Flexible Arbeitszeiten sind ein Muss, reichen aber nicht

Wie KMU eine passgenaue Vereinbarkeitsstrategie entwickeln können
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist für immer mehr Fachkräfte ein zentrales Kriterium bei der Wahl des Arbeitgebers. Unternehmen können mit einer guten Vereinbarkeitsstrategie einen wichtigen Beitrag leisten, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu binden und sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren. Dabei lohnt sich ein genauer Blick auf die Bedarfe und Wünsche von verschiedenen Beschäftigtengruppen.
Unterstützung bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist wichtiges Merkmal der Arbeitgeberattraktivität und damit ein wirksames Instrument im Wettbewerb um Fachkräfte. Der Fachkräftemangel hemmt die deutsche Wirtschaft, und Personalengpässe betreffen insbesondere mittelständische Betriebe. 53 Prozent der deutschen KMU haben Schwierigkeiten, Personal zu finden und binden (Gothaer KMU-Studie 2023).1 Gerade KMU sind derzeit mehr denn je darauf angewiesen, attraktive Arbeitsbedingungen zu bieten. Dabei setzen sie an erster Stelle auf flexible Arbeitszeiten (ebd.) und bedienen damit ein sehr wichtiges Bedürfnis von Fachkräften mit Familienverantwortung. Die Gruppe ist groß und umfasst 11,6 Millionen Mütter und Väter und 2,5 Millionen Erwerbstätige, die zusätzlich noch Angehörige pflegen. Aber reichen flexible Arbeitszeiten, um sich als attraktive Arbeitgeber hervorzuheben?
Die neue Prognos-Studie für das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zeigt auf Basis einer repräsentativen Befragung von mehr als 2.500 erwerbstätigen Müttern, Vätern und pflegenden Angehörigen erstmals differenziert auf, was Arbeitgeberattraktivität aus Sicht verschiedener Beschäftigtengruppen mit familiärer Verantwortung ausmacht.
Genau hinschauen lohnt sich
Vor allen Maßnahmen steht erstmal die erlebte Kultur: Nahezu alle Eltern und Pflegende erwarten von ihren Arbeitgebern Wertschätzung von Familie und Rücksichtnahme auf ihre Vereinbarkeitsbedürfnisse – dies auch und gerade bei der Arbeitszeitgestaltung. Besonders wichtig sind aus Sicht der Beschäftigten Flexibilität für geplante oder spontane Auszeiten und Arbeitszeitunterbrechungen – dies trifft auf 60 Prozent der Befragten zu. Aber auch KMU, die aufgrund ihrer Tätigkeiten weniger flexible Arbeitszeiten anbieten können, können bei Beschäftigten punkten. Immerhin 21 Prozent der Befragten finden eine möglichst hohe Planbarkeit der Arbeitszeit wichtig – das sind umgerechnet 2,8 Millionen Beschäftigte.
Wichtig ist für alle Beschäftigten, dass sie keine Benachteiligung der Karriere durch Vereinbarkeit erfahren. Auch dies gehört für etwa 80 Prozent zu den fünf wichtigsten Merkmalen eines Arbeitgebers. Und hier lauert ein echtes Risiko: Fast die Hälfte dieser Beschäftigten würde einen langfristigen Karriereknick durch Vereinbarkeit nicht hinnehmen wollen und deswegen den Arbeitgeber wechseln. Dem können Unternehmen aber gut entgegentreten, wenn an eigenen guten Beispielen deutlich wird, dass auch in verantwortungsvollen Positionen Menschen mit familiärer Verantwortung und ggf. sogar in Teilzeit tätig sind.
Die gute Nachricht ist: aufwändige, kostenintensive Maßnahmen sind keine Voraussetzung für gute Vereinbarkeit. Im Gegenteil gehen sie nicht selten auch am Bedarf vorbei. So ist die betriebliche Kinderbetreuung aufgrund von Betreuungsengpässen in den Kitas gerade sehr im Fokus und für 16 Prozent der Befragten auch besonders wichtig. Jedoch ist diese Gruppe deutliche kleiner als die 60 Prozent der Befragten, die zeitliche Flexibilität als besonders wichtig hervorheben.
