28.01.2021Interview

"Die wichtigste Hilfestellung ist größtmögliche Flexibilität"

Best Practice Beispiel - Ausbildung im Mittelstand

Nach wie vor ist der Fachkräftemangel eine der größten Herausforderungen im Mittelstand. Um passende Fachkräfte zu finden und zu binden, setzen mittelständische Unternehmen auf eine Vielzahl von Maßnahmen. Familienfreundliche Arbeitsbedingungen werden dabei gerade für jungen Menschen immer wichtiger. Im Interview berichtet Dr. Maike Keller, Geschäftsführerin der Avermann Gruppe, wie das Unternehmen seinen Mitarbeiter*innen eine größtmögliche Vereinbarkeit von Familie und Beruf gewährleistet. 


DMB: Frau Dr. Keller, bitte stellen Sie Ihr Unternehmen kurz vor.

Dr. Keller: Avermann ist ein familiengeführtes Maschinenbauunternehmen. Wir arbeiten in zwei Sparten: Umwelttechnik und Betonfertigteiltechnik und gehören darin national wie international zu den Marktführern. An unseren sieben Standorten in Deutschland, Polen, Ungarn und den Niederlanden arbeiten insgesamt rund 430 Menschen. Unsere Produktpalette reicht von Einzelmaschinen bis zu kompletten Anlagen. Wir bilden mit unserem Leistungsspektrum die ganze Prozesskette ab: Von der Beratung, der Projektierung über die Realisierung, Installation und Montage bis zum Service und After Sales.

Technik für gutes Leben lautet unser Leitmotiv. Wir setzen uns ein, um mit unseren Produkten und unserem Unternehmen einen Beitrag zu leisten für einen lebensfreundlichen Umgang mit der Welt und für gutes Bauen und Wohnen. Dazu verbinden wir regionale Verwurzelung mit weltumspannendem Horizont, Tradition mit Wandlungsfähigkeit, Handwerk mit Industrie, Maschinenbau mit Dienstleistung, Erfahrung mit Innovation und Technologie mit Kommunikation.

Welche Bedeutung haben familienfreundliche Arbeitsbedingungen für die Personalpolitik von Avermann?  

Die Balance zwischen unterschiedlichen Lebensbereichen, Aufgaben und Anforderungen halten zu können, ist ein entscheidender Faktor für Zufriedenheit und Lebensfreude. Und Menschen streben von Natur aus vor allem nach Lebensfreude – das jedenfalls ist für uns eine wichtige Grundannahme und Kernelement unseres Menschenbildes. Wir gehen davon aus, dass Rahmenbedingungen, die es ermöglichen, Beruf und Familie in zuträglicher Weise zu verbinden, eine günstige Voraussetzung für ein erfülltes und glückliches Lebens sind. Auch denken wir, dass zufriedene Menschen, denen es gelingt, ihre Angelegenheiten im Lot zu halten, langfristig am leistungsfähigsten sind. Insofern verfolgen wir einen ganzheitlichen Ansatz in unserer Personalpolitik. Soweit zur Theorie.

Die Umsetzung in die Praxis bleibt immer Stückwerk, das will ich nicht verhehlen. Auf jeden Fall aber haben unter dem Dach dieses Unternehmens immer wieder viele Menschen in den zurückliegenden 75 Jahren, in denen es diese Firma schon gibt, langfristig ein Auskommen gefunden und Sicherheit und Solidarität erfahren, was es ihnen ermöglicht hat, Familien zu gründen, Kinder aufzuziehen und erfreuliche Lebensbedingungen für sich und die ihren zu schaffen. MitarbeiterInnen, die sich darauf verlassen können, dass ihr Arbeitgeber sie nach Möglichkeit durch alle Wechselfälle des Lebens hindurch unterstützt, fühlen sich ihrem Unternehmen naturgemäß verbunden. Wir sind da scheinbar nicht ganz verkehrt unterwegs, wenn wir die vielen Jubiläen für zehn-, zwanzig-, dreißig- und gelegentlich auch vierzigjährige Firmenzugehörigkeit betrachten. Das Unternehmen hat auf diese Weise herausragende Experten gewonnen und jedes Jahr kommen neue junge Leute dazu, die hier günstige Rahmenbedingungen für ihre Biografien finden und die sich, so sie es noch nicht sind, in diesem Kontext zu exzellenten Fachkräften entwickeln.

Welche konkreten Maßnahmen setzt Avermann zur Schaffung familienfreundlicher Arbeitsbedingungen um?

