„Bei der Haltung anfangen, wenn man eine Krise vermeiden möchte.“
In Veränderungsprozessen geht es darum, die Beziehungen der Menschen innerhalb eines Unternehmens zu gestalten.
Eine Krisensituation stellt Mitarbeitende und Führungskräfte vor Herausforderungen. Jan Oßenbrink von der Eigenland GmbH hat bereits zahlreiche Unternehmen in solch einer kritischen Situation unterstützt und weiß daher, dass es auf die richtige Haltung ankommt. Was die Geisteshaltung mit einem Fallschirm gemeinsam hat, wie bedeutend die Gestaltung von Beziehungen ist und wie Unternehmen ihren Beschäftigten und Führungskräften das notwendige Rüstzeug zur Bewältigung von Krisensituationen vermitteln können, darüber spricht der Transformationsexperte in diesem Interview.
Herr Oßenbrink, was verbinden Sie mit dem Begriff „Krise“?
Mit dem Begriff Krise verbinde ich schnelles Handeln, Agieren und Analysieren. Es geht in einem solchen Moment darum, zu fragen: Was sind die Ursachen und Auswirkungen der Krise und welche Möglichkeiten gibt es, ihr entgegenzuwirken? Bei Unternehmenskrisen gibt es verschiedene Phasen. Zuerst entsteht die strategische Krise. Daraus kann dann eine wirtschaftliche Krise erwachsen. Im Idealfall wird schon in der Phase der strategischen Krise erkannt, dass es ein Problem gibt, um der wirtschaftlichen Krise vorzubeugen. Dann heißt es analysieren, bewerten, entscheiden und agieren, um der Situation wieder Herr zu werden. Das Wort „Krise“ löst bei mir keine Angst oder Panik aus, sondern bedeutet schlicht und ergreifend für mich: Mach deine Arbeit. Wichtig ist dabei das Vertrauen in sich selbst und seine Organisation, die anstehenden Herausforderungen zu meistern und die Krise so zu bewältigen und einen Zustand zu erreichen, der vielleicht besser ist, als zuvor.
Welche Rolle spielt die Einstellung von Beschäftigten und Führungskräften, um eine Krisensituation zu überwinden oder ihr sogar vorzubeugen?
Ich bin fest davon überzeugt, dass die Geisteshaltung bzw. das Mindset das Fundament dafür ist, ob eine Krise als Chance begriffen wird und wie ihr begegnet oder sie idealerweise vermieden wird. Der Musiker Frank Zappa fand dafür eine schöne Metapher. Er verglich die Geisteshaltung eines Menschen mit einem Fallschirm. Wenn der Fallschirm geschlossen ist, kann die Luft links und rechts entweichen, aber sie trägt den Schirm nicht. Genauso verhält es sich mit unserer Geisteshaltung. Ist sie geschlossen, kann die Organisation Angebote und Rahmenbedingungen zur Verfügung stellen, wie und was sie möchte. Sie erzielt keine Wirkung. Das heißt, es beginnt bei der Haltung, wenn man eine Krise vermeiden möchte. Eine Krisensituation als Chance zu begreifen und zu versuchen, das Beste aus ihr zu machen, statt sie nur als Bedrohung zu sehen und sich in eine Opferrolle zu begeben, ist auch ein Zeichen der Haltung.
Zudem kann sich jede:r die Frage stellen, bin ich neugierig darauf, etwas zu lernen? Wenn jemand offen für etwas Neues und für die Ideen Anderer ist, gelingt es auch, erfolgreicher und resilienter zu werden. Denn dahinter steht die Überzeugung, gemeinsam erfolgreicher zu sein, als allein. In der heutigen Zeit kennt niemand mehr den ganzen Elefanten im Raum, sondern jede:r sieht nur einen bestimmten Teil. Daher gehört zu einer konstruktiven Haltung auch Demut und das Bewusstsein, dass man nicht alles weiß und deshalb neugierig und offen für die Ideen und Impulse Anderer ist.
