24.01.2022Interview

„Authentisch zeigen, was wir zu bieten haben.“

Bei "Hallo Zukunft" spielt sich Berufsorientierung dort ab, wo die Arbeit stattfindet: im Betrieb.

Angebote zur Berufsorientierung für junge Menschen spielen sich meist an Orten