Arbeitsrechtkommentar: Entlastungsnachweis des Arbeitgebers bei Tarifvereinbarung im Rahmen variabler Arbeitsvergütung
Abstrakt: Gehaltsstrukturen können neben Fixgehältern pro Monat und anderen festen Bestandteilen auch variable Bestandteile enthalten, die zu fest vereinbarten Zeiträumen anhand von definierten Kriterien ermittelt und ausgezahlt werden. Die Kriterien können vom Erfolg des ganzen Unternehmens, von einzelnen Abteilungen und Gruppen oder auch von individuellen Zielen abhängen. Deutsche Gerichte befassen sich - gerade in wirtschaftlich angeschlagenen Zeiten - zunehmend mit dieser Thematik und stellen Zielvereinbarungen auf den Prüfstand. Arbeitgeber sind von daher gut beraten, bestehende Vereinbarungen rechtssicher überprüfen und ggf. inhaltlich neu ausgestalten zu lassen.
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf hat in seinem Urteil vom 30.04.2009 (Az: 11 Sa 1504/08 ) folgenden Leitsatz aufgestellt: „Ist in der für ein Kalenderjahr von den Parteien betroffenen Tarifvereinbarung, deren Nachwirkung für den Fall des Nichtzustandekommens einer Folgevereinbarung vorgesehen, ist jeglicher Entlastungsnachweis des Arbeitgebers, er habe den Nichtabschluss einer neuen Zielvereinbarung nicht zu vertreten, entbehrlich.“
Streitgegenstand
Das LAG Düsseldorf handelt in seiner Entscheidung vom 30.04.2009 den immer wieder in der Praxis auftretenden Streit bei Ausscheiden eines Mitarbeiters ab, ob und in welcher Höhe dem Mitarbeiter noch Ansprüche auf variable Vergütung zustehen. Vorliegend ging es um Ansprüche auf ein zielabhängiges Zusatzentgelt bei unterbliebener Folgezielvereinbarung.
Sachverhalt
Der Kläger war beim beklagten Telekommunikations-unternehmen vom 01.02.2003 bis zum 31.05.2007 als Projektleiter beschäftigt. Nach den schriftlich fixierten Vereinbarungen der Parteien, insbesondere nach der Zielvereinbarung vom 28.05.2004 für das Jahr 2004 erhielt der Kläger ein Jahreszieleinkommen in Höhe von 100 Prozent, das sich aus einem Festgehalt von 48.500 Euro brutto und einem variablen Bonusanteil von 14.854 Euro brutto zusammensetzte. Der variable Anteil des Jahresgehalts ermittelte sich aus einer in der Zielvereinbarung 2004 herausgearbeiteten Matrix, nach der der Bonus zu 20 Prozent von der Erreichung von Unternehmenszielen, zu 40 Prozent von der Erzielung eines bestimmten Deckungsbeitrages der vom Kläger betreuten Projekte und zu weiteren 40 Prozent von der Erreichung kundenbezogener Meilensteine abhing. Zur Geltungsdauer der Zielvereinbarung fand sich folgende Formulierung: „Die Zielvereinbarung wirkt ab dem 01. Januar 2004 für mindestens 1 Jahr bis zur Unterzeichnung einer neuen Zielvereinbarung.“
Die Beklagte unterbreitete dem Kläger für das Jahr 2005 und später am 11.02.2006 eine weitere Zielvereinbarung für das Jahr 2006 mit anderen Zielen und anderer Gewichtung, die der Kläger in beiden Fällen nicht annahm. Nachdem der Kläger zum 31.05.2007 ausgeschieden war, machte er die Zahlung der variablen Vergütung für die Jahre 2005, 2006 und anteilig für 2007 klageweise geltend.
Aufgrund der für das Jahr 2004 vereinbarten Zielvereinbarung hatte der Kläger keine variable Vergütung verdient. Er monierte, dass die Beklagte die Initiative für den Abschluss von Zielvereinbarungen nicht ergriffen habe und zum Schadensersatz verpflichtet sei, da sie ihm die Möglichkeit genommen habe, auf realistischer Grundlage sein Ziel zu erreichen. Auf die Zielvereinbarung vom 28.05.2004 könne sich die Beklagte nicht berufen, da diese Ziele enthalte, die von ihm nicht beeinflussbar seien und sich zudem die Markt- und Auftragslage verändert habe, so dass er seit 2005 nicht mehr in der Lage gewesen sei, die Meilensteinvorgabe zu erreichen. Die Klage wurde in I. und II. Instanz abgewiesen.
Begründung
Das LAG Düsseldorf hat in seiner Begründung klargestellt, dass grundsätzlich als Anspruchsgrundlage für eine variable Vergütung wegen einer nicht abgeschlossenen Zielvereinbarung nach Ablauf der für sie gedachten Zielperiode ein Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 und 3 BGB i.V.m. §§ 283 S. 1, 252 BGB in Betracht komme. Im vorliegenden Fall hat es einen solchen Anspruch jedoch abgelehnt, da vorliegend eine gültige Zielvereinbarung, die auch für die Jahre 2005 bis 2007 gelte, vom 28.05.2004 vorliege.
Unter Fortführung der Rechtsprechung des Urteils des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) vom 10.12.2008 (Az: 10 AZR 889/07) hat das LAG Düsseldorf zwar angeführt, dass der Arbeitgeber eine vertragliche Nebenpflicht verletze, wenn er entgegen einer ihn treffenden vertraglichen Obliegenheit die Initiative zur Führung eines Gesprächs mit dem Arbeitnehmer über eine Zielvereinbarung nicht ergreift und ein solches Gespräch nicht anberaumt. Allerdings sei der Arbeitgeber nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht zur Leistung von Schadensersatz verpflichtet, wenn er das Nichtzustandekommen einer Zielvereinbarung nicht zu vertreten habe.