Welche konkreten Fähigkeiten helfen Beschäftigten und Führungskräften dabei, besser mit Krisensituationen umzugehen?
Vertrauen und Optimismus. Aus dem Vertrauen kann Ruhe entstehen. In Krisen geht es darum, nicht in Hektik oder Aktionismus zu verfallen. Denn nur wer in sich ruht, gerät nicht außer sich. Dazu zählen auch Flexibilität und Offenheit, um die aktuelle Situation zu akzeptieren und zukunftsgerichtet zu handeln.
In Transformationsprozessen denken wir häufig als erstes an neue Geschäftsmodelle, Prozesse und Strukturen. Doch dahinter steht das Gestalten von Beziehungen. Dies ist zum einen die Beziehung zu sich selbst und zum anderen die Beziehung zu den eigenen Kolleginnen und Kollegen und gleichzeitig auch zu der gesamten Organisation. Beziehungen zu gestalten, ist eine essenzielle Fähigkeit, eine Krise und den damit verbundenen Veränderungsprozess zu überwinden. Organisationen, die das erkannt haben und für die es eine hohe Priorität hat, interne und externe Beziehungen erfolgreich zu gestalten, sind widerstandsfähiger.
Dazu gehören auch eine emphatische, zielgerichtete Kommunikation, kombiniert mit aktivem Zuhören und Ernstnehmen der Sorgen und Wünsche der Mitarbeitenden. Einfach präsent sein für die Mitarbeitenden, um ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln.
Bei Führungskräften ist eine nachhaltige Führung wichtig. Nachhaltigkeit ist hier nicht aus ökologischer Sicht gemeint, sondern im Sinne von Resilienz und Widerstandsfähigkeit zu verstehen. Ziel nachhaltiger Führung sollte daher sein, dass das Unternehmen auf Veränderungen besser reagieren kann. Führungskräfte, die nachhaltig agieren, achten zum Beispiel darauf, dass sie nicht nur Menschen einstellen, die ihnen ähnlich sind, sondern beachten bei der Zusammenstellung ihres Teams bewusst Diversität hinsichtlich verschiedener Aspekte: egal ob Geschlecht, Persönlichkeitsstrukturen oder anderem. Das führt häufig dazu, dass die Beschäftigten in bestimmten Bereichen mehr wissen als die Führungskraft. Einer Führungskraft verlangt das natürlich eine gewisse Demut ab. Demut ist letztendlich die Fähigkeit, anzuerkennen und sich einzugestehen, dass man selbst nicht alles weiß und im Team erfolgreicher ist. Dann verändert sich Führung weg von dem Prinzip, Lösungen und deren Umsetzung vorzugeben, hin zu Empowerment und der Frage, was die eigenen Mitarbeiter brauchen, um erfolgreich zu sein.
Wie können Unternehmen ihren Mitarbeitern und Führungskräften diese Fähigkeiten beibringen?
Es geht darum, neue Haltung anzunehmen und neue Verhaltensweisen zu verankern. Das kann gelernt werden und erfolgt über das Bewusstsein und das Unterbewusstsein. Das Unterbewusstsein bei uns Menschen ist sehr emotional und liebt den bekannten Weg. Das Unterbewusstsein benötigt daher eine gewisse Zeit, damit es sich auf etwas Neues einlassen kann. Es erfordert ein Zukunftsbild oder eine Vision, die einen begeistert und motiviert. Das Bewusstsein hingegen hat verstanden, dass es den Zustand, den das Unterbewusstsein gerne beibehalten würde, so nicht mehr geben wird, wenn man sich nicht verändert. Das ist sehr rational und erfordert einen Plan und eine Strategie.
