26.02.2021Interview

"Beim Wachstum ist eine drei vor dem Komma durchaus noch möglich"

Interview mit Prof. Dr. Dr. h.c. Lars P. Feld |  Konjunkturelle Entwicklung im Jahr 2021
 

Die Corona-Krise hat die deutsche Wirtschaft im vergangenen Jahr schwer getroffen: 2020 ist das Bruttoinlandsprodukt im Vergleich zum Vorjahr um 5 Prozent gesunken. Die Pandemie markiert das Ende einer zehnjährigen Wachstumsphase und zugleich die zweitstärkste Rezession seit Bestehen der Bundesrepublik. Doch wie wird sich die Wirtschaft im Jahr 2021 entwickeln? Der DMB hat mit dem Vorsitzenden der Wirtschaftsweisen, Prof. Dr. Dr. h.c. Lars Feld, über die Konjunkturprognose des Sachverständigenrats, den Arbeitsmarkt und politische Maßnahmen zur Bewältigung der Krise gesprochen

DMB: Im Jahresgutachten aus dem Herbst letzten Jahres hat der Sachverständigenrat ein Wirtschaftswachstum von 3,7 Prozent für das Jahr 2021 vorhergesagt. Danach wurde der Lockdown allerdings verschärft und – Stand jetzt – bis zum 7. März verlängert. Was heißt das für die Konjunkturentwicklung im Jahr 2021?

Lars Feld: Bei den 3,7 Prozent Wirtschaftswachstum, die wir im Herbst prognostiziert haben, hatten wir bereits berücksichtigt, dass es den Mini-Lockdown im November geben würde und wir haben für den gesamten Winter, also von November bis Ende März, entsprechende Restriktionen einkalkuliert. Gegenüber November wurde der Lockdown dann aber ab Mitte Dezember verschärft. Zunächst wurde der stationäre Einzelhandel geschlossen, später sind Schul- und Kitaschließungen hinzugekommen. Ich gehe davon aus, dass es noch länger Einschränkungen geben wird – vermutlich bis weit in den März. Das führt dazu, dass wir im ersten Quartal dieses Jahres wahrscheinlich ein negatives Wachstum bekommen werden, also einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gegenüber dem Vorquartal. Im zweiten Quartal kann dann aber ein „Rebound-Effekt“ mit starker Erholung eintreten, wenn die Wirtschaft wieder zur Normalität zurückkehrt. Das setzt aber voraus, dass es keine weiteren Restriktionen gibt, insbesondere keine Grenzschließungen, denn diese würden das Verarbeitende Gewerbe massiv beeinträchtigen. Insgesamt ist beim Wirtschaftswachstum im gesamten Jahr 2021 eine drei vor dem Komma durchaus noch möglich – 2022 könnten wir dann wieder das Vorkrisenniveau erreichen.  

Wie wird sich der Arbeitsmarkt entwickeln?

Ich denke, dass die Arbeitslosigkeit im Jahresdurschnitt noch einmal ansteigen wird. Das ist vor allem auf die stark betroffenen Branchen, wie Hotel- und Gastgewerbe, Tourismus, stationären Einzelhandel und die Veranstaltungsbranche, zurückzuführen. Es wird weiterhin eine nennenswerte Anzahl an Beschäftigten in Kurzarbeit geben, insbesondere im ersten Quartal. Danach wird die Kurzarbeit dann sukzessive zurückgehen, sodass sie im Jahresdurchschnitt voraussichtlich unter dem Niveau des Jahres 2020 liegen wird. Insgesamt zeigt sich der deutsche Arbeitsmarkt relativ robust. Außerdem haben die Arbeitgeber aufgrund des Fachkräftemangels, der durch den demografischen Wandel in den nächsten Jahren noch verschärft wird, einen klaren Anreiz, ihre Beschäftigten wo immer möglich im Betrieb zu halten. Dieser Effekt wird sich günstig auf den Arbeitsmarkt auswirken.


"Wenn man die Schuldenbremse aufschraubt, öffnet man die Büchse der Pandora"

Der Staat verschuldete sich im vergangenen Jahr in Rekordhöhe. Für den Bundeshaushalt 2021 ist eine Neuverschuldung von 180 Milliarden Euro vorgesehen. Ist die Tragfähigkeit der deutschen Staatsfinanzen in Gefahr?

Durch die Neuverschuldung zur Bewältigung der Corona-Krise haben wir im vergangenen Jahr eine Staatsschuldenquote von etwa 70 Prozent des BIP erreicht – dieses Jahr könnten es bis zu 75 Prozent werden. Damit sind wir noch immer weit weg von dem Schuldenniveau das Deutschland nach der Finanzkrise im Jahr 2010 hatte. Damals ist es uns innerhalb von zehn Jahren ohne große Einschnitte bei den Ausgaben und ohne merkliche Steuererhöhungen gelungen, den Haushalt zu konsolidieren und die Schuldenquote durch Wirtschaftswachstum von über 87 Prozent des BIP auf unter 59 Prozent zu senken. Das ist in den nächsten Jahren genauso möglich. 

Aktuelle Vorschläge zur Aufweichung der Schuldenbremse sehe ich in diesem Kontext sehr kritisch. Wenn man das Grundgesetz ändert und die Schuldenbremse damit aufschraubt, öffnet man die Büchse der Pandora. Denn dann wird sie so stark geschwächt werden, dass eine Rückkehr zu soliden Staatsfinanzen viel schwieriger wird. Die Schuldenbremse ist ein wesentlicher Anker, um in den nächsten 10 bis 15 Jahren wieder eine solide Finanzpolitik zu erreichen. Sollte die Schuldenbremse durch eine Grundgesetzänderung außer Kraft gesetzt werden, hat das letztlich Auswirkungen auf die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen, weil die Schuldenquote dann eben nicht wieder so schnell sinken kann, wie sie in den vergangenen zehn Jahren gesunken ist.

