17.05.2022Fachbeitrag

Welches Lernen braucht die moderne Arbeitswelt?

Nach der Schule erwarten einen Menschen noch rund 50 Jahre berufsbedingten Kompetenzaufbaus.

Die Anforderungen und Voraussetzungen an die Beschäftigten wandeln sich in der Arbeitswelt ständig. Eine zeitgemäße betriebliche Aus- und Weiterbildung muss dies berücksichtigen und sich an den Werten der heutigen Zeit orientieren. DMB-Mitglied und Lerncoach Andreas Hensing widmet sich in diesem Beitrag der Frage, was Lernen eigentlich bedeutet, und erklärt, welche Faktoren Dozenten, Trainer und Ausbilder berücksichtigen sollten, damit zielgruppengerechtes Ausbilden in der modernen Arbeitswelt gelingt.

Dieser Beitrag ist kein Plädoyer für Lebenslanges Lernen – unabhängig von der Unternehmensgröße. Der Unternehmer, der die Notwendigkeit dafür negiert, wird sehr schnell von der Realität, den Märkten, der Technologieentwicklung und nicht zuletzt den Wettbewerbern und dem Arbeitsmarkt eingeholt werden.

Und der Titel „Welches Lernen braucht die moderne Arbeitswelt?“ ist eigentlich nicht zutreffend formuliert. Suggeriert er doch, dass es „die“ optimale Form des betrieblichen Lernens gibt. Die gibt es jedoch nicht!

Schlendert man durch die Hallen der Learntec, die 2022 vom 31. Mai bis zum 2. Juni wieder analog in Karlsruhe stattfinden soll, und/oder nimmt am parallel laufenden Kongress teil, dann wird der interessierte Besucher überschüttet mit Dienstleistungsangeboten, Lernformaten, Tools, Content, Software – bis hin zu künstlicher Intelligenz.

So unübersichtlich und damit intransparent das Angebot auch sein mag, eines wird auf alle Fälle deutlich: Ein „weiter so“ kann es bei der betrieblichen Aus- und Weiterbildung nicht geben. Jedenfalls nicht, wenn sie sich an den gelebten Werten des letzten Jahrtausends orientiert.

Lernen aus neurowissenschaftlicher Perspektive

Aber beginnen wir mit folgenden Fragen: Was ist eigentlich Lernen? Und braucht es dazu diesen ganzen „neumodischen Schnickschnack“? Neurowissenschaftlich betrachtet ist Lernen die Umwandlung von Informationen, die wir über unsere Sinne aufnehmen, in neuronale Netzwerke. Wenn diese Netzwerke im Langzeitgedächtnis abgelegt sind, dann können wir jederzeit auf die Informationen zugreifen. Wir haben sie gelernt.

Das ist ein gänzlich analoger Vorgang, der im Prinzip ohne technische Hilfsmittel auskommt. Er hat sich seit der ersten Spezies der Gattung Homo vor ca. 2,5 Millionen Jahren – oder spätestens seit dem Homo Sapiens vor etwa 200.000 Jahren nicht verändert. Aber natürlich hat sich das Lernen, die Lernmethodik weiterentwickelt. Spätestens seit der Antike, als Bildung anfing, einen immer größeren Stellenwert einzunehmen. Und spätestens, seit Simonides von Keos etwa um 500 vor Christus die sogenannten Mnemotechniken erdachte. Techniken, die das Lernen damals revolutioniert haben und die heute noch zur Anwendung kommen – zumindest bei den Gedächtnissportlern, aber auch in unserem (Lern-)Alltag.

Leider werden sie an Schulen nicht mehr gelehrt – wie ohnehin Lernmethodik nur sehr sporadisch im Lehrplan auftaucht. Die meisten Menschen verlassen die Schule, ohne zu wissen, wie Lernen wirklich funktioniert. Und nach der Schule warten noch ca. 50 Jahre berufsbedingter Kompetenzaufbau auf die Absolventen. Das alles beeinträchtigt die Effizienz der betrieblichen Aus- und Weiterbildung.

Weshalb spreche ich über neurowissenschaftliche Grundlagen des Lernens? Weil das grundsätzlich die Basis aller Tools, Formate und Methoden sein sollte, die das Lernen zu erleichtern versprechen.

Zielgruppengerechte Aus- und Weiterbildung

Was müssen wir noch beachten, wenn wir uns über Aus- und Weiterbildung Gedanken machen? Die Zielgruppen waren noch nie so heterogen wie heutzutage. Von der „Babyboomer-Generation“, die spätestens 2030 vom Arbeitsmarkt verschwunden sein wird, bis hin zur „Generation Z“, die wir heute ausbilden und in den Arbeitsmarkt integrieren. „Zielgruppengerecht ausbilden“ bedeutet, dass die Dozenten, Trainer, Ausbilder ihr altes Rollenverständnis über Bord werfen und der Zielgruppe auf Augenhöhe begegnen müssen. Ihre Rolle mutiert hin zu Coaches und Lernbegleitern.

Und dann haben wir noch die Generationen „X“ und „Y“, die das Gros unserer Mitarbeiter*Innen ausmachen. Sie sind keine „Digital Natives“ und es fällt nicht allen leicht, nach Jahrzehnten im Beruf die anstehenden Change- und Transformationsprozesse mitzutragen, mitzugestalten. Bei ihnen sollte nicht der Content im Vordergrund von Personalentwicklungsmaßnahmen stehen, sondern Überzeugungsarbeit. Die Arbeit am „Mindset“, wie es heute so schön heißt. Erst wenn die erfolgreich durchgeführt wurde, können wir uns dem Content widmen. Und auch dabei gilt es, Rücksicht zu üben. Verfügen die Mitarbeiter*Innen über die erforderlichen Kompetenzen? Über Lernkompetenz, digitale Kompetenz, Recherchekompetenz, Teamfähigkeit, die Kompetenz zu eigenverantwortlichem Handeln? Die Inhalte sind der letzte Baustein im Weiterbildungsprozess. Und dieser Baustein wird umso größer, je schneller die Halbwertzeit des beruflichen Wissens sinkt.

Das Lernen in der modernen Arbeitswelt

Jetzt können wir uns auch damit befassen, wie das Lernen in der modernen Arbeitswelt aussehen sollte. Dazu kann ich an dieser Stelle keine klaren Aussagen treffen. Es kommt – wie so oft – „darauf an“. Die Fragen, die hierbei eine Rolle spielen sind:

  • Wie ist Ihre Unternehmensorganisation?
  • Wie gestalten sich die Arbeitsabläufe?
  • Wie sieht Ihre Mitarbeiterstruktur aus?
  • Über welche Kompetenzen verfügen Ihre Mitarbeiter*Innen?
  • Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf?
  • Wie weit sind Sie mit der digitalen Transformation?
  • Welche Unternehmensziele verfolgen Sie mittel- und langfristig?
  • Welche Anforderungen müssen Ihre Mitarbeiter*Innen erfüllen, um diese Ziele zu realisieren?
  • Wie ist die Personalentwicklung aktuell organisiert?
  • Welche Tools nutzen Sie?
  • Wie werden die Tools von den Mitarbeiter*Innen angenommen?
  • Welche Wünsche und Vorstellungen haben Ihre Mitarbeiter*Innen an die betriebliche Aus- und Weiterbildung?
  • Wie hoch ist das Aus- und Weiterbildungsbudget – aktuell und geplant?

Und jetzt die gute Nachricht zum Schluss: Noch nie gab es so viele – auch sehr gute und effiziente – Ideen, Lernformate, Weiterbildungstools für die Aus- und Weiterbildung in der modernen Arbeitswelt! Und noch nie war es so wichtig, die Investitionen sorgfältig vorzubereiten! Jede falsche Entscheidung bindet nicht nur unnötig finanzielle Ressourcen, sie gefährdet auch die Erreichung der Unternehmensziele.

Dieser Artikel ist Teil von Mittelstand WISSEN zum Thema "Personalbedarf im Mittelstand: So punkten Unternehmen bei Fachkräften"

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