28.10.2020Fachbeitrag

Urlaubsrecht: Updates aus der Rechtsprechung

Seit 2019 gab es mehrere gerichtliche Entscheidungen zum Urlaubsrecht.


Beim Thema Urlaub gibt es zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer regelmäßig Gesprächsbedarf. Seit 2009 ist das Thema Urlaub zudem ein Dauerbrenner in der Rechtsprechung der deutschen Arbeitsgerichte und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Seit Beginn des Jahres 2019 haben das Bundesarbeitsgericht (BAG) und einige Landesarbeitsgerichte (LAG) Entscheidungen getroffen, die von außerordentlicher praktischer Relevanz sind und die allen Personen mit Personalverantwortung bekannt sein sollten.
 

Kein automatischer Verfall von Urlaubsansprüchen

Zu Beginn des Jahres 2019 hat das BAG das Urteil des Europäischen Gerichtshof (EuGH) (Urteil des EuGH vom 06.11.2018, Az.: C-684/16) zum Anlass genommen, um seine bisherige Rechtsprechung in Bezug auf den automatischen Verfall von Urlaubstagen zu überdenken und zu ändern (Urteil des BAG vom 19.02.2019, Az.: 9 AZR 541/15).

Nahm das BAG in ständiger Rechtsprechung davor noch an, dass nicht genommener oder nicht beantragter Urlaub am Ende des Bezugszeitraums gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG verfällt, urteilte es jetzt im Einklang mit dem EuGH, dass für den Verfall des Urlaubs noch eine weitergehende Voraussetzung erfüllt sein muss. Das BAG nahm nämlich an, dass den Arbeitgeber die Initiativlast für die Urlaubsgewährung trifft und daraus eine Mitwirkungsobliegenheit folgt. Ohne Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheit kann sich der Arbeitgeber nicht auf den Verfall der Urlaubsansprüche berufen.

Seine Mitwirkungsobliegenheit erfüllt der Arbeitgeber, wenn er den Arbeitnehmer ausdrücklich und transparent über seinen bestehenden Urlaubsanspruch aufklärt, ihn auffordert den bestehenden Urlaubso rechtzeitig zu beantragen, dass der Urlaub innerhalb des Urlaubsjahres gewährt werden kann und ihn aufklärt, dass der bestehende Urlaub verfällt, wenn er nicht entsprechend der Aufforderung beantragt wird.

Erteilt der Arbeitgeber diese Hinweise nicht, bleibt der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers trotz der gesetzlichen Regelung zum Urlaubsverfall (§ 7 Abs. 3 BUrlG) bestehen. Nur wenn der Arbeitnehmer seinen Urlaub trotz entsprechendem Hinweis nicht beantragt, verfällt der Urlaub, da der Arbeitnehmer in diesem Fall den Urlaub informiert und aus freien Stücken nicht genommen hat.

Die neuen Vorgaben gelten nur für den gesetzlichen Urlaubsanspruch von vier Wochen. Den Arbeitsvertragsparteien steht es daher frei, für zusätzliche vertragliche Urlaubstage, die über die vier Wochen hinausgehen, andere Regelungen zu treffen. Geschieht das aber nicht, gelten für die zusätzlichen vertraglichen Urlaubstage dieselben Regeln wie für den gesetzlichen Urlaubsanspruch.

 

Verfall von Urlaubsansprüchen bei Langzeiterkrankten

In der Folge des BAG-Urteils hatte das LAG Hamm (Urteil vom 24.07.2019, Az.: 5 Sa 676/19) Gelegenheit, sich dazu zu äußern, ob der Verfall von Urlaubsansprüchen bei einem langzeiterkrankten Arbeitnehmer auch voraussetzt, dass der Arbeitgeber die Mitwirkungsobliegenheit erfüllt und den Arbeitnehmer entsprechend informiert und aufklärt. In dem dort entschiedenen Verfahren machte eine Arbeitnehmerin Urlaubsansprüche aus dem Jahr 2017 mit der Begründung geltend, dass sie über deren Verfall nicht hinreichend informiert und aufgeklärt worden sei. Seit dem Jahr 2017 war die Arbeitnehmerin durchgängig erkrankt.

Das LAG Hamm nahm an, dass von einem Arbeitgeber im Verhältnis zu einem langzeiterkrankten Arbeitnehmer nicht verlangt werden könne, den Arbeitnehmer zur Urlaubsbeantragung anzuhalten und ihn über den möglichen Verfall der Urlaubsansprüche im Falle der unterlassenen Beantragung zu informieren. Vielmehr nahm das LAG Hamm unabhängig von der Mitwirkungsobliegenheit den Verfall des Urlaubsanspruchs an, da die Arbeitnehmerin durchgängig arbeitsunfähig und seit dem Ende des Urlaubsjahres ein Zeitraum von mehr als 15 Monate vergangen war. Das Argument des LAG Hamm war, dass auch die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheit nicht dazu geführt hätte, dass die Arbeitnehmerin ihren bezahlten Jahresurlaub nehmen könnte.