Im Wahljahr schlagen einige Parteien bereits Steuererhöhungen zur Refinanzierung der Kosten der Corona-Krise vor – etwa eine Vermögenssteuer oder eine Erhöhung der Einkommenssteuer. Wie bewerten Sie solche Forderungen?

Ich sehe Steuererhöhungen skeptisch. Wenn man die Staatsfinanzen über Wirtschaftswachstum konsolidieren will, dann verbieten sich Steuererhöhungen, weil sie wachstumshemmend sind. Das gilt besonders für die Vermögensteuer, denn der wesentliche Teil der Vermögen ist in Deutschland als Betriebsvermögen bei den Familienunternehmen und mittelständischen Firmen konzentriert. Mit einer Vermögensteuer geht man unmittelbar an die Substanz des deutschen Mittelstandes – das wäre absolut schädlich für die wirtschaftliche Erholung. Die alte Vermögensteuer war nicht umsonst verfassungswidrig, weil man die Vermögen zu unterschiedlich behandelt hat. Bei einer Neuauflage der Vermögensteuer läuft man entweder wieder in eine Verfassungswidrigkeit hinein oder man muss einen extrem komplizierten Mechanismus finden, wie bei der Erbschaftssteuer, bei dem Betriebsvermögen verschont werden würden.

Grundsätzlich könnte man aber natürlich einmal über Strukturen in der Besteuerung sprechen und Maßnahmen ergreifen, die zu einer besseren Steuerstruktur führen. Bestes Beispiel dafür ist die Energiebesteuerung. Eine vernünftige Energiebepreisung sollte so aussehen, dass der CO2-Preis massiv angehoben wird und die Stromsteuer sowie die EEG-Umlage gleichzeitig zur Kompensation entsprechend gesenkt werden. Eine solche grundlegende Strukturreform bedeutet aber nicht, dass man damit per Saldo höhere Einnahmen erzielen muss.

Vor der Corona-Krise wurden die Forderung nach einer Reform der Unternehmensbesteuerung immer lauter. Im internationalen Steuerwettbewerb drohte Deutschland ins Hintertreffen zu geraten. Sollte die steuerliche Belastung von Unternehmen verringert werden?

Ich bin skeptisch bei Forderungen zur Senkung der Körperschaftsteuer oder Einkommensteuer. In den nächsten Jahren wird eine Steuersenkung schwierig umzusetzen sein. Bei der vollständigen Abschaffung des Solidaritätszuschlags sind noch viele Fragen offen, die es zu beantworten gilt – insbesondere mit Blick auf die Verfassungskonformität. Wir sollten die Diskussion um die internationale Besteuerung in naher Zukunft beenden. Die USA haben unter dem neuen Präsidenten Joe Biden bereits signalisiert, dass sie den Kurs an dieser Front verändern werden. Frankreich wird die angekündigte Steuersenkung für Unternehmen aufgrund der eigenen finanzpolitischen Lage vermutlich nicht umsetzen können. In Großbritannien sind Pläne zur Minderung der Unternehmensteuern bereits einkassiert worden. Der internationale Steuerwettbewerb kommt nun erstmal zur Ruhe. Die neuen OECD-Regeln werden diesen Zustand weiter stabilisieren. In der Diskussion sind die effizientere Besteuerung der digitalen Wirtschaft und die Einführung einer internationalen Mindestbesteuerung. Klare und international geltende Spielregeln könnten deutschen Unternehmen zu mehr Wettbewerbsfähigkeit verhelfen.


"Impfen ist die wichtigste Konjunkturmaßnahme"

Welche Impulse sollte die Bundesregierung im Jahr 2021 setzen, um den wirtschaftlichen Aufschwung voranzutreiben?

Mir wären in diesem Wahljahr vor allem zwei Dinge wichtig: Erstens brauchen wir mehr Tempo bei der Impfstrategie, damit bis zum Sommer 60 Prozent der Bevölkerung geimpft sind. Dafür sollte die Bundesregierung mehr Geld in die Hand nehmen. Wenn die EU hier nicht mitzieht, muss Deutschland notfalls auch einen Alleingang machen. Impfen ist die wichtigste konjunkturpolitische Maßnahme, denn mit einer großen Anzahl an Geimpften ist wieder eine vollständige Öffnung der Wirtschaft möglich. Zweitens wünsche ich mir eine ruhige Hand in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Ich möchte bis zur Bundestagswahl keine neuen Forderungen nach Steuererhöhungen oder unsinnigen Mehrausgaben erleben. Vielmehr sollten die bestehenden Maßnahmen aus dem Konjunkturpaket konsequent umgesetzt werden – da ist noch einiges zu tun. 

Zudem finde ich die Diskussion um die Überbrückungshilfe und die November- und Dezemberhilfe ziemlich unglücklich. Ein besseres Instrument ist der erweiterte steuerliche Verlustrücktrag, dieser wurde nun in der Höhe ausgeweitet. Eine zusätzliche zeitliche Ausweitung würde die Unternehmen weiter entlasten. Der Verlustrücktrag hilft viel zielgerichteter, ist unbürokratisch und läuft über eine etablierte Verwaltungsinfrastruktur. Da müsste man – anders als bei der Überbrückungshilfe – nicht erst entsprechende Prozesse komplett neu aufbauen. Und bei der Überbrückungshilfe muss aufgrund beihilferechtlicher Regeln der EU ab einer größeren Summe letztendlich ja auch ein Verlust nachgewiesen werden.
 

Herr Prof. Feld, vielen Dank für das Gespräch!


 

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