht als großes Problem angesehen. Der Abbau von bürokratischen Hemmnissen im Binnenmarkt ist aus Sicht der SPD dringend geboten. Wir brauchen ein Update verschiedener Regulierungen. Teilweise fehlen Daten, analytische Ressourcen und gebündelte Kompetenzen auf EU-Ebene. Andere Regelungen in Europa blockieren sich gegenseitig. Wir wollen die Qualität von Regulierung erhöhen und durchlüften, ohne Schutzstandards zu senken.
Die großen Herausforderungen für die europäische Wirtschaft und insbesondere für Unternehmen des Mittelstands betreffen vor allem die Energiewende, die aktuellen Energiekosten sowie die Digitalisierung.
a. Wie wollen Sie sicherstellen, dass die Energiewende in der EU vorangetrieben wird, ohne die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen zu beeinträchtigen? Welche konkreten Strategien und Initiativen strebt Ihre Partei dazu an?
Die Energieversorgung der Zukunft in Europa muss erneuerbar, bezahlbar und sicher sein. Das erreichen wir vor allem durch den weiteren massiven Ausbau der erneuerbaren Energien und gleichzeitig durch die Vollendung der Europäischen Energieunion. Dazu brauchen wir grenzüberschreitende Stromleitungen, zudem Elektrolyseure und Wasserstoffpipelines und wir brauchen Hafeninfrastruktur. Um unsere Abhängigkeiten beim Energieimport weiter zu verringern, brauchen wir auch eine Strategie zur Diversifizierung der globalen Energiebeziehungen. Und schließlich, damit die Unternehmen Planungssicherheit bekommen und damit sich Schwankungen bei den Energiepreisen, wie wir sie in der Vergangenheit gesehen haben, nicht wiederholen, braucht es eine strukturelle Reform des EU-Strommarktdesigns, die erneuerbare Energien besser integriert.
b. Welche Maßnahmen sehen Sie vor, um die digitale Transformation in Europa voranzutreiben und sicherzustellen, dass KMUs wettbewerbsfähig bleiben und gleichermaßen von den Chancen der Digitalisierung profitieren können?
Wir wollen, dass Produktionskapazitäten in Schlüsselbereichen der digitalen und der ökologischen Transformation ausgeweitet werden. Das betrifft etwa den Bau von Halbleitern oder Batterietechnologie. Es gilt, Zukunftsbranchen bei Innovationsvorhaben zu unterstützen, von denen auch Innovationswirkungen in den Rest der Wirtschaft ausgehen können. Ein gemeinsamer europäischer Kapitalmarkt soll Investitionsvorhaben, etwa in Digitalisierung, fördern und wettbewerbsfähige Finanzierung europäischer Unternehmen sicherstellen. Außerdem benötigen wir Investitionen in digitale Netze und die digitale öffentliche Verwaltung.
Der Fachkräftemangel ist ein drängendes Thema von vielen Unternehmen in Deutschland. Welche Strategien bedarf es, um die Rekrutierung von Arbeits- und Fachkräften aus Drittstaaten zu verbessern und die Arbeitsmobilität innerhalb der EU zu fördern?
Der bereits bestehende Fachkräftemangel wird durch den demographischen Wandel in den nächsten Jahren weiter verschärft. Wir wollen daher einerseits das Potenzial inländischer Fachkräfte besser nutzen und in Weiterbildung investieren. Gleichzeitig sind wir auf die Zuwanderung von Fachkräften angewiesen. Innerhalb der EU ist hier die Arbeitnehmerfreizügigkeit eine große Errungenschaft. Wir müssen aber auch Fachkräfte außerhalb der EU anwerben. Die Bundesregierung hat in Deutschland u. a. mit dem Chancenaufenthaltsgesetz, dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz und der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts einen lange überfälligen Paradigmenwechsel hin zu einer modernen Einwanderungsgesellschaft vollzogen. In Europa wollen wir gemeinsam Fachkräfte gezielt anwerben. Dafür braucht es ein verbessertes EU-Fachkräfteeinwanderungsrecht.
In Ihrem Interview mit dem DMB zur Europawahl 2019 betonten Sie die Notwendigkeit, die Erfolge der Währungsunion weiter auszubauen und die Wirtschaftspolitik der EU wirksamer zu integrieren. Inwieweit sehen Sie dieses Ziel als erreicht an? Welche konkreten (institutionellen) Veränderungen halten Sie für erforderlich, um die Wirtschaftspolitik der Union effektiver zu gestalten?
Es ist unser Ziel, die europäische Industriestrategie als Teil einer umfassenden Standort- und Resilienz-Strategie weiterzuentwickeln und auf die Zukunft auszurichten. Dabei achten wir darauf, dass die EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten weite Teile der Wirtschaft, Zivilgesellschaft und insbesondere Gewerkschaften in die Weiterentwicklung der europäischen Wirtschafts- und Industriepolitik einbeziehen. Denn wir möchten starke Sozialpartnerschaften, faire Arbeitsbedingungen und hohe soziale Standards in einem sozialen und ökologisch nachhaltigen Europa weiter stärken.