Themenschwerpunkt
Ausbildung im Mittelstand

Duale Berufsausbildung im Mittelstand –
Bedeutung, Chancen und Herausforderungen


Verbindung von Theorie und Praxis

Die duale Berufsausbildung setzt auf eine parallele Ausbildung im Unternehmen und der Berufsschule und verbindet damit Theorie und Praxis. Während die Auszubildenden in den Ausbildungsbetrieben an drei bis vier Tagen pro Woche den praktischen Teil der Ausbildung lernen, vermittelt die Berufsschule an den restlichen Tagen theoretische Kenntnisse. In den Unternehmen werden die Lehrlinge dabei von erfahrenen Mitarbeitern betreut, die ihr Wissen an den Nachwuchs weitergeben. Gerade diese Kombination aus Theorie und Praxis ist ein weltweites Alleinstellungsmerkmal der betrieblichen Ausbildung.
 

Deutsches Ausbildungssystem als Erfolgsmodell

Das deutsche Ausbildungssystem ist ein Grundpfeiler des Arbeitsmarkts und genießt international hohes Ansehen. Zurecht, denn die Berufsausbildung trägt maßgeblich zur niedrigen Arbeitslosenquote in Deutschland bei. Sie stellt die Weichen für die Arbeitsmarktintegration junger Menschen. Insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit der 15 bis 24-jähirgen liegt dank des breiten Ausbildungsangebots in Deutschland nur bei 5,8 Prozent (2019) und damit deutlich unter dem EU-Durchschnitt von 15 Prozent.[1] Europaweit weist nur Tschechien eine noch niedrigere Jugendarbeitslosenquote als die Bundesrepublik auf (siehe Grafik).

Eine duale Ausbildung bietet zudem sehr gute Jobchancen und ermöglicht einen nahtlosen Übergang ins Berufsleben. Im Jahr 2018 lag die Übernahmequote nach erfolgreich abgeschlossener Ausbildung bei 71 Prozent.[2] Damit steigen 7 von 10 Azubis direkt nach der Ausbildung in ihrem Ausbildungsbetrieb in den Job ein. Nach einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung finden insgesamt mehr als 94 Prozent aller Ausbildungsabsolventen spätestens drei Monate nach dem Abschluss eine Stelle.[3]

Die Arbeitslosenquote von Beschäftigten mit qualifizierter Berufsausbildung betrug im Jahr 2018 zudem nur 3,4 Prozent und lag damit um fast zwei Prozentpunkte unter der allgemeinen Arbeitslosenquote von 5,3 Prozent.[4] Wer eine duale Berufsausbildung absolviert, hat also beste Chancen am Arbeitsmarkt.  

Vielfältiges Angebot

Das Ausbildungssystem zeichnet sich genau wie auch der deutsche Mittelstand durch eine große Vielfalt aus. 324 verschiedene Ausbildungsberufe stehen im Jahr 2020 zur Auswahl.[5] Eine betriebliche Ausbildung ist dabei in den unterschiedlichsten Bereichen möglich und kann etwa im Handwerk, der Industrie oder im Handel aber auch bei Arztpraxen, Rechtsanwälten oder Steuerberatern absolviert werden. Von A wie Asphaltbauer bis Z wie Zahntechniker ist so ziemlich alles dabei. Neben den „Klassikern“ wie Bürokaufmann, KfZ-Mechatroniker oder Fachinformatiker gibt es auch außergewöhnliche Ausbildungsberufe wie Binnenschiffer oder Süßwarentechnologe.

