„Fragen Sie Ihre Mitarbeiter*innen, woran sie Interesse haben!“
Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) ist nicht nur gesetzlich vorgeschrieben, sondern auch eine wirksame Maßnahme, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Experte Stefan Kraus spricht im DMB-Interview über den Einfluss der Digitalisierung und der Corona-Pandemie auf das BGM und gibt Unternehmer*innen wertvolle Tipps.
Hallo Herr Kraus, diese Woche dreht sich beim DMB alles um Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz. Sie sind ein erfahrener Experte auf dem Gebiet BGM!
Das ist richtig! Ich habe zunächst Sportwissenschaften studiert und mich anschließend in der Fitnessbranche mit drei Studios selbstständig gemacht. Vor 15 Jahren habe ich dann den Entschluss gefasst, in die Unternehmensberatung zu wechseln. Meine Schwerpunkte liegen in der Unternehmenskultur, Kommunikation, Führung und Strategieentwicklung. Dabei stoße ich immer wieder auf die Themen Gesundheit, Gesundes Führen und Motivation. Wenn ich Unternehmen im Bereich BGM berate, kann ich also meine Expertise aus den Bereichen Training und Sportwissenschaften einbringen, gleichzeitig aber auch meine Erfahrungen als Coach und Unternehmer.
Das klingt nach einem spannenden Lebenslauf! Zwar ist die Abkürzung BGM allgemein bekannt, doch was versteht man genau unter Betrieblichem Gesundheitsmanagement und wie setzt man es im Unternehmen um?
Unter das Betriebliche Gesundheitsmanagement fallen verschiedene Aspekte. Der Prozess des Betrieblichen Gesundheitsmanagement startet sinnvollerweise mit einer Bestandsaufnahme: Was gibt es überhaupt schon im Unternehmen und was ist gewünscht? Aus dieser IST-Analyse entwickeln wir dann eine gemeinsame Zielsetzung. Im Bereich des BGM gibt es verschiedene gesundheitsfördernde Maßnahmen. Zum einen basieren diese auf dem Arbeitsrecht. Diese Verpflichtungen sind im Bereich Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit angesiedelt. Dazu zählen in erster Linie der Arbeitsschutz, Erste-Hilfe-Maßnahmen oder die psychische Gefährdungsbeurteilung. Zum anderen gibt es für die Unternehmen aber auch die Möglichkeit, freiwillige Leistungen anzubieten. Die freiwilligen Leistungen drehen sich häufig um die Themen Bewegung, Ernährung und mentale Gesundheit. Zum Abschluss unserer Projekte ist eine entsprechende Evaluation der Maßnahmen wichtig. Die Unternehmen wollen wissen: Was haben uns und den Mitarbeitenden die Maßnahmen gebracht? Hier werden messbare Daten und Fakten erhoben. Für Unternehmen besonders interessant ist häufig die Frage, wie sich die Krankheitsquote verändert hat.
Wie lässt sich BGM nun gezielt in kleinen und mittleren Unternehmen umsetzen?
Da gibt es unendlich viele Möglichkeiten. Ist die Zielsetzung erst einmal festgelegt, stellt sich jedes Unternehmen anders auf. Ich habe vor Kurzem ein Bauunternehmen aus Nordhessen beraten. Das Unternehmen bietet seinen Mitarbeiter*innen nun morgens Müsli an, stellt ihnen kostenloses, gefiltertes Trinkwasser zur Verfügung und bietet die Möglichkeit einer Ernährungsberatung an. Außerdem kommt einmal die Woche ein Masseur für 2-3 Stunden ins Unternehmen. Durch die Kooperation mit einem benachbarten Fitness-Studio können die Mitarbeiter*innen am Fitness-Training und an Yoga-Kursen teilnehmen. In anderen Unternehmen habe ich schon Anti-Stress- Trainings und Yoga-Workshops angeboten. Sie merken, es gibt da Möglichkeiten en masse! Letztendlich kommt es immer darauf an, wie offen ein Unternehmen für diese freiwilligen Leistungen ist und welche Zeitressourcen es dafür zur Verfügung stellt. BGM muss natürlich auch immer mit dem Arbeitsaufkommen zu vereinbaren sein!
BGM - in 4 Schritten zum Erfolg! Quelle: Kraus Coaching
In der heutigen Zeit spielt der Faktor Digitalisierung immer eine entscheidende Rolle. Inwiefern beeinflussen digitale Technologien das BGM?
Hier kommt es auf den Berater an der BGM anbietet, und ob er dafür die Offenheit und die entsprechenden Möglichkeiten hat. Außerdem spielt der Datenschutz eine wichtige Rolle und ob das Unternehmen selbst für digitale Lösungen bereit ist.
Aus meiner Sicht ist die Digitalisierung ein Treiber des Betrieblichen Gesundheitsmanagements. Krankenkassen bieten beispielsweise Apps für ihre Versicherten an, die sie dann im Rahmen der Gesundheitsförderung begleiten. Dabei geht es neben der Bewegung auch um gesunden Schlaf und um gute, vernünftige Ernährung. Hier sind also wirklich ganz viele Bestrebungen im Gang. Auch ein anderer Markt boomt in Zeiten von Corona: Das Online-Training, zum Beispiel Online-Yoga-Stunden. Das ist schon ganz enorm!
