09.02.2021Interview

"Wenn wir Fachkräfte haben wollen, müssen wir sie auch ausbilden"

Best Practice Beispiel - Ausbildung im Mittelstand

Die hankensbütteler kunststoffverarbeitung hat sich den Herausforderungen des Azubi-Mangels gestellt und den Ausbildungstag "Hallo Zukunft" ins Leben gerufen. Im Interview berichtet die Geschäftsführerin des mittelständischen Automobilzulieferers vom Stellenwert der dualen Ausbildung in ihrem Unternehmen und wie "Hallo Zukunft" trotz Lockdown ein voller Erfolg wurde. 


DMB: Frau Henke, stellen Sie hk bitte zunächst kurz vor.

Aline Henke: Die hankensbütteler kunststoffverarbeitung, kurz hk, wurde 1972 von meinem Vater gegründet – ich leite das Unternehmen jetzt in zweiter Generation. hk ist im Spritzguss tätig und produziert hauptsächlich technische Bauteile für die Automobilindustrie. Wir beschäftigen hier am Standort in Hankensbüttel etwa 80 Mitarbeiter*innen und sind damit ein klassischer Mittelständler.

Wie viele Ausbildungsplätze bietet hk an und in welchen Berufen kann man bei Ihnen eine Ausbildung absolvieren?

Da sind wir sehr breit aufgestellt. Mädchen und Jungen können bei uns eine Ausbildung zum Maschinen- und Anlagenführer, zum Verfahrensmechaniker für Kunststoff- und Kautschuktechnik, zum Werkzeugmechaniker und zum Industriemechaniker beginnen. Des Weiteren bilden wir Industriekaufleute, Fachkräfte für Lagerlogistik und Fachlageristen aus. Grundsätzlich bieten wir jedes Jahr alle Ausbildungsstellen an. Es ist aber nicht so, dass wir alle Plätze auch jedes Jahr tatsächlich besetzten können, weil wir nicht immer den richtigen Nachwuchs finden. Wir sind bei der Einstellung aber flexibel. Es kann zum Beispiel vorkommen, dass wir in einem Jahr für einen Beruf mal keinen vielversprechenden Kandidaten haben und im nächsten Jahr dann gleich mehrere. Dann bleibt der Ausbildungsplatz in einem Jahr unbesetzt und im Folgejahr stellen wir dann eben zum Beispiel zwei Azubis ein. Insgesamt haben wir bei 80 Beschäftigten aktuell 13 Auszubildende. Das ist ein hoher Anteil, der den Stellenwert der Ausbildung für unser Unternehmen widerspiegelt.

Was ist Ihre Motivation, sich in der dualen Berufsausbildung zu engagieren und Ausbildungsplätze anzubieten?

Grundsätzlich sagen wir: Wenn wir Fachkräfte haben wollen, müssen wir sie auch ausbilden. Wir sehen die duale Ausbildung als Schlüssel zum Erfolg, um gut ausgebildetes Personal zu bekommen. Diese Haltung würde ich mir von mehr Betrieben wünschen.

Zudem wollen wir jungen Menschen eine fundierte Ausbildung bieten und damit auch das System der Berufsausbildung stärken. Das sehe ich durchaus ideell. Wir sind wirtschaftlich in Deutschland nur erfolgreich, wenn wir das Wissen im Kopf haben. Die duale Ausbildung ist da ein wesentlicher Baustein. Sie bietet die Verbindung von Theorie und Praxis - von fachlichem Wissen und betrieblichen Abläufen. Dieses deutsche Modell ist weltweit nahezu einzigartig. Die duale Ausbildung hat unglaublich viel Potenzial und das müssen wir auch leben. Deshalb engagieren wir uns bewusst so stark in diesem Bereich.

Haben Sie Schwierigkeiten bei der Besetzung von Ausbildungsstellen?

