30.03.2023Interview

“Ohne Veränderung kommt die Krise.“

Krisen, wie die Corona-Pandemie, stellen Unternehmen und ihre Führungskräfte immer wieder vor neue Herausforderungen.

Gerät ein Unternehmen in die Krise, sind die Führungskräfte besonders gefordert. Denn dann geht es darum, die Probleme anzugehen und der Belegschaft Zuversicht zu vermitteln. Welche Erwartungen Mitarbeiter in Krisensituationen an die Kommunikation und Führung ihrer Vorgesetzten stellen, was alle Krisen unabhängig von ihrer Ursache gemeinsam haben und wie sich deutsche Unternehmen in ihrer Krisenbewältigung von Firmen in anderen Ländern unterscheiden, darüber spricht DMB-Mitglied und Business Coach Rainer Rauleder im Interview.

Herr Rauleder, was verbinden Sie mit dem Begriff „Krise“ und was bedeutet er für Sie?

Krise ist immer auch Chance. Bei den chinesischen Schriftzeichen ist das Symbol für Krise und Chance fast identisch. Aber zunächst mal bedeutet Krise Veränderung. Vielleicht noch besser formuliert: Ohne Veränderung kommt die Krise. Man kann den digitalen Wandel als Beispiel nehmen. Als Unternehmen kann man diesen Wandel vernachlässigen, es besteht aber dann die Gefahr, dass man sich aus dem Markt begibt. Ein Beispiel ist Nokia, die damals Marktführer im Handy-Sektor waren. Die Branche befand sich zu diesem Zeitpunkt nicht in einer Krise, sondern in einer Boomphase. Nokia hat sich dann aber der Weiterentwicklung versperrt und heute gibt es das Unternehmen in seiner früheren Form nicht mehr. Von daher ist Krise eigentlich immer ein Veränderungsprozess und fast schon etwas Alltägliches. Ich würde Krise aber eher als etwas von außen Kommendes definieren, das eine sprunghafte Veränderung herbeiführt. Seien es die schlagartig steigenden Energiepreise, oder der Mangel an qualifizierten Mitarbeitern, also exogene Schocks, die dem Unternehmensplan komplett zuwiderlaufen.

Gibt es Unterschiede in der Bewältigungsart von Krisen mit externen Auslösern und Krisen, die aus der Führung des Unternehmens heraus entstanden sind?

Meiner Meinung nach muss man da unterscheiden, da die exogene Krise ja auch die Mitbewerber auf dem Markt trifft. Dadurch entsteht die Chance, sich durch gutes Krisenmanagement sowie adaptives, flexibles und agiles Verhalten für die Zeit nach der Krise besser auf dem Markt zu positionieren als zuvor. Deshalb gibt es statt survival of the fittest auch den Spruch survival of best fit. Es gewinnt also die Firma, die sich am schnellsten an verändernde Bedingungen anpasst und den veränderten Kundenbedarf am besten abdeckt.

Bei internen Krisen ist das anders. Hier wurde in der Vergangenheit, entweder bewusst oder unbewusst, eine falsche Entscheidung getroffen, die das Unternehmen in eine Krise geführt hat. Das Problem ist, dass die Krise nur das eine Unternehmen trifft und die Konkurrenz davon nicht berührt wird. Da hat das betroffene Unternehmen einen großen Wettbewerbsnachteil und es besteht die Gefahr, dass Kunden zur Konkurrenz abwandern. Dadurch kann sich die eigene Position am Markt verschlechtern oder im schlimmsten Fall wird man vollständig aus dem Markt gedrängt.

Exogene Schocks wie die Corona-Pandemie oder die Energiekrise können Unternehmen in eine existenzbedrohende Lage bringen. Welche Erwartungen haben Arbeitnehmer in solchen Situationen an die Kommunikation und Führung des Arbeitgebers?