 

Mittelstand ist Ausbildungsmotor

Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) schultern den Großteil der dualen Ausbildung in Deutschland. Die über 3 Millionen KMU bieten knapp 82 Prozent der 1,54 Millionen Ausbildungsplätze an und sind damit der Ausbildungsmotor der deutschen Wirtschaft.[6] Folglich schultert der Mittelstand auch den Hauptteil der finanziellen Lasten der Ausbildung, denn 70 Prozent der Ausbildungskosten werden vom ausbildenden Betrieb getragen.[7]

Dabei sind vor allem größere Mittelständler besonders aktiv in der Berufsausbildung. Etwa die Hälfte der Unternehmen mit 10-49 Mitarbeitern bildet Azubis aus. Bei den Mittelständlern mit mehr als 50 Beschäftigten sind es sogar 74 Prozent. Generell gilt: Je größer der Betrieb, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit einer Ausbildungsaktivität.[8]

Wirft man einen Blick auf die verschiedenen Branchen, fällt vor allem die besondere Rolle des verarbeitenden Gewerbes bei der Berufsausbildung auf. Etwa 30 Prozent aller mittelständischen Betriebe aus diesem Sektor bilden Azubis aus – bei größeren Betrieben mit mehr als 50 Beschäftigten sind es 86 Prozent (siehe Grafik).

Ausbildungssystem vor großen Herausforderungen  

Obwohl sich die duale Berufsausbildung in Deutschland über Jahrzehnte bewährt hat und gute Arbeitsmarktchancen bietet, steht das Ausbildungssystem vor großen Herausforderungen. In den letzten Jahren haben sich Ausbildung und Beschäftigung zunehmend entkoppelt. Während die Anzahl der Erwerbstätigen kontinuierlich zugenommen hat, ist die Zahl der neuen Ausbildungsverträge leicht gesunken. Die Ausbildungsquote (die Anzahl der Auszubildenden im Verhältnis zur Gesamtzahl aller Beschäftigten) ging innerhalb von 10 Jahren von 6 Prozent (2008) auf 4 Prozent (2018) zurück.[9] Die duale Berufsausbildung droht damit zum Auslaufmodell zu werden. Im Jahr 2019 wurden bundesweit 525.081 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen – ein Minus von 7,5 Prozent gegenüber 2009.[10]

Dieser Rückgang ist einerseits mit dem demografischen Wandel und der sinkenden Zahl von Schulabgängern zu erklären, kann aber auch auf den verstärkten Akademisierungstrend zurückgeführt werden. Die Studienanfängerquote eines Jahrgangs lag im Jahr 2005 noch bei 36,1 Prozent und stieg bis zum Höhepunkt im Jahr 2014 auf 54,7 Prozent. Mittlerweile ist die Quote zwar leicht rückläufig, stabilisiert sich aber auf hohem Niveau (2018: 52,1 Prozent).[11] Damit gibt es heute etwa gleich viele Studien- wie Ausbildungsanfänger (siehe Grafik).[12]

Viele Ausbildungsplätze bleiben unbesetzt

Zudem blieben im Ausbildungsjahr 2019 insgesamt über 53.000 Ausbildungsstellen unbesetzt – fast drei Mal so viele wie noch vor 10 Jahren.[13] Kleinst- und Kleinunternehmen sind von den Besetzungsproblemen besonders stark betroffen. 54 Prozent der Unternehmen mit bis zu 19 Beschäftigten konnte im Jahr 2019 ihre angebotenen Ausbildungsstellen teilweise oder vollständig nicht besetzen. Bei größeren Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten waren es „nur“ 27 Prozent.[14] Zu erklären ist dies mit der mangelnden Bekanntheit kleinerer Betriebe und ihrem eher geringen Budget für Rekrutierungsmaßnahmen. 