Die Ergebnisse zeigen aber auch: Vereinbarkeit ist nicht für alle das Gleiche. Wenn sie zwischen verschiedenen Maßnahmen wählen müssen, haben Mütter, Väter und Pflegende unterschiedliche Präferenzen.
- Mütter tragen immer noch die Hauptverantwortung für die Kinderbetreuung. Sie müssen ihre Arbeitszeiten oftmals an externe Zeittaktgeber wie Kinderbetreuungseinrichtungen anpassen. Daher ist für 60 Prozent von ihnen die Rücksichtnahme auf Öffnungszeiten von Betreuungseinrichtungen essenziell. Wichtig ist aber auch die Möglichkeit, ihr Arbeitspensum ändern zu können – und zwar ohne, dass die Aufgaben weniger anspruchsvoll werden oder negative Folgen für die weitere Entwicklung passieren. Ein für Mütter attraktiver Arbeitgeber sollte auch die Möglichkeit bieten, als Führungskraft in Teilzeit zu arbeiten.
- Väter wünschen sich insgesamt noch viel mehr Ermutigung, Vereinbarkeitsmaßnahmen zu nutzen. Das gilt insbesondere für die Elternzeit, für die sich immerhin 45 Prozent der Väter mehr Zuspruch wünschen. Zeit für Familie hat eine hohe Bedeutung, deshalb sind flexible Gestaltungsmöglichkeiten der wöchentlichen Arbeitszeit (z.B. einen Nachmittag frei) und des Arbeitsortes bzw. Homeoffice-Tage für Väter sehr attraktiv.
- Die Pflege von Angehörigen hat viele verschiedene Facetten. Die Herausforderungen, Beruf und Pflege der eigenen Eltern unter einen Hut zu bringen sind andere, als die Pflege eines chronisch kranken oder behinderten Kindes mit der eigenen Berufstätigkeit zu vereinbaren. Das bedeutet Hinhören oder aber eine aktive Ansprache ohne Scheu. Denn aus Sicht der Beschäftigten soll Pflege kein Tabuthema im Unternehmen sein. Wichtiger als kostenintensive Maßnahmen, wie die die Bereitstellung von Pflegeplätzen, ist für sie die Planbarkeit der Arbeitsbelastung. Daher finden 47 Prozent der Pflegenden auch eine Erfassung von Arbeitszeit als wichtig – so dass sie ohne schlechtes Gewissen z.B. angesammelte Überstunden für Arztbesuche oder ähnliches nutzen können. Insgesamt scheinen KMU etwas pflegefreundlicher als größere Unternehmen: nur 12 Prozent der dort Beschäftigten empfinden ihre Vereinbarkeit von Pflege und Beruf als überaus herausfordernd, während dies immerhin 17 Prozent der Beschäftigten aus großen Unternehmen (1000 Mitarbeitende) und 21 Prozent aus mittelgroßen Unternehmen (250 bis unter 1000 Mitarbeitende) so empfinden.
Die Erwartung von Beschäftigten, dass ihr Arbeitgeber für eine gute Vereinbarkeit sorgt, existiert unabhängig von der Größe des Unternehmens. KMU können genauso wie große Unternehmen mit Vereinbarkeit punkten, wenn sie die richtige Strategie fahren. Mit einem differenzierten Blick auf die verschiedenen Beschäftigtengruppen können KMU ihre Attraktivität als Arbeitgeber gezielt steigern und Fachkräfte mit Familienverantwortung für sich gewinnen.