Mich stört, dass Führungsstile oft sehr allgemein beschrieben werden. Meist geht es darum, ob ein klassischer, agiler oder flexibler Führungsstil gerade in Mode ist. Meiner Meinung nach hängt der Führungsstil von drei Dingen ab: Erstens von der Führungskraft selbst. Also was für eine Art von Manager möchte sie sein. Im Idealfall gibt es hier einen Spagat zwischen dem Typ „Sanierer“ und Typ „Wachstum“, oder idealerweise jemandem, der beides gut beherrscht.

Zweitens ist es wichtig, darauf zu achten, was zum Team passt. Eine innovative Werbeagentur muss beispielsweise anders geführt werden als ein produzierendes Gewerbe in der Automobilzulieferindustrie.

Drittens ist es von hoher Relevanz, dass die Führung zur Situation passt. Ein Unternehmen, welches stark von einem exogenen Schock getroffen wurde, muss anders geführt werden als ein Startup, das in einem boomenden Markt wächst.

Während der Corona-Pandemie war in vielen Unternehmen die Transparenz hinsichtlich der Unternehmenslage gegenüber dem Team von hoher Bedeutung. Transparenz kann der Gerüchtebildung und dadurch entstehenden Ängsten und Sorgen vorbeugen. Ich nenne es bewusst „Containment-Funktion“: Man nimmt sich als Führungskraft dem Problem an, kommuniziert es und strahlt dennoch Zuversicht aus. Hier ist die Gratwanderung zwischen radikaler Ehrlichkeit und positivem Ausblick sehr schwierig. Ich kann aber aus meiner Beratererfahrung sagen, dass gerade die Unternehmen, die in Krisenzeiten die Kommunikation im Unternehmen in einfacher, direkter, klarer und mit dem Team abgestimmter Form hochfahren, besser durch Krisen kommen.

Gibt es bestimmte Eigenschaften, die Führungskräfte haben sollten, um besser auf Krisensituationen vorbereitet zu sein?

Natürlich gibt es noch Führungskräfte, die nur einen einzigen Führungsstil anwenden können. Heute ist es aber wichtig, verschiedene Führungsstile zu beherrschen und je nach Kontext den passenden Stil zu wählen. Für mich ist es von hoher Relevanz, dass die Führungskraft sich selbst kennt und über sich weiß, was sie gut kann und wo sie sich Unterstützung holen muss. Hier darf ihr nicht das eigene Ego im Weg stehen und es muss die Bereitschaft vorhanden sein, sich Hilfe zu holen. Ein Unternehmensführer sollte seine eigenen Stressmuster kennen. Denn nur so kann er sich in das Team hineinversetzen und erkennen, was die Mitarbeiter stresst – und, was sie wieder beruhigen kann.

Diese Fähigkeit schützt auch vor der Opferrolle während exogener Schocks. Hier führe ich gerne das Beispiel des Säbelzahntigers auf. Man kann sich entweder vor ihm totstellen oder angreifen, was meistens keine so gute Idee ist. Oder man kann weglaufen. Wenn man das auf die Krisensituation eines Unternehmens überträgt, ist aber gerade die Schockstarre sehr gefährlich. Denn man geht davon aus, dass die Krise bald wieder vorbei ist und man sich nicht verändern muss, was aber oft nicht der Fall ist. Wenn man hier zu spät reagiert, wird es umso aufwändiger, schwieriger und teurer.

Nehmen Sie als international tätiger Berater bei Ihrer Arbeit Unterschiede zwischen Unternehmen in Deutschland und in anderen Ländern bei der Bewältigung von Krisen wahr?

Das unterscheidet sich natürlich von Unternehmen zu Unternehmen. Dennoch kann man generalisieren, dass deutsche Unternehmen eher dazu neigen, strukturierter vorzugehen. Das ist Stärke und Schwäche zugleich. Die deutsche Industrie Norm (DIN) ist hierfür ein sehr gutes Beispiel. Sie ist ein großer Vorteil, da der Handwerker zum Beispiel immer genau weiß, welchen Schlüssel er für welche Schraube benötigt, da alles normiert ist. Wenn jetzt aber eine exogene Krise kommt, tut sich der Unternehmer, der seine Firma wie nach einer Norm, auf eine strikte Weise aufgebaut hat, schwerer, schnell und flexibel auf eine Krise zu reagieren. Unternehmensführer, die ihr Unternehmen hingegen agiler aufgebaut haben, können hier schneller und einfacher vom Normalzustand in den Krisenmodus wechseln.

