29.04.2021Fachbeitrag

Die wichtigsten Fragen & Antworten zum BEM

Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) als Teil des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) ist nicht nur hochkomplex, sondern für Arbeitgeber auch fehleranfällig und beratungsintensiv. Fachanwalt für Arbeitsrecht Pascal Verma aus der bundesweit tätigen Kanzlei nbs partners beantwortet im FAQ die wichtigsten Fragen für Arbeitgeber.

Was versteht man unter Betrieblichem Eingliederungsmanagement (BEM)?

Die gesetzliche Grundlage für das BEM ist in § 167 Abs. 2 SGB IX zu finden. Dabei handelt es sich um ein vom Gesetzgeber vorgeschriebenes Verfahren, welches im Zusammenhang mit längerfristig oder häufig erkrankenden Arbeitnehmer*innen durchzuführen ist.  

Warum gibt es das BEM und welches Ziel wird verfolgt?

Das BEM verfolgt das Ziel, der Gefährdung des Arbeitsverhältnisses durch gesundheitliche Gründe vorzubeugen und dieses für die Zukunft zu sichern. Hierfür soll durch gemeinsam erarbeitete Maßnahmen die bestehende Arbeitsunfähigkeit überwunden und neuer Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt werden.

 

Voraussetzungen und gesetzliche Verpflichtungen

Wann wird ein BEM eingeleitet bzw. was sind die Voraussetzungen für ein BEM?

Nach § 167 Abs. 2 SGB IX müssen Arbeitgeber ihren Arbeitnehmer ein Angebot zur Durchführung eines BEM machen, wenn diese innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig waren. Entscheidend hierfür ist nicht der Zeitraum eines Kalenderjahres, sondern jeweils die zurückliegenden 365 Tage.

Beispiel: Arbeitnehmer A ist im Oktober 2020 vier Wochen arbeitsunfähig erkrankt. Im Mai 2021 ist er erneut vier Wochen arbeitsunfähig. Obwohl A in den Kalenderjahr 2020 und 2021 jeweils weniger als sechs Wochen arbeitsunfähig war, ist dennoch ein BEM durchzuführen, weil er innerhalb von 365 Tagen länger als sechs Wochen arbeitsunfähig gewesen ist.

Weitere Voraussetzungen bestehen nicht. Vor allem ist die Art der Erkrankung, das Bestehen einer betrieblichen Interessenvertretung oder die Größe des Betriebes für die Pflicht zur Durchführung eines BEM nicht maßgeblich.

Wird ein BEM auf Initiative des Arbeitgebers oder -nehmers eingeleitet?

Liegen die Voraussetzungen eines BEM vor, so trifft den Arbeitgeber eine Initiativpflicht. Der Arbeitgeber ist zur ordnungsgemäßen Einleitung des BEM verpflichtet. Hierfür muss er dem Arbeitnehmer die Durchführung eines BEM anbieten und ihm eine selbstbestimmte und freiwillige Entscheidung über die Durchführung ermöglichen. Erforderlich ist daher, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über die im konkreten Fall bestehenden Ziele des BEM sowie Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten aufklärt. Außerdem sollte aus dem Angebotsschreiben hervorgehen, dass die Durchführung für den Arbeitnehmer freiwillig ist und welche weiteren Gremien ggf. beteiligt werden können.

Wer trägt die Kosten der BEM-Maßnahmen?

Die Kosten der Maßnahmen trägt grundsätzlich der Arbeitgeber. Häufig werden Gesundheitsleistungen jedoch durch die Kassen zumindest unterstützt.

Ist das BEM gesetzlich verpflichtend für Arbeitgeber und -nehmer?

Arbeitgeber sind gesetzlich dazu verpflichtet, dem Arbeitnehmer bei Vorliegen der oben genannten Voraussetzungen die Durchführung eines BEM anzubieten.

Arbeitnehmer sind nicht dazu verpflichtet, das Angebot des Arbeitgebers anzunehmen. Die Durchführung des BEM ist für den Arbeitnehmer freiwillig. Darüber hinaus können Arbeitnehmer auch ein bereits begonnenes BEM jederzeit abbrechen. Außerdem kann der Arbeitnehmer auch darüber entscheiden, welche weiteren Stellen (z.B. Betriebsrat) am BEM beteiligt werden und seine Zustimmung zur Durchführung oder Fortsetzung hiervon abhängig machen.

 

Umsetzung

Wann beginnt und wann endet der BEM-Prozess?

Der Prozess des BEM beginnt mit dem Angebot des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer, ein BEM durchzuführen.

Umgekehrt endet das BEM jedenfalls dann, wenn das Ziel erreicht ist. Also dann, wenn der Arbeitnehmer dauerhaft geringere Arbeitsunfähigkeitszeiten hat. Darüber hinaus kann das BEM jederzeit dadurch beendet werden, dass der Arbeitnehmer seine Zustimmung zur Durchführung zurücknimmt. Außerdem können die betreffenden Parteien einvernehmlich zu dem Ergebnis kommen, dass das BEM abgeschlossen ist.

Wie wird das BEM umgesetzt (Maßnahmen, Dauer etc.)?
 

Liegen die Voraussetzungen eines BEM vor und hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer ordnungsgemäß die Durchführung eines BEM angeboten, so hängt das weitere Vorgehen von der Entscheidung des Arbeitnehmers ab. Lehnt der Arbeitnehmer das BEM ab, so ist der Prozess beendet. Nimmt er das Angebot hingegen an, so ist das BEM weiter durchzuführen.

Wie das BEM durchzuführen ist, ist gesetzlich allerdings nicht ausdrücklich geregelt und daher grundsätzlich frei gestaltbar. Sofern der Arbeitnehmer einer Durchführung zugestimmt hat, sollte zunächst ein erstes Gespräch mit den beteiligten Parteien geführt werden, in dem die Ergebnisoffenheit des Prozesses hervorgehoben und individuelle Ziele festgelegt werden. Sodann sind konkrete Maßnahmen im Miteinander zu erarbeiten. Diese sollten in einer gemeinsamen Abschlusserklärung festgehalten und anschließend umgesetzt werden. Die konkrete Dauer des BEM hängt von den Umständen des Einzelfalles ab und ist gesetzlich nicht vorgeschrieben.

In Betrieben, in denen ein Betriebsrat besteht, ist die Einleitung und Durchführung des BEM häufig einheitlich durch Betriebsvereinbarungen geregelt. Im Zusammenhang mit dem Gesundheitsschutz besteht ein Mitbestimmungsrecht (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG).

Wer ist am BEM-Prozess beteiligt (Ärzte, Therapeuten etc.)?

Zwingend zu beteiligen sind die Arbeitsvertragsparteien. Daneben können auch weitere Parteien am BEM beteiligt werden. So sind – die Zustimmung des Arbeitsnehmers vorausgesetzt – auch die zuständige Arbeitnehmervertretung (Betriebsrat bzw. Personalvertretung) sowie bei schwerbehinderten Menschen darüber hinaus die Schwerbehindertenvertretung zu beteiligten. Soweit erforderlich ist der Werks- oder Betriebsarzt als zusätzliche Partei hinzuziehen. In Absprache mit dem Arbeitnehmer können darüber hinaus weitere externe Parteien, wie beispielsweise Krankenkassen, Ärzte und Therapeuten hinzugezogen werden.

 

BEM ist nicht, fehlerhaft oder ordnungsgemäß durchgeführt – Was nun?

Was nutzt ein ordnungsgemäß durchgeführtes BEM?

Die Durchführung des BEM hat vor allem Auswirkungen auf einen möglichen Kündigungsschutzprozess. Wie sich das BEM auswirkt, hängt hierbei vom Ergebnis des BEM ab. Hat das BEM zu einem positiven Ergebnis geführt, so ist der Arbeitgeber vor dem Ausspruch einer Kündigung grundsätzlich dazu verpflichtet, zunächst die im BEM besprochenen Maßnahmen umzusetzen. Andernfalls steht er im Kündigungsschutzprozess vor der schwierigen Aufgabe, darlegen zu müssen, wieso er die im BEM vereinbarten Maßnahmen nicht zunächst umgesetzt hat und es für den Arbeitnehmer dennoch keine andere leidensgerechte Beschäftigungsmöglichkeit gibt.

Hat das BEM umgekehrt zu dem Ergebnis geführt, dass keine Möglichkeiten bestehen, die Arbeitsunfähigkeit zu überwinden, so kann der Arbeitgeber hierauf im Kündigungsschutzprozess verweisen.

Was passiert, wenn das BEM nicht durchgeführt wurde?

Ein nicht durchgeführtes BEM hat zunächst keine unmittelbaren Rechtsfolgen.

Allerdings kann es für den Arbeitgeber vor allem im Kündigungsschutzprozess zu Nachteilen führen. Zwar führt das unterlassene BEM nicht zwingend zur Unwirksamkeit einer Kündigung. Jedoch erweitert die Rechtsprechung die den Arbeitgeber treffende Darlegungs- und Beweislast im Hinblick auf den Nachweis, dass keine milderen Mittel zur Kündigung bestehen. Der Arbeitgeber muss bei einem unterlassenen BEM letztlich detailliert nachweisen können, dass ein ordnungsgemäß durchgeführtes BEM erfolglos geblieben wäre, also keine leidensgerechte Beschäftigungsmöglichkeit zu finden waren. Dieser Nachweis ist häufig kaum zu führen, sodass ein BEM in der Praxis unbedingt durchgeführt werden sollte.

Was passiert, wenn das BEM nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde?

Ein nicht ordnungsgemäß durchgeführtes BEM wird von der Rechtsprechung mit einem nicht durchgeführten BEM gleichgesetzt.

Was ist, wenn ein Arbeitnehmer nach erfolgreicher Wiedereingliederung „rückfällig“ wird? Wie oft ist der Arbeitgeber verpflichtet, BEM-Maßnahmen anzubieten?

Der Arbeitgeber muss gem. § 167 Abs. 2 SGB IX nach einem durchgeführten BEM erneut ein BEM durchführen, wenn der Arbeitnehmer nach Abschluss des ersten BEM innerhalb eines Jahres erneut länger als sechs Wochen oder wiederholt arbeitsunfähig wird. Ein "Mindesthaltbarkeitsdatum" bzw. eine Begrenzung der rechtlichen Verpflichtung auf eine nur einmalige Durchführung im Jahreszeitraum besteht nicht (vgl. z.B. LAG Düsseldorf, Urteil vom 9. Dezember 2020, Az.: 12 Sa 554/20).

 

 

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