Im Unternehmen geht es darum, gemeinsam zu erarbeiten, wie sich dies erreichen lässt. Wichtig ist, dass dabei viel miteinander geredet wird. Denn indem man miteinander spricht, lernt man sich gegenseitig besser kennen und Vertrauen entsteht. Neben diesem Dialog müssen auch Rahmenbedingungen geschaffen werden, in denen die Mitarbeitenden frei agieren und entscheiden dürfen. Dafür können vorab zum Beispiel Regeln und Prinzipien für die Entscheidungsfindung gemeinsam definiert werden, z. B. Habe ich alle gefragt, die von der Entscheidung betroffen sind? Habe ich eine:n Expert:in und eine:n zweite:n Expert:in befragt? (Acht-Augen-Prinzip)
Gleichzeitig braucht es Formate, in denen die Mitarbeitenden offen und ehrlich über die Entwicklungen reflektieren können. Denn Reflexion ist auch immer ein Teil des Weges. Führungskräfte müssen dabei akzeptieren, dass sie ihre Komfortzone verlassen müssen und dieser Prozess auch unangenehm sein kann. Wenn man im Laufe des Prozesses aber erkennt, dass es sich lohnt, weil es besser wird, dann kommt man schnell durch diese Phase durch.
Fallen Ihnen Beispiele aus Ihrer täglichen Arbeit ein, wo dieser Prozess besonders gut oder besonders schlecht gelaufen ist?
Beispiele, in denen der Prozess besonders gut funktioniert, sind Unternehmen, die es schaffen, eine Bewegung von innen heraus zu erzeugen. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Unternehmenskultur als weicher Faktor mit harter Wirkung, die den Prozess beschleunigt oder bremst. Wenn der Prozess zusätzlich von einer Führungskraft initiiert oder unterstützt wird, beschleunigt das enorm.
Daher verlaufen 95 Prozent der von uns begleiteten Fälle positiv. Dies liegt vielleicht auch daran, dass Unternehmen merken, dass unsere Vorgehensweise genau das ist, was sie benötigen: Ein partizipativer Weg aus der Organisation selbst heraus kombiniert mit externen Impulsen. Voraussetzung für eine erfolgreiche Veränderung sind Offenheit, Neugier und eine positive Grundhaltung. Mit Narzissten zu arbeiten, ist immer sehr schwierig, denn bei ihnen besteht die Gefahr, dass sie einen solchen Prozess zerstören und ihm enorm viel Energie entziehen können. Aber ansonsten fallen mir nicht so viele negative Beispiele ein.
Was würden Sie einem Unternehmen in der Krise konkret als erstes raten, um aus dieser Lage wieder herauszukommen?
Schnell handeln, offen und auch selbstkritisch genug sein. Dazu gehört auch, sich selbst unangenehme Fragen zu stellen. Eine selbstkritische Analyse der Ist-Situation muss aber nicht tagelang dauern. Anschließend geht es um die Entwicklung eines (emotionalen) Zielbildes oder einer Vision. Zum Beispiel kann das konkret bedeuten: Was möchte der Geschäftsführer/die Geschäftsführerin in seiner/ihrer Weihnachtsansprache am Ende des Jahres gegenüber der Belegschaft verkünden können? Diese Frage kann sich auch jeder Mitarbeitende selbst stellen. Im nächsten Schritt geht es darum, zu überlegen, was die wichtigsten Maßnahmen sind, um diese Ziele zu erreichen.
Wichtig ist außerdem, sicherzustellen, dass die gesteckten Ziele auch mit den Emotionen des Mitarbeitenden innerhalb des Unternehmens vereinbar sind. Denn gegen die emotionale Haltung ist keine rationale Überzeugung wirksam. Die Beteiligten müssen nicht nur kognitiv, sondern auch emotional Ja sagen. Das gelingt zum Beispiel durch Kommunikation, Transparenz, Vorbildfunktion etc. Dann kann man den Weg der Veränderung gehen.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Oßenbrink!
Dieses Interview ist Teil von Mittelstand WISSEN zum Thema "Unternehmerische Widerstandsfähigkeit"