Mit anderen Worten: „Perfection is the enemy of action“. Mir fällt bei meiner Arbeit oft auf, dass deutsche Unternehmen eher zur Perfektion neigen und sich daher während einer Krise schwerer tun, ins Handeln zu kommen.

Eine an den Kunden angepasste Produktentwicklung funktioniert schneller und holt ihn eher ab, als eine traditionelle Entwicklungsweise, die in Deutschland noch oft angewendet wird und bei welcher der Unternehmer versucht, alle möglichen Probleme vorher auszuräumen.

Krisen unterscheiden sich in verschiedenen Aspekten. Gibt es trotzdem Punkte, die alle Krisen gemeinsam haben?

Die Krise ist wie ein Brennglas, das die Führungskraft in die Situation versetzt, bestimmte Stärken und Führungsmaximen noch stärker zu berücksichtigen. Diese Führungsmaximen gelten aber auch in normalen Zeiten, beispielsweise ein empathisches und vertrauensvolles Auftreten. Die Fähigkeit, als Unternehmensführer nicht nur nach dem Stand des Projektes zu fragen, sondern auch mal danach, wie es den Angestellten geht, ist meiner Meinung nach eine sehr wichtige Fähigkeit, die gerade durch eine Krise verstärkt auf ihr Vorhandensein getestet wird. Wird solch eine Führung gerade in Krisenzeiten aber nicht angewendet, ist der Schaden viel größer als zu normalen Zeiten. Die Sinneswahrnehmung der Arbeitnehmer ist auf dem doppelten bis dreifachen Level und die Fehler einer Führungskraft kommen viel deutlicher bei den Beschäftigten an. Aber auch die Chancen sind somit in der Krise umso größer. Wie im Mannschaftssport gilt auch bei Unternehmen: Wenn es läuft, dann funktioniert auch eine mittelmäßige Führung. In der Krise ist jedoch „Leadership“ gefragt!

Eine Ausnahme würde ich aber machen: Gerade in der dringlichsten Phase einer Krise ist ein anweisender Führungsstil manchmal effektiver und auch erfolgversprechender, um aus der Krise herauszukommen. Hier darf die wertschätzende Kommunikation mit den Angestellten aber nicht vernachlässigt werden.

Sie sind sowohl Unternehmensberater als auch Unternehmenscoach. Wann benötigt ein krisengeschütteltes Unternehmen Beratung und wann Coaching?

Der Beratung würde ich alles zuordnen, was nichts mit Human Resources zu tun hat. Hier geht es um klassische Unternehmensberatung, also wie steht es zum Beispiel um die Lieferketten eines Unternehmens? Wie können Lieferanten diversifiziert werden? Wie ist der Aufbau von Lagerhaltung und was bringt das für Kosten mit sich? Hier werden dann beispielsweise Best-Practice-Maßnahmen umgesetzt, um ein Unternehmen erfolgreich durch die Krise zu führen oder es gar nicht erst in eine Krisenlage geraten zu lassen.

Das Coaching bezieht sich eher auf die Mitarbeitenden im Kontext einer Krise. Es geht beispielsweise darum, dass sich Mitarbeitende im Homeoffice nicht überanstrengen und das Risiko eines Burnouts vermieden wird. Oder dass die Grenze zwischen Arbeit und Privatleben klar definiert ist.

Mitarbeiter sind im Homeoffice eher gestresst und finden oft das Maß nicht. Da ist gute Führung gefragt, die sich auch um das Wohlergehen der Angestellten sorgt.

Unternehmensberatung ist also die klassische Form rund um das Unternehmen, seine Strukturen und den Aufbau. Das Coaching dient demgegenüber der Gestaltung des Umganges mit den Mitarbeitern. 

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Rauleder!

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