Grundsätzlich würden wir schon gerne mehr qualifizierte Auszubildende gewinnen. Wir sind da aber pragmatisch. Wir müssen nicht unbedingt jedes Jahr alle Stellen besetzten – wir stellen nur Auszubildende ein, wenn es wirklich passt. Unser Unternehmen hat viel mehr davon, wenn wir jemanden einstellen, der die Ausbildung auch wirklich machen will, als jemanden, für den wir nur die dritte Wahl sind.

Wir haben immer viele Bewerbungen bekommen, meistens im dreistelligen Bereich. Aber oft war einfach nicht die passende Person dabei. Lieber bekommen wir weniger Bewerbungen, aber dafür die richtigen. Grundsätzlich entsteht für alle Beteiligten weniger Arbeit, wenn die Bewerbenden von Anfang an wissen, wer wir sind, was wir machen und was sie bei einer Ausbildung in unserem Unternehmen erwartet. Dann können sie sich auch viel bewusster dafür entscheiden, sich bei uns zu bewerben. Deswegen haben wir den Ausbildungstag „Hallo Zukunft“ ins Leben gerufen. Wir wollen, dass junge Menschen uns kennenlernen und erfahren können, worauf sie sich einlassen.

Sie haben Ihren Ausbildungstag „Hallo Zukunft“ gerade angesprochen. Was hat es mit diesem Projekt auf sich und wie ist die Idee dazu entstanden?

Da fange ich doch gleich mal mit unserer Headline an: „Hallo Zukunft“ - der besondere Ausbildungstag in der Samtgemeinde Hankensbüttel. 23 Ausbildungsbetriebe öffnen ihre Geschäftsräume und präsentieren insgesamt 45 Ausbildungsberufe und Studiengänge.

Klingt erstmal nicht besonders, ist es aber! Denn dieser Tag war keine aufgesetzte, anonyme Veranstaltung bei der die Schüler*innen mehr oder weniger desinteressiert an einem Messestand vorbei geschoben wurden. Dieser Tag sollte durch das vielfältige und persönliche Engagement der Teilnehmer und der vielen einzelnen, authentischen Highlights in den Unternehmen leben.

Es ist doch so: damit eine zukünftiges Ausbildungsverhältnis bestand hat, ist es wichtig, dass beide Seiten wissen, was sie erwartet und wer der andere ist. Wir zum Beispiel produzieren Kunststoffbauteile. Bei uns geht es laut zu, teilweise ist es schmutzig, man packt beherzt zu und begegnet sich auf Augenhöhe. Auf keiner Messe oder in keinem noch so guten Hochglanzprospekt können wir das genauso darstellen. Das geht vielen Kollegen ähnlich. Und so passiert es, dass viele junge Leute bestimmte Ausbildungsberufe nicht im Blick haben, weil sie nicht wissen, was diese eigentlich beinhalten.  Deshalb haben wir uns entschlossen, dass die ausbildenden Betriebe in unserer Gemeinde alle zur selben Zeit ihre Türen öffnen und ihre Ausbildungsberufe individuell vorstellen.

Wir sind mit unserer Idee an die Betriebe vor Ort herangetreten. 23 Unternehmen folgten unserem Aufruf und der Einladung zur Kick-off Veranstaltung. Wir alle waren überrascht, dass unsere kleine Gemeinde so eine Vielfalt hervorbringt. Der Vorteil einer solchen Veranstaltung war allen Beteiligten klar. Das gemeinsame Marketing und die gebündelte Kraft vieler Akteure sichern eine viel größere Sichtbarkeit und senken die Kosten für jeden Einzelnen. Jeder Teilnehmer brachte sich mit seinen Kräften und Möglichkeiten ein. Die Schüler erreichten wir, indem Vertreter der einzelnen Unternehmen in den Schulen den „Hallo Zukunft“ Tag vorstellten und dazu einluden.

Der extra angelegt Instagram Account wurde täglich bespielt. Unser Ziel: Jedem potenziellen Besuchern sollte klar sein, dass man sich nur die Unternehmen anschaut, welche tatsächlich für den Einzelnen interessant sind. Idealerweise würde es am Ende viele unterschiedlich erlebte Firmenbesuche unter den Schüler*innen geben.