Hinzu kommt, dass jeder vierte Lehrling seinen Ausbildungsvertag noch während der Ausbildungszeit auflöst. Immerhin: Etwa die Hälfte der Jugendlichen entscheidet sich nach dem Ausbildungsabbruch für eine andere betriebliche Ausbildung.[15]

 

Ohne Azubis fehlen bald Fachkräfte

Der Rückgang der Ausbildungsplätze und die hohe Anzahl unbesetzter Ausbildungsstellen sind ein großes Problem für den deutschen Arbeitsmarkt. Denn das duale Ausbildungssystem ist eine wichtige Säule der Fachkräftesicherung. Ein Blick auf die derzeitige Situation am Arbeitsmarkt zeigt, dass der Fachkräftemangel schon heute gerade bei beruflich Qualifizierten besonders groß ist. Im Jahr 2018 waren über 400.000 offene Stellen für Fachkräfte mit Berufsausbildung in sogenannten Engpassberufen ausgeschrieben, die schwer zu besetzen sind. Zum Vergleich: Bei Akademikern mit Diplom oder Masterabschluss waren es nur etwa 43.000 offene Engpass-Stellen.[16] Gerade der Mittelstand ist von diesem Mangel an Fachkräften mit Ausbildung betroffen, da 80 Prozent der Stellen in KMU-typischen Berufen eine Berufsausbildung voraussetzen.[17] Deshalb muss die Berufsausbildung wieder gestärkt und das Ausbildungsvolumen erhöht werden. Denn die Azubis, die heute nicht ausgebildet werden, fehlen in wenigen Jahren als Fachkräfte im Mittelstand.

Quellennachweise

[1] Eurostat (2020): Jugendarbeitslosigkeit nach Geschlecht.
[2] Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) (2020): Betriebliche Berufsausbildung und Weiterbildung in Deutschland, Seite 36.
[3] Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) (2017): IAB Kurzbericht 20/2017. Berufseinstieg nach der betrieblichen Ausbildung.
Meist gelingt ein nahtloser Übergang, Seite 2.
[4] Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) (2019): Qualifikationsspezifische Arbeitslosenquote, Seite 3.
[5] BMWi (2020): Erfolgsmodell Duale Ausbildung.
[6] IfM Bonn (2018): Mittelstand im Überblick.
[7] Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) (2015): Mehr Reputation für das duale System – Professor Esser sprach in Brüssel.
[8] KfW Research (2019): Volkswirtschaft Kompakt - Azubi-Zuwachs ist nur Momentaufnahme.
[9] Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) (2020): Betriebliche Berufsausbildung und Weiterbildung in Deutschland, Seite 12.
[10] BMBF (2020): Berufsbildungsbericht 2020, S. 33.
[11] BMFB (2018): Tabelle 1.9.4. - Studienanfänger/-innen absolut und Anteil an der altersspezifischen Bevölkerung in Deutschland nach Fächergruppen und Studienbereichen.
[12] Statistisches Bundesamt (Destatis) (2019): Bildung und Kultur. Studierende an Hochschulen. Fachserie 11 Reihe 4.1, Seite 9 (Studienanfänger) und
BMBF (2016/2020): Berufsbildungsbericht 2016, Seite 18 und Berufsbildungsbericht 2020, Seite 33 (Ausbildungsanfänger).
[13] BMBF (2020): Berufsbildungsbericht 2020, S. 33.
[14] BMBF (2020): Berufsbildungsbericht 2020, S. 53.
[15] BMBF (2020): Berufsbildungsbericht 2020, S. 12/13.
[16] Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA): KOFA-Studie 2/2019: Fachkräfteengpässe in Unternehmen. Fachkräftesicherung in Deutschland - diese Potenziale gibt es noch, Seite 9.
[17] Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA) (2018): KOFA-Studie 2/2018: Fachkräfteengpässe in Unternehmen. Kleine und mittlere Unternehmen finden immer schwerer Fachkräfte und Auszubildende, Seite 11.
Hinweis: Als KMU-typische Berufe gelten Berufe, bei denen ≥ 80 Prozent der Beschäftigten in KMU arbeiten. Dazu zählen z.B. Handwerksberufe wie Maler und Zimmerer oder Berufe aus der Gastronomie.

Handlungsempfehlungen für Politik und Unternehmen

Das deutsche Ausbildungssystem steht vor großen Herausforderungen. Was können Politik und Unternehmen tun, um die Zukunft der dualen Berufsausbildung zu sichern?

 

 

 

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