Am 07.07.2020 hatte das BAG den Sachverhalt und das Urteil des LAG Hamm im Rahmen des Revisionsverfahrens zu bewerten (Urteil vom 07.07.2020, Az.: 9 AZR 401/19). Das BAG konnte dem Urteil des LAG Hamm nicht unmittelbar zustimmen und leitete stattdessen ein Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH ein. Im Rahmen dieses Verfahrens legte das BAG dem EuGH die Frage vor, ob es mit europäischem Recht vereinbar ist, dass der gesetzliche Urlaub nach einer 15 Monatsfrist oder ggf. doch erst nach einer längeren Frist verfällt, wenn der Arbeitnehmer im Urlaubsjahr durchgängig arbeitsunfähig war, aber der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfüllt hat.

Bis der EuGH in diesem Vorabentscheidungsverfahren (möglicherweise noch 2021) Stellung bezieht, muss davon ausgegangen werden, dass der EuGH auch bei einem langfristig erkrankten Arbeitnehmer eine Informations- und Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer zu erfüllen hat, wenn sich der Arbeitgeber auf den Verfall des Urlaubsanspruchs berufen möchte. Arbeitgebern ist daher dringend anzuraten, auch einen langfristig erkrankten Mitarbeiter ausdrücklich und transparent über den jeweils bestehenden Urlaubsanspruch aufzuklären, ihn aufzufordern, den bestehenden Urlaub so rechtzeitig zu beantragen, dass der Urlaub innerhalb des Urlaubsjahres gewährt werden kann und ihn aufzuklären, dass der bestehende Urlaub verfällt, wenn er nicht entsprechend der Aufforderung beantragt wird.

 

Weiterhin keine aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung zur Verjährung

Weiterhin höchstrichterlich ungeklärt, bleibt die Frage, ob der Urlaubsanspruch der gesetzlichen Verjährung unterfällt. Das BAG hatte diese Frage in einem Urteil Anfang 2019 noch offengelassen (z.B. Urteil vom 19.03.2019, Az.: 9 AZR 881/16). In der juristischen Fachliteratur wird hingegen überwiegend vertreten, dass die allgemeinen Verjährungsvorschriften beim Urlaub keine Anwendung finden. Wegen der Mitwirkungsobliegenheit und in Anbetracht des wirtschaftlichen Risikos, dass Arbeitnehmer auf diesem Weg über Jahre Urlaubsansprüche ansammeln und bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgelten lassen können, gewinnt die Fragestellung nach der Verjährung von Urlaubsansprüchen für Arbeitgeber erheblich an wirtschaftlicher Relevanz.

Instanzgerichte wie das LAG München (Urteil vom 03.09.2019, Az.: 9 Sa 177/19) gingen davon aus, dass die allgemeinen Verjährungsregeln auch beim Urlaub anwendbar sind. Das LAG München sprach sich aber dafür aus, dass die Verjährung erst beginnen kann, wenn der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheit erfüllt hat. Das LAG Düsseldorf (Urteil vom 02.02.2020,Az.: 10 Sa 180/19) hingegen sprach sich dafür aus, dass der Urlaubsanspruch nicht verjähren kann, ohne sich in der Begründung abschließend festzulegen.

Die Revision gegen das Urteil des LAG München vor dem BAG wurde zurückgenommen. Gegen das Urteil des LAG Düsseldorf ist die Revision weiterhin rechtshängig und das BAG hat mit Beschluss vom 29.09.2020 (Az.: 9 AZR 266/20 (A)) dem EuGH die Frage vorgelegt, ob der Urlaubsanspruch nach europarechtlichen Vorgaben verjähren kann. Bis der EuGH bezüglich dieser Frage Stellung bezogen hat, sollten Arbeitgeber auch wegen der traditionellen Rechtsprechung des BAG (Urteil vom 05.12.1995, Az.: 9 AZR 666/94) davon ausgehen, dass der gesetzliche Urlaubsanspruch nicht verjährt.

Gegen ein Ansammeln von Urlaubsansprüchen hilft damit zum einen eine zeitgemäße Gestaltung des Arbeitsvertrags in Bezug auf den Urlaub (mit einer Differenzierung zwischen gesetzlichen Urlaubsansprüchen und zusätzlichen vertraglichen Urlaubsansprüchen) und zum anderen die ordnungsgemäße Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheit.

 

Halbe Urlaubstage

Neben dem Verfall von Urlaubsansprüchen war auch die ordnungsgemäße Gewährung des Urlaubs ein in der Rechtsprechung diskutiertes Thema. Das LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 06.03.2019, Az.: 4 Sa 73/18) hatte zu beurteilen, ob der Arbeitgeber den Urlaub ordnungsgemäß erfüllt, indem er halbe Urlaubstage gewährte. Die Gewährung von halben Urlaubstagen kommt in der betrieblichen Praxis regelmäßig vor und die Entscheidung hat daher eine erhebliche praktische Bedeutung.

