20.03.2023InterviewDMB+

„Deutschland braucht keine Angstmacher, sondern Mutmacher.“

Der DMB hat die mittelstandspolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen um eine Beurteilung der Mittelstandspolitik nach dem ersten Jahr der Ampelkoalition gebeten. Carl-Julius Cronenberg, der selbst erfolgreich unternehmerisch tätig ist, setzt sich in der FDP-Bundestagsfraktion für einen starken Mittelstand ein. Im Interview mit dem DMB erläutert Cronenberg, was die zentralen mittelstandspolitischen Projekte für die laufende Wahlperiode sein werden und wann und wie der Mittelstand aus der Krise kommt. 

DMB: Wie beurteilen Sie die Mittelstandspolitik der Ampel nach dem ersten Regierungsjahr?

Carl-Julius Cronenberg: Trotz widrigster Umstände, Corona, Putins Krieg in der Ukraine und hoher Inflation insgesamt positiv. Weder der Mittelstand noch die Wirtschaft in Gänze sind in eine tiefe Rezession gestürzt. Das ist den vielen großen und kleinen Maßnahmen der Regierungskoalition zu verdanken. Den Kassandrarufen vom Untergang des Mittelstands habe ich mich nicht angeschlossen. Im Gegenteil: Deutschland braucht keine Angstmacher, sondern Mutmacher. Darauf habe ich im vergangenen Jahr immer wieder hingewiesen und die Ampel hat geliefert.

Was waren die wichtigsten mittelstandspolitischen Weichenstellungen im Jahr 2022?

Der Start ins letzte Jahr war noch stark geprägt von pandemiebedingter Unsicherheit. Deshalb war es richtig, den erleichterten Zugang zum Kurzarbeitergeld zu verlängern. Die dramatische Energiekostenexplosion drohte viele mittelständische Betriebe in existenzielle Schwierigkeiten zu bringen. Deshalb war es richtig, in die Energiemärkte einzugreifen und die Gas- und Strompreisbremse einzurichten. Die hohe Inflation drohte, Selbstständigen, Arbeitnehmern und Arbeitgebern höhere Steuern zu bescheren, obwohl sie reale Kaufkraftverluste hinnehmen mussten. Deshalb war es richtig in drei Entlastungspaketen im Umfang von 95 Milliarden Euro für Entlastung zu sorgen. In der Krise haben wir gleich mehrfach gezeigt, dass wir jederzeit handlungsfähig sind.

Was werden die zentralen mittelstandspolitischen Projekte für die laufende Wahlperiode sein?

Das Planungsbeschleunigungsgesetz für die LNG-Terminals an der deutschen Küste hat im vergangenen Jahr dafür gesorgt, dass der Anleger in Wilhelmshaven innerhalb von sechs Monaten ans Netz gehen konnte – eine Blaupause für beschleunigte Planungsverfahren und alle vor uns liegenden Infrastrukturprojekte. Ich bin Verkehrsminister Volker Wissing dankbar, dass er durchgesetzt hat, dass auch der Neu- und Ausbau von Straßen den Status von „überragendem öffentlichen Interesse" genießt. Wer weiß, dass im vergangenen Jahr zehnmal so viele Güter über die Straße als über die Schiene transportiert wurden, der versteht die herausragende Bedeutung einer leistungsstarken Straßeninfrastruktur. Diese hilft insbesondere dem standorttreuen produzierendem Mittelstand. Zweites Kernthema ist die Digitalisierung der Öffentlichen Verwaltung. Darin liegt der größte Hebel für die nachhaltige Entlastung von Bürokratie. Drittens werden wir Deutschland zu einem modernen Einwanderungsland weiterentwickeln. Gerade die mittelständischen Betriebe werden durch nichts mehr ausgebremst als durch den Fach- und Arbeitskräftemangel. Die Fachkräftestrategie haben wir verabschiedet, das notwendige Einwanderungsrecht reformieren wir in den nächsten Monaten.

"Zeitenwende" war das Wort des Jahres 2022. Was leiten Sie von dem Wort für die Mittelstandspolitik ab?

Nach der außen- und sicherheitspolitischen Zeitenwende muss jetzt die wirtschafts- und finanzpolitische Zeitenwende folgen. Corona hat zu gestörten Lieferketten geführt und Putins Krieg hat Abhängigkeiten aufgedeckt. Die Ampel arbeitet in Rekordtempo Versäumnisse der Merkel-Ära auf. LNG-Terminals an Nord- und Ostsee, Ratifizierung des Freihandelsabkommens mit Kanada, die Abschaffung der Kalten Progression, die Halbierung der Planungs- und Genehmigungsverfahren – das sind alles Maßnahmen, die längst überfällig waren und die wir schon im ersten Regierungsjahr umgesetzt haben. Davon profitiert der Mittelstand, genau wie von der Abschaffung der EEG-Umlage.

Wie beurteilen Sie zum Anfang des Jahres 2023 die wirtschaftlichen Aussichten für den Mittelstand?

