21.07.2021Interview

Interview mit Claudia Müller, Bündnis 90 / Die Grünen

„Wir Grüne wollten diesen Verlustrücktrag auf vier Jahre ausweiten, generell für KMU Investitionen schneller abschreibbar machen und auch das Ansparen auf Investitionen steuerlich begünstigen.“

Um den Herausforderungen bei der Digitalisierung und der Energiewende gerecht zu werden, müssen frische Impulse aus der Politik gesetzt werden. Der DMB hat Claudia Müller von Bündnis 90/Die Grünen gefragt, mit welchen neuen Ideen und Konzepten sie die Zukunft der KMU in Deutschland gestalten möchte.

Was ist Ihrer Meinung nach für eine zukunftsgerechte Gestaltung der deutschen Gesellschaft und Wirtschaft wichtig, damit auch die nächsten Generationen unbesorgt leben können?

Um die Freiheit der nächsten Generationen zu sichern, müssen wir jetzt die Weichen konsequent auf Klimaschutz stellen. Dafür wollen wir massiv in Bildung und Forschung investieren, denn Deutschlands wichtigste Ressource sind die Menschen mit ihren Ideen und Fähigkeiten. Bis 2035 werden für den Klimaschutz laut einer von uns in Auftrag gegebenen Studie mindestens 800.000 Arbeitskräfte zusätzlich benötigt – besonders im Handwerk müssen hier massive Anreize für Ausbildung gesetzt werden und gesellschaftlich mehr Anerkennung gegeben werden. Auch Zuwanderung muss erleichtert werden. Und mit dem Irrsinn, Betrieben in Zeiten des Fachkräftemangels Leute zu entreißen um sie abzuschieben, muss Schluss sein. Integration darf nicht bestraft werden.

Welche politischen Positionen oder Entwicklungen der Partei Bündnis 90/DIE GRÜNEN aus der Vergangenheit sehen Sie kritisch? Wo muss mehr passieren und warum?

Im Zuge der Wiedervereinigung gab es bei Bündnis 90/DIE GRÜNEN ein sehr langsames Zusammenwachsen von unterschiedlichen Denk- und Erfahrungswelten. Auf grüner West-Seite gab es leider viel Unverständnis für den Osten und seine regionale Vielfalt wurde oft nicht wahrgenommen. Inzwischen hat sich das zum Glück geändert und es wird viel weniger pauschalisiert. Die nächste Herausforderung liegt in einem größeren Verständnis unserer Großstadt-Grünen für ländliche und kleinstädtische Regionen. Ich stamme aus Mecklenburg-Vorpommern und weiß, wovon ich rede. Der Klimabonus-Fonds mit Hilfen vor allem für Pendlerinnen und Pendler auf dem Land ist ein guter Anfang. Inzwischen nehmen wir auch deutlich stärker die kleinstädtischen Regionen und die ländlichen Räume in den Blick. Die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in allen Regionen und für alle Generationen ist eines unserer wichtigste Ziele.

Die Staatsschulden wachsen in der Pandemie rasant. Wer zahlt die Zeche bzw. wie kann verhindert werden, dass künftige Generationen diese Schulden stemmen müssen?

CDU/CSU und SPD haben für die Corona-Schulden zu kurze Tilgungen eingeplant: Sie wollen innerhalb von 20 Jahren alle Corona-Schulden tilgen, was aber schon im kommenden Jahrzehnt wichtige Investitionen verhindern kann. Wir schlagen deshalb eine Tilgung innerhalb von 50 Jahren vor, so wie es übrigens die schwarz-gelbe Landesregierung in NRW macht. Aktuell fährt die Bundesregierung die Infrastruktur Deutschlands auf Verschleiß – die Corona-Pandemie hat verschärft aufgezeigt, wie sehr z.B. fehlendes Internet und fehlendes Personal in Gesundheitsämtern und Planungsbehörden unsere Wirtschaft verlangsamen. Das sind Schulden, die nicht in den Büchern stehen, aber unseren Wohlstand gefährden.

Speziell kleine Unternehmen verfügen über wenig Spielraum für Investitionen, aber auch sie stehen vor enormen Herausforderungen. Wie können diese Unternehmen beim Transformationsprozess hin zu einer digitalen und grünen Wirtschaft wirkungsvoll unterstützt werden?

Mit der Senkung der EEG-Umlage entlasten wir Bürgerinnen, Bürger und kleine Unternehmen. Um schnell Liquidität in und nach der Coronapandemie zu gewährleisten, hat die schwarz-rote Koalition den Verlustrücktrag auf zwei Jahre erweitert, was hilft durch aktuelle Verluste Steuern der letzten zwei Jahre zurückzuerhalten. Wir Grüne wollen diesen Verlustrücktrag auf vier Jahre ausweiten, generell für KMU Investitionen schneller abschreibbar machen und auch das Ansparen auf Investitionen steuerlich begünstigen. Und neben diesen allgemeinen Vereinfachungen wollen wir breite und langfristige Förderprogramme, die für KMU einfach zu beantragen und zu dokumentieren sind.

Die deutsche Wirtschaft benötigt zukünftig sehr viel grüne Energie. Wie kann deren Produktion zügig und in hohem Maße ausgebaut werden?

Das gelingt durch eine Vielzahl von Maßnahmen, z.B. durch weniger Bürokratie für kleine Unternehmen beim Eigenverbrauch von Erneuerbaren Energien, sowie durch bessere Rahmenbedingungen für Speicher und den Bau von Solarfreiflächenanlagen und Solardächern. Für den Windenergie- und Netzausbau beschleunigen wir Planungs- und Genehmigung durch vereinfachte Verfahren, mehr Personal und einheitliche Bewertungsmaßstäbe. Durch frühzeitige Bürgerbeteiligung, die Festlegung von Vorrang-, Eignungs- und Ausschlussgebieten für Windenergie und gezielten Artenschutzprogrammen sorgen wir dabei für eine naturverträgliche Standortwahl. Für langfristig stabile Preise und günstigeren Strom muss der Ausbau der Erneuerbaren Energien den Turbogang einlegen!

 

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Müller

 

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