Fazit: Im Jahr 2024 reicht es nicht mehr aus, einem allgemeinen Trend oder Vereinbarkeitshandbuch zu folgen. Vereinbarkeit als wirksame Fachkräftesicherungsstrategie muss sich an der Zusammensetzung der Belegschaft (aktuelle Bedarfe), der Personalplanung (wer will / soll mit Familie auch Karriere machen?) und an den Zielgruppen für die Personalakquise (für wen wollen wir besonders attraktiv sein, z.B. junge Väter?) orientieren.
Schritt für Schritt zu mehr Arbeitgeberattraktivität
Drei Stufen führen zu mehr Arbeitgeberattraktivität:
- Eine familienfreundliche Unternehmenskultur ist die unverzichtbare Basis. Ohne sie geht es nicht, sie ist eine Voraussetzung für Eltern und Pflegende, um in einem hohen Maß erwerbstätig sein zu können. Und das ist bei KMU oftmals schon Realität bzw. aufgrund der Größe leichter umsetzbar.
- Mit der Berücksichtigung der unterschiedlichen Präferenzen von Müttern, Vätern und Pflegenden können Unternehmen auf dieser Basis attraktive Arbeitgeber für die jeweiligen Zielgruppen werden. Auch hier fällt es KMU aufgrund der Nähe zu den Beschäftigten und dem Wissen über ihre privaten Lebensumstände oft leichter, individuelle Angebote zu machen.
- KMU können ihre Arbeitgeberattraktivität noch einmal steigern, wenn sie dabei auch verschiedene Lebensumstände berücksichtigen. Denn im Laufe des Lebens verändern sich Vereinbarkeitsbedürfnisse. Älter werdende Kinder, der plötzliche Pflegebedarf eines Angehörigen, aber auch neue berufliche Aufgaben und Ambitionen verändern die Prioritäten. Das bedeutet vor allem einen kontinuierlichen Dialog mit den Beschäftigten – auch etwas, was in KMU mit kleineren Führungsspannen oft schon Alltag ist.
KMU, die so vorausschauend und zielgruppengenau auf die Vereinbarkeitsbedürfnisse und -präferenzen eingehen, stärken nicht nur die Bindung ihrer Mitarbeitenden, sondern gewinnen qualifizierte Fachkräfte und Arbeitskräfte – und sichern damit ihre Zukunft.
Und wo stehen KMU heute? Was brauchen Personalverantwortliche, die diesen Weg zu mehr Arbeitgeberattraktivität gehen wollen?
Nach der Befragung der Beschäftigten für die Studie „Familienfreundliche Arbeitgeber: Die Attraktivitätsstudie“ soll jetzt die Sicht der Arbeitgeber und Personalverantwortlichen erfragt werden, um aus diesem Gesamtbild konkrete Ansätze für eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit abzuleiten.
Machen Sie mit und tragen Sie als Personalverantwortliche mit Ihren Erfahrungen zu einer noch besseren Unterstützung von KMU bei.
Hier geht’s zur Studie: Erfolgsfaktor Familie - Was erwarten Fachkräfte mit Familienverantwortung von ihren Arbeitgebern? (erfolgsfaktor-familie.de)
Hier geht´s zur Befragung: Familienfreundlichkeit und Arbeitgeberattraktivität - die Sicht von Personalverantwortlichen (prognos.com)
Unternehmensprogramm Erfolgsfaktor Familie: Familienfreundlichkeit als Markenzeichen der deutschen Wirtschaft - dafür setzt sich das Bundesfamilienministerium zusammen mit den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft (BDA, DIHK, ZDH), dem DGB sowie weiteren Branchen- und Fachverbänden ein. Das Unternehmensprogramm Erfolgsfaktor Familie bietet aktuelles Expertenwissen, Informationen, innovative Praxisbeispiele und Erfahrungsberichte aus einzelnen Unternehmen und das bundesweit größte Netzwerk für Unternehmen, die sich für Familienfreundlichkeit engagieren.
Dieser Beitrag ist Teil der Themenkolumne "Vereinbarkeit von Beruf und Familie"