Eine mögliche bevorstehende Rezession würde laut aktuellen Prognosen deutlich milder ausfallen, als noch im vergangenen Sommer erwartet. Vielleicht fällt sie auch ganz aus. Inflation und Gaspreise sinken. Ab Herbst kehren wir zu mehr Wachstum zurück. Der Mittelstand ist wie immer sehr anpassungsfähig. In der Koalition werden wir die Weichen stellen, damit das so bleibt.

Sie sind in der FDP-Fraktion für das Thema Mittelstand verantwortlich. Woher stammt die Begeisterung für den Mittelstand?

Der Mittelstand bildet mehr aus, schafft in guten Zeiten mehr neue Jobs, hält in schweren Zeiten seine Beschäftigten länger an Bord und zahlt immer mehr Steuern als Konzerne. Es ist mir bis heute ein Rätsel, warum vor diesem Hintergrund der Staat trotzdem den Mittelstand permanent mit neuer  Bürokratie oder Abgaben belastet. Als Familienunternehmer ist es mir ein tiefes Bedürfnis und eine Herzensangelegenheit, dem Mittelstand in der Arbeits- und Wirtschaftspolitik in Berlin als auch in Brüssel zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen. In vielen Ministerien und Behörden wird die herausragende Bedeutung des Mittelstands für Wirtschaft und Gesellschaft leider viel zu häufig unterschätzt.

Sind Sie selbst unternehmerisch tätig (gewesen)?

Oh ja, und wie. Bis zu meiner Wahl in den Bundestag 2017 habe ich praktisch nichts anderes gemacht. Vor über 30 Jahren habe ich in unserem Familienunternehmen Verantwortung übernommen und bin bis heute persönlich haftender Gesellschafter. Mein Hintergrund als Unternehmer sichert mir eine hohe Unabhängigkeit als Abgeordneter. Das ist mir persönlich wichtig und manchmal wünsche ich mir, dass es mehr Unternehmerkolleginnen oder – kollegen gäbe. Aufgrund der vollkommen überzogenen Transparenzregeln zu sogenannten „Nebentätigkeiten“ ist damit aber leider nicht zu rechnen.

Was zeichnet den deutschen Mittelstand für Sie besonders aus?

Der deutsche Mittelstand ist heterogener als so manche Volkswirtschaft eines ganzen Landes und tragende Säule unserer Wirtschaft. Die Vergangenheit hat dabei immer wieder gezeigt, dass sich unsere mittelständischen Betriebe durch enorme Anpassungsfähigkeit auszeichnen. Der Mittelstand kann Strukturwandel, vom Einzelunternehmer bis zum „Hidden Champion“. Das ist einer der Hauptgründe, warum wir vergleichsweise glimpflich durch die letzten Krisen gekommen sind. Das war 2009 bei der Finanzkrise und 2020/21 bei Corona so – das wird bei der durch den Ukrainekrieg ausgelösten Energiekrise wieder so sein.

Was ist für Sie der wichtigste Faktor für die Widerstandsfähigkeit von KMU?

Bessere Rahmenbedingungen für den Mittelstand im täglichen Kampf gegen die omnipräsente Bürokratie. Deshalb hat die FDP den Digital-Check im Koalitionsvertrag verankert. Schnelle und digitale Behörden sind in Deutschland überfällig. Jedes Bauvorhaben, jede Anlageinvestition braucht eine substantielle Genehmigungsbeschleunigung. An zweiter Stelle sehe ich mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt. Gut, dass die Ampel für ein modernes Zuwanderungsrecht sorgt. Damit kleine und mittlere Unternehmen aber tatsächlich ausländische Fach- und Arbeitskräfte einstellen können, muss das Verbot für die Zeitarbeit kippen. Gerade für die Baubranche wäre das ein Segen. Drittens brauchen wir Entlastung bei Steuern und Abgaben. Finanzminister Christian Lindner wird ein Steuerbürokratie-Entlastungsgesetz vorlegen. Das ist ein erster Schritt, der zweite Schritt - wettbewerbsfähige Unternehmenssteuern - muss folgen. Ein Dauerthema bleibt eine sichere, saubere und bezahlbare Energieversorgung.

Der Mittelstand steckt in der Polykrise. Wann und wie kommen wir aus der Krise?

Dieses Jahr. Die Lage ist schon seit geraumer Zeit besser als die Stimmung. Ich rechne spätestens zum Jahresende mit einer Erholung und der Rückkehr zu solidem Wachstum. Wer den Mittelstand kennt, weiß: Herausforderungen gibt es immer. Krisenzeiten sind immer auch Chancenzeiten. Krisen zeigen, wie kreativ, leistungsstark und motiviert Unternehmer und Unternehmen sind. Die Koalition unterstützt den Mittelstand dabei, indem wir schneller und digitaler werden. Kurzfristig brauchen wir ein robustes Belastungsmoratorium, mittelfristig Entlastung durch Unternehmenssteuerreform.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Cronenberg!

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