BGM in Pandemie-Zeiten
Stichwort Corona – Aktuell spielt nicht nur die Digitalisierung eine große Rolle, sondern auch die Corona-Pandemie. Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf BGM?
Das kann ich ihnen wahrscheinlich erst dann sagen, wenn die Pandemie vorbei ist. Aktuell bin ich kaum in den Unternehmen vor Ort. Ich kann also nur aus der Ferne und über digitale Medien unterstützen. Ich hoffe, dass die Unternehmer*innen ihre Beschäftigten weiterhin motivieren, in Bewegung zu bleiben, an die frische Luft zu gehen, um so ihr Immunsystem zu stärken. Aber genaue Zahlen kann ich Ihnen da noch nicht nennen. Wünschenswert wäre, wenn bereits eingeführte BGM-Maßnahmen weiterhin entsprechend beibehalten werden.
Welche Maßnahmen sind gerade in der Pandemie sinnvoll?
Im Grunde gibt es ganz einfache Dinge, die jeder tun kann: Das fängt an bei aktiven, regelmäßigen Pausen an, die man sich bei Outlook als Erinnerung einstellt. So sitzt man nicht zu lange am Stück vor dem Computer. In diesen aktiven Pausen kann man vor die Türe gehen und einen strammen Spaziergang machen oder eine einfache Stuhlgymnastik. Dafür brauchen Sie nicht mehr als einen ganz normalen Hocker oder einen Küchenstuhl. Das kann man dann steigern bis hin zu einfachen Übungen aus dem funktionalen Muskeltraining, bei denen Sie leichte Kniebeugen machen, sich strecken, Schongymnastik machen oder sich frei klopfen. Es gibt ganz viele Ansätze für zu Hause!
Was ist – unabhängig von der Corona-Pandemie – Ihr wertvollster Tipp für kleine und mittlere Unternehmen?
Fragen Sie Ihre Mitarbeiter*innen, woran sie Interesse haben und was Ihnen Spaß machen würde. Identifizieren Sie ein bis zwei engagierte Mitarbeiter*innen, die eine Laufgruppe oder Ähnliches etablieren. Oftmals finden wir tolle Kompetenzen bei den Mitarbeitenden, die sich freuen diese sinnvoll im Betrieb einbringen zu können. All diese Ideen entstehen im Unternehmen, ohne dass man dafür Geld in die Hand nehmen muss.
„BGM ist ein Baustein, der auf dem Arbeitsmarkt für einen gewissen Sog sorgen kann“
Welchen Stellenwert genießt BGM und welche Tendenzen prognostizieren Sie für die kommenden Jahre?
Ich gehe davon aus, dass sich die Tendenzen, die es vorher schon gab, fortsetzen werden: Dass es auf dem Markt einen War For Talents gibt und dass Fachkräfte händeringend gesucht werden, besonders in handwerklichen Betrieben, aber auch in hochtechnischen Betrieben. BGM ist ein Baustein, der auf dem Arbeitsmarkt für einen gewissen Sog sorgen kann. Dieser Baustein muss in eine gute Unternehmenskultur eingebettet werden, in der Stress- und Angstfrei gearbeitet wird, in der man den Teamgeist hochsetzt, in der man für Motivation sorgt und in dem Diversity gelebt werden kann. Deswegen wird Betriebliches Gesundheitsmanagement aus meiner Sicht nach der Pandemie einen noch höheren Stellenwert einnehmen als jetzt schon. Die Mitarbeiter*innen gesund zu halten, ans Unternehmen zu binden – emotional zu binden. Das sind wichtige Recruiting-Maßnahmen.
BGM also als Maßnahme, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken?
Absolut! Ich habe Ihnen vorhin von dem Bauunternehmen aus Nordhessen erzählt. Das Unternehmen hat allein in diesem Jahr elf Azubis eingestellt. Sie haben Preise gewonnen, sich in den sozialen Medien vorgestellt – und bieten ihren Beschäftigten einfach extrem viel an, vor allem im Bereich der Gesundheitsförderung.
Ein BGM lohnt sich! Quelle: Kraus Coaching
Gibt es Förderungen für kleine und mittelständische Unternehmen, die gerne BGM-Maßnahmen umsetzen würden?
Ich kann das Förderprogramm Unternehmenswert Mensch empfehlen. Das wird vom europäischen Sozialfond gefördert und von der IHK unbürokratisch vermittelt. Das Programm ist für alle kleinen und mittelständischen Unternehmen frei zugänglich, die nicht mehr als 250 Mitarbeiter*innen beschäftigen und deren Bilanzsumme nicht über 43 Mio. € liegt. Interessierte Unternehmen legen in einer Erstberatung mit der IHK Schwerpunkte fest, die sie umsetzen möchten. Dann erst komme ich als Experte dazu und setze diese Schwerpunkte im Unternehmen um. Der europäische Sozialfond erstattet den Unternehmen je nach Größe 50% bis 80% des Beratungshonorars. Weitere Förderprogramme bietet das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle an. Wichtig ist immer, vorher zu identifizieren, welches Förderprogramm für das jeweilige Unternehmen sinnvoll ist.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Kraus!
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