Sofern der Arbeitgeber nachweisen könne, dass er seiner arbeitsvertraglichen Verpflichtung nachgekommen sei und dem Arbeitnehmer Ziele vorgeschlagen habe, die dieser nach einer auf den Zeitpunkt des Angebots bezogenen Prognose hätte erreichen können, fehle es an einer Verletzung der Verhandlungspflicht des Arbeitgebers und damit an einer Voraussetzung für einen Schadens-ersatzanspruch des Arbeitnehmers.
Neu herausgearbeitet hat das LAG Düsseldorf, dass der Entlastungsnachweis durch den Arbeitgeber, für die Tatsache, dass er den Nichtabschluss einer neuen Zielvereinbarung nicht zu vertreten habe, dann entbehrlich sei, wenn in der für ein Kalenderjahr von den Parteien getroffenen Zielvereinbarung deren Nachwirkung für den Fall des Nichtzustandekommens einer Folgevereinbarung vorgesehen sei.
Trotz Monierung des Klägers, die Zielvereinbarung vom 28.05.2004 im Zusammenhang mit der Vereinbarung der Nachwirkung würde ihn unangemessen benachteiligen, unterzog das LAG Düsseldorf die weiter geltende Zielvereinbarung vom 28.05.2009 keiner Inhaltskontrolle nach den §§ 307 ff BGB und ist somit der Rechtsprechung des BAGs, die diese in ihrem Urteil vom 12.12.2007 -10 AZR 97/07 – aufgestellt hat, gefolgt. Das LAG Düsseldorf hat lediglich überprüft, ob die Zielvereinbarung dem Transparenzgebot gem. § 307 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB entspreche und ob die Zielvereinbarung den allgemeinen Grundsätzen der Rechtskontrolle gem. § 138 BGB standhalte. Das LAG Düsseldorf hat klargestellt, dass vorliegend lediglich die Anpassung der weiter geltenden Zielvereinbarung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage § 313 BGB, deren Anforderungen jedoch weit höher liegen, in Betracht käme. Da hier der Kläger keine hinreichenden Gesichtspunkte vorgetragen habe, hat das LAG Düsseldorf die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen, die nun beim BAG unter dem Aktenzeichen 0 AZR 93/09 anhängig ist.
Schlussfolgerungen für die Praxis
In der Praxis können zielabhängige Boni grundsätzlich durch zwei Varianten gestaltet werden:
- Hier gibt es die Ausgestaltung eines Bonuses in Abhängigkeit einer Zielvorgabe, die einseitig vom Arbeitgeber in Ausübung seines Direktionsrechts nach § 106 GewerbeO festgelegt wird. Diese Zielvorgabe unterliegt daher der gerichtlichen Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB und ist durch die Mitarbeiter jederzeit durch eine Feststellungsklage überprüfbar.
- Eine andere Gestaltung kann darin liegen, dass ein Bonus gewährt wird, soweit vereinbarte Ziele erreicht werden. Diese Zielvereinbarung unterliegt nicht der Angemessenheitskontrolle nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB, da allgemeine Arbeitsbedingungen nur dann auf ihre Angemessenheit zu überprüfen sind, wenn sie von Rechtsvorschriften abweichen oder diese ergänzen.
Abreden, die ihrer Art nicht der Regelung durch Gesetz oder anderer Rechtsvorschrift unterliegen, sollen von den Vertragsparteien festgelegt werden müssen, unterliegen nicht der Inhaltskontrolle nach den §§ 307 ff BGB. Darunter fallen namentlich Abreden über den unmittelbaren Gegenstand der Hauptleistung und des dafür zu zahlenden Entgelts, es sei denn, hierfür bestehen ausnahmsweise rechtliche Regelungen, wie sie beispielsweise im Arbeitszeitgesetz oder im Berufsbildungsgesetz zu finden sind.
Als freie Entgeltvereinbarung sind damit die zwischen den Arbeitsvertragsparteien zu treffenden Zielvereinbarungen nicht kontrollfähig.
Zudem hat der Arbeitgeber – anders als bei einem Bonus in Abhängigkeit einer Zielvorgabe – folgende Verteidigungsmöglichkeiten:
Den Arbeitnehmer kann am Nichtzustandekommen der Zielvereinbarung ein Mitverschulden treffen, das im Rahmen des Schadensersatzanspruchs nach § 254 BGB angemessen zu berücksichtigen ist. Dies ist stets dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer zum Gespräch mit dem Arbeitgeber über Vereinbarungen vom Ziel nicht bereit ist. Zu dem kann der Arbeitgeber nicht nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB zur Leistung von Schadensersatz verpflichtet werden, wenn er das Nichtzustandekommen einer Zielvereinbarung nicht zu vertreten hat.
Da wie eben dargestellt, ein solcher Entlastungsnachweis des Arbeitgebers immer dann entfällt, wenn in die Regelung über den Zielvereinbarungsbonus eine Nachwirkungsklausel aufgenommen wird, wonach im Falle der Nichteinigung die zuletzt vereinbarten Ziele auch in der künftigen Zielperiode gelten bis eine neue Zielvereinbarung geschlossen wird, ist es zu empfehlen, der Vertragsgestaltung einen Zielvereinbarungsbonus anstatt des Zielvorgabenbonuses mit einer Nachwirkungsklausel zu vereinbaren. Hier kann sich der Arbeitgeber nicht nur einfach entlasten sondern kann ggf. Einwendungen bezüglich des Mitverschuldens des Arbeitnehmers erheben.