Ganz grundsätzlich geht es zunächst einmal um die oben beschriebene Haltung, die die Kultur im Unternehmen prägt. Die ist, wenn’s gut ist, die Voraussetzung für ein vertrauensvolles Miteinander, das es erlaubt, familiäre Dinge auch mit dem/ der Vorgesetzten anzusprechen und im Bedarfsfall Unterstützung zu bekommen. Die wichtigste Hilfestellung ist vermutlich eine größtmögliche Flexibilität bei der Gestaltung der Arbeitszeiten und ein dynamischer Umgang mit plötzlich auftretenden häuslichen Verpflichtungen. Wir haben eine Vielzahl von individuellen Arbeitszeitregelungen und gehen davon aus, dass das eher noch mehr werden in der Zukunft. Dazu kommt ein ganzer Blumenstrauß an kleineren oder größeren Maßnahmen, als da sind:

1. Zumindest im kaufmännischen Bereich (in der Produktion ist das grundsätzlich nicht machbar) umfängliche Möglichkeiten für mobiles Arbeiten.

2. Anteilnahme an familiären Ereignissen mit Gesprächen, Grußbotschaften oder kleinen Geschenken.

3. Die Einführung eines Familientages, bei dem die MitarbeiterInnen ihren Angehörigen das Unternehmen und den eigenen Arbeitsplatz zeigen können.

4. Alle paar Jahre große Feste, zu denen auch die PartnerInnen eingeladen werden.

5. An Zukunftstagen die Möglichkeit vor allem auch für Kinder von MitarbeiterInnen, einen Einblick ins Arbeitsleben zu bekommen.

6. Praktikumsplätze, die oft von Familienangehörigen in Anspruch genommen werden. Ein Bedarf an der Einrichtung von Kinderbetreuungsmöglichkeiten war bei unserer zum überwiegenden Teil männlichen Belegschaft (90%) bislang nicht erkennbar.

Beobachten Sie im Vergleich zu früher eine andere Prioritätensetzung bei Bewerberinnen und Bewerbern beim Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf?

Davon sind wir fest überzeugt. Der Maschinen- und Anlagenbau ist eine stark männerdominierte Branche. Ältere Männer haben sich vielfach kaum um die Familienarbeit gekümmert und sich mit größtem Einsatz auf ihr Berufsleben konzentriert. Es waren bekanntlich meist die Frauen, die sich um Kinder, Haushalt, Angehörige usw. gekümmert haben. In der jüngeren Generation ist da eine deutliche Veränderung spürbar. Die Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub ist mittlerweile zur Selbstverständlichkeit geworden, junge Väter bringen sich, so scheint es zumindest aus Firmenperspektive, wesentlich mehr in die Kinderbetreuung ein. Daneben nimmt auch die Sorge für die Elterngeneration einen ganz anderen Stellenwert bei unseren MitarbeiterInnen ein als früher. Angesichts der gestiegenen Lebenserwartung ist die mittlere Generation hier in ganz neuer Weise gefordert. Vor diesem Hintergrund ist es im Sinne der Familienfreundlichkeit übrigens auch wichtig, dass Unternehmen ihre Türen offen halten für Menschen, die erst in fortgeschrittenem Alter und auf Umwegen ihre Berufslaufbahn neu aufnehmen.

Das Unternehmensnetzwerk „Erfolgsfaktor Familie“ von Bundesfamilienministerium und DIHK bietet eine Austauschplattform für Unternehmen, die sich für eine familienbewusste Personalpolitik interessieren oder bereits engagieren. Was hat Sie zur Mitgliedschaft in diesem Netzwerk motiviert?

Das zuvor Gesagte hat es schon deutlich gemacht: Es ist uns ein Anliegen, daran mitzuwirken, die gesellschaftlichen Strukturen zu verändern. Erreichen lässt sich am besten etwas im Zusammenwirken mit anderen. Eine gemeinsame Plattform, Leitlinien für die strukturierte und systematische Entwicklung einer familienfreundlichen Unternehmenskultur und eine Messlatte, an der man die Fortschritte sichtbar machen kann, sind dabei sehr hilfreich. Der Blick von außen auf das Unternehmen unterstützt dabei, „bei der Stange zu bleiben“ und nicht nachzulassen in der Anstrengung, jeden Tag auf diesem Gebiet ein kleines bisschen besser zu werden. Außerdem entsteht eine richtige Bewegung dann, wenn viele sich ihr anschließen. Und wir stellen ja gerade aktuell am Beispiel des nachhaltigen Wirtschaftens und Konsumierens fest, dass jetzt, wo so viele Menschen, Firmen und Institutionen die Bedeutung des Klimaschutzes erkannt haben, enorme Veränderungen möglich sind.

Hat das Thema Familienfreundlichkeit während der Corona-Krise für Sie noch einmal einen anderen Stellenwert bekommen?

Die Pandemie trifft die Familien in besonderer Weise. Der wiederholte und zum Teil plötzlich eintretende Ausfall von Unterricht, Kindertagesstätten und sonstigen Betreuungsmöglichkeiten für Kinder und die Elterngeneration stellt die Familien, wie wir ja alle wissen, vor gigantische Herausforderungen. Da ist in ganz besonderer Weise Beweglichkeit – auch seitens der Arbeitgeber gefragt.

 

Frau Dr. Keller, vielen Dank für das Gespräch!

 

PDF laden

Mehr zu diesen Themen