Im Ergebnis hat das LAG Baden-Württemberg festgehalten, dass die Gewährung von halben Urlaubstagen keine ordnungsgemäße Urlaubsgewährung darstellt und dass eine Zerstückelung des Urlaubs in halbe Urlaubstage rechtlich nicht zulässig ist.

Dies gilt auch für den Fall, dass der Arbeitnehmer die Gewährung eines halben Urlaubstages wünscht. Im Ausgangspunkt ist der Urlaub zwar entsprechend den Wünschen des Arbeitnehmers festzulegen (§ 7 Abs. 1 S. 1 BUrlG). Der Urlaubswunsch des Arbeitnehmers muss – so das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg weiter – aber die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 BUrlG erfüllen. § 7 Abs. 2 BUrlG untersage es, den Urlaub in „Kleinstraten“ – wie z.B. einem halben Urlaubstag – zu erfüllen.

Kommt der Arbeitgeber trotz der gesetzlichen Vorgaben dem Wunsch des Arbeitnehmers nach und gewährt einen halben Urlaubstag, fehlt es an der ordnungsgemäßen Erfüllung des Urlaubsanspruchs und der Arbeitnehmer kann noch ein weiteres Mal die ordnungsgemäße Erfüllung des Urlaubs verlangen. Für Arbeitgeber besteht also das Risiko, den Urlaub nochmals erfüllen zu müssen.

 

Berechnung des Urlaubsumfangs bei Sonderurlaub, Altersteilzeit und Elternzeit

Schließlich hatte das BAG den Umfang des Urlaubsanspruchs in Sonderkonstellationen zu beurteilen, in denen die Arbeitsverpflichtung vorübergehend ausgesetzt oder verringert worden ist.

Zum einen änderte das BAG (Urteil vom 19.03.2019, Az.: 9 AZR 315/17) seine frühere Rechtsprechung in Bezug auf Sonderurlaub und hielt fest, dass für die Zeit des in Anspruch genommenen Sonderurlaubs in der Regel kein Urlaubsanspruch entsteht. Zum anderen hat das BAG (Urteil vom 24.09.2019, Az.: 9 AZR 481/18) angenommen, dass bei einer Altersteilzeit im Blockmodell innerhalb der Freistellungsphase kein Urlaubsanspruch entsteht. Beiden Entscheidungen lag derselbe verallgemeinerungsfähige Ausgangsgedanke zugrunde:

In Zeiten, in denen keine Arbeitsverpflichtung besteht, entsteht auch kein Urlaubsanspruch. Besteht in einem ganzen Kalenderjahr keine Arbeitsverpflichtung, besteht in dem Kalenderjahr auch kein Urlaubsanspruch. Entfällt die Arbeitsverpflichtung innerhalb eines Kalenderjahres, muss nach Zeitabschnitten der Urlaubsanspruch entsprechend der Anzahl der Tage mit Arbeitsverpflichtung berechnet werden, wobei die Rechtsprechung dafür die Formel 24 Werktage mal Anzahl der Tage mit Arbeitsverpflichtung geteilt durch 312 Werktage anwendet.

Anders verhält es sich bei der Elternzeit. Aufgrund der bestehenden Gesetzeslage muss das BAG (Urteil vom 19.03.2019, Az.: 9 AZR 495/17) bei der Aussetzung der Arbeitsverpflichtung durch Elternzeit einen anderen Weg nehmen. Bei der Elternzeit verringert sich nämlich der Urlaubsanspruch nicht automatisch. § 17 Abs. 1 BEEG sieht hier vor, dass während der in Anspruch genommenen Elternzeit Urlaub entsteht, dieser aber vom Arbeitgeber gekürzt werden kann. Das BAG hat angenommen, dass diese Gesetzeslage mit den europarechtlichen Anforderungen im Einklang steht und darüber hinaus festgehalten, dass die Urlaubskürzung nur erfolgt, wenn der Arbeitgeber die Kürzungsbefugnis ausübt, wobei die Kürzungsbefugnis ausdrücklich oder konkludent ausgeübt werden kann. In zeitlicher Hinsicht kann die Kürzung vor, während oder nach der Elternzeit erklärt werden. Jedoch darf die Kürzungserklärung nicht zu einem Zeitpunkt vor dem Elternzeitverlangen des Arbeitnehmers erfolgen. Ferner muss das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der Ausübung der Kürzungsbefugnis noch bestehen. Das hatte zuletzt auch noch einmal das LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 12.05.2020, Az.: 6 Sa 361/19) festgestellt und dabei gezeigt, dass eine unterbliebene Kürzung des Urlaubs während der Elternzeit auch wirtschaftlich bedeutend sein kann.

 

Fazit

Im Urlaubrecht war die Rechtsprechung seit 2019 vielbeschäftigt. In einigen Bereichen wurde mehr Klarheit geschaffen. Für die Arbeitgeberseite sind durch die Rechtsprechung vor allem aber weitere Handlungspflichten aufgestellt worden, die zu bedenken sind, um nicht im Ergebnis mehr Urlaub als vorgesehen gewähren zu müssen und sich einem finanziellen Mehraufwand ausgesetzt zu sehen.

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