27.03.2023Interview

Fachkräften im Handwerk neue Aufstiegschancen bieten

Vielfältigere Aufstiegsfortbildungen könnten den Bildungsweg im Handwerk insgesamt attraktiver machen.

Das Handwerk ist ein zentraler Akteur bei der Umsetzung der Energiewende und der digitalen Transformation. Wie Handwerksbetriebe die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen und dem Fachkräftemangel entgegenwirken können, wo die Weiterbildungsbedarfe des Handwerks liegen und welche Angebote die ZWH für Fachkräfte und Betriebe plant, erklärt Anke Hallwaß von der Zentralstelle für die Weiterbildung im Handwerk (ZWH) im Interview.

Frau Hallwaß, Sie arbeiten bei der Zentralstelle für die Weiterbildung im Handwerk (ZWH) und beschäftigen sich im Projekt ProNet Handwerk mit Innovation und Attraktivität in der beruflichen Bildung im Handwerk. Welchen Weiterbildungsbedarf sehen Sie dort aktuell?

Insbesondere im Baugewerbe bieten Energiewende und Digitalisierung enorme Chancen und gleichzeitig werden neue Kompetenzen benötigt. Das Handwerk ist der zentrale Umsetzer der Energiewende. Fortbildungen in den Bereichen Energieeffizienz, smarte Systeme oder digitales Bauen befähigen Betriebe jeder Größe dazu, neue Geschäftsfelder zu erschließen. Wärmepumpen, Photovoltaikanlagen und Speichertechnologien erleben einen nie dagewesenen Nachfrageboom. Gleichzeitig ist der Fachkräftemangel im Handwerk auf einem so hohen Niveau, dass wir dringend eine größere Vielfalt an Aufstiegsfortbildungen, ähnlich wie auf dem akademischen Markt, benötigen, um den Bildungsweg im Handwerk insgesamt attraktiver zu machen.

Auch in Bezug auf die sogenannte Schnittstellenkompetenz sehen wir Weiterbildungsbedarf. Denn wenn ein Haus gebaut oder modernisiert wird, kommen unterschiedliche Berufsgruppen und Gewerke zusammen. Soll das Projekt ein Erfolg werden, müssen sie gut zusammenarbeiten. Der Alltag auf der Baustelle ist allerdings häufig von Komplikationen an den Schnittstellen der Gewerke geprägt.

Viele Unternehmen wünschen sich außerdem Unterstützung bei der Einführung digitaler Prozesse, denn eine Umstellung darauf bringt einen hohen Bedarf an zeitlichen und monetären Investitionen aber auch an Qualifizierung mit sich. Vor allem in kleineren Betrieben besteht Schulungsbedarf darin, sich digitaler aufzustellen und die Möglichkeiten der Digitalisierung auszuschöpfen. Damit das Handwerk zukunftsfähig bleibt und auf neue Entwicklungen flexibel reagieren kann.

Das Handwerk hat alle Hände voll zu tun. Zeit für Weiterbildung ist sicherlich knapp. Mit welchen Angeboten versuchen Sie, das Handwerk weiter zu qualifizieren?

Wir entwickeln aktuell einen neuen Fortbildungsabschluss in der beruflichen Bildung, der gleichwertig zum akademischen Bachelor angesiedelt ist und voraussichtlich im Herbst startet: den „Bachelor Professional für Energieeffizienz und digitales Bauprojektmanagement“. Diese Fortbildung ist Teil des InnoVET-Projekts ProNet Handwerk, das durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung für eine exzellente berufliche Bildung gefördert wird. Es kommt hier viel Expertise und Erfahrung aus Praxis und Wissenschaft zusammen.

Mit der Fortbildung wollen wir die Teilnehmenden fit machen für die Leitung gewerkeübergreifender Projekte zur Modernisierung von Gebäuden, für die Entwicklung neuer Dienstleitungen und Geschäftsmodelle und die digitale und nachhaltige Transformation ihrer Betriebe.

Der Bachelor Professional ist modular aufgebaut und berufsbegleitend auf drei Jahre ausgelegt. Wir haben uns dabei bewusst für das Blended-Learning-Format entschieden, in dem neben einigen Präsenztagen vor allem Online-Unterricht und flexible Selbstlernphasen stattfinden. Besonders ist der gewerkeübergreifende Ansatz. Hier kommen Fachkräfte beispielsweise aus dem Elektro-, Sanitär-Heizung-Klima- und Dachdeckerhandwerk zusammen, lernen, was wichtig für die anderen Gewerke und für die Arbeit an den Schnittstellen ist. Sie lernen von Anfang an, gemeinsam Projekte mit innovativen Methoden und Technologien zu planen und umzusetzen.

Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen: Wir befähigen Handwerker*innen dazu, mit BIM zu arbeiten. Building Information Modeling (BIM) ist eine Methode des digitalen Bauprojektmanagements, die bisher eher Architekt*innen und Ingenieur*innen vorbehalten war. Den praktischen Umgang mit BIM erlernen die Teilnehmenden an einem eigens für die Fortbildung entworfenen BIM-Modell. Wie im wahren Leben, arbeiten im Kurs unterschiedliche Gewerke zusammen und greifen auf die gleichen digitalen Daten zu, um ein energetisches Modernisierungsprojekt erfolgreich zu realisieren.

Wie profitieren Fachkräfte und Betriebe davon?

Der Bachelor Professional bietet Fachkräften neue Aufstiegschancen neben der gewerkspezifischen Meisterqualifizierung. Sie können gewerkeübergreifende Teams führen, den Betrieb weiterentwickeln und neue, spannende und sinnstiftende Aufgaben übernehmen.

Betriebe können große Projekte realisieren, Verbünde mit anderen Betrieben eingehen und den Kund*innen ganzheitliche Lösungen aus einer Hand anbieten. Auch mit dem Einsatz von BIM sind viele Vorteile für die Betriebe verbunden, z. B. lässt sich die Kommunikation und Schnittstellenkoordination deutlich verbessern. Es können Fehler und Lücken in der Planung frühzeitig erkannt und somit kostenintensive Nachträge vermieden werden. Wettbewerbsvorteile ergeben sich außerdem durch die Möglichkeit, sich an Ausschreibungen der öffentlichen Hand zu beteiligen, die einen BIM-Einsatz voraussetzen.

Und auch das Thema Image ist ein wichtiges im Handwerk. Fach- und Führungskräfte, die den Betrieb modern, nachhaltig und digital aufstellen, werden nicht nur Zeit und Kosten sparen, sondern auch beim Thema Nachwuchssicherung die Nase vorn haben.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Hallwaß!

Weitere Informationen zum Bachelor Professional für Energieeffizienz und digitales Bauprojektmanagement finden Sie unter:"Bachelor Professional für Energieeffizienz und Baumanagement (pronethandwerk.de)"

Dieses Interview ist Teil von Mittelstand WISSEN zum Thema "Unternehmerische Widerstandsfähigkeit"

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