Von der ersten Idee bis zur Umsetzung hatten wir gerade einmal sechs Monate Zeit. Alle Beteiligten haben versucht, den Tag in die Öffentlichkeit zu bringen. Jede Gelegenheit wurde genutzt, um unser Projekt vorzustellen. Zum Beispiel auch dem Bundesminister für Arbeit und Soziales, Herrn Hubertus Heil oder dem Niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil, die uns einen Besuch abgestattet haben. Wie von Zauberhand wurde der Unterstützerkreis immer größer. Die Agentur für Arbeit und viele Institutionen boten uns ihre Hilfe an, teilten die Veranstaltung auf ihren Social-Media-Kanälen, schrieben Pressemitteilungen, verteilten Plakate und Flyer. Ich kann diese Energie rund um das Projekt nicht richtig in Worte fassen, aber allen Beteiligten war klar: der „Hallo Zukunft“ Tag wird ein großer Erfolg.

Ursprünglich hatten wir eine Hop-On-Hop-Off-Tour mit einem Shuttle-Bus geplant, der die jungen Leute von Betrieb zu Betrieb fahren sollte. Kurz vor der Veranstaltung hat uns der Lockdown dann einen Strich durch die Rechnung gemacht. Aufgeben war aber keine Option. Also haben wir das Ganze in kürzester Zeit von Präsenz auf Digital umgestellt. In Live-Übertragungen bei Instagram haben die Betriebe vom Handwerker, über den Architekten bis zum Industrieunternehmen ihre Ausbildungsberufe online vorgestellt und auch direkt Fragen beantwortet.

Was soll ich sagen? „Hallo Zukunft“ war ein großer Erfolg. Jeder Teilnehmer hatte zwischen 30 und 80 User zu Besuch und die ersten Bewerbungen trafen schon wenige Tage später ein. Wir wollen den „Hallo Zukunft“ Tag deshalb fest in Hankensbüttel etablieren und mittelfristig erhoffen wir uns wahrgenommen zu werden in unserer Vielfalt und mit allem was wir zu bieten haben.

Was raten Sie mittelständischen Unternehmen, die Schwierigkeiten bei der Besetzung von Ausbildungsplätzen haben?

Wichtig ist vor allem, dass Ausbildungsbetriebe ihre individuellen Stärken herausstellen. Was macht uns besonders und unterscheidet uns von anderen? Darauf sollte man die passende Antwort haben. Gerade im Mittelstand ist die Ausbildung oft sehr individuell. Man muss vermitteln, dass Auszubildende nicht nur eine Nummer, sondern ein wichtiger Teil des Teams sind.

Außerdem ist Sichtbarkeit ist ein großes Thema, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen. Der Eintrag im Branchenbuch reicht heute nicht mehr. Man muss die Bewerber da abholen, wo sie sich aufhalten – z.B. bei Social Media. Mit einem Social-Media-Kanal schafft man eine gewisse Präsenz bei der Zielgruppe und gibt einen ersten Einblick in das tägliche Geschehen im Unternehmen.

Welche Unterstützung wünschen Sie sich von der Politik zur Stärkung der dualen Berufsausbildung?

Aus meiner Sicht gibt es vor allem bei der Berufsorientierung an den Gymnasien noch Nachholbedarf. An Gymnasien ist man sich häufig nicht bewusst, dass es eben auch viele Schüler*innen gibt, für die eine duale Ausbildung eher in Frage kommt als ein Hochschulstudium. Nicht jeder, der ein Gymnasium besucht, will auch studieren – zumindest nicht direkt nach dem Abitur. Die Berufsorientierung sollte da offener sein und auch die duale Ausbildung als gleichberechtigten Karriereweg präsentieren. Wir brauchen auch in Zukunft Praktiker und dafür ist die duale Ausbildung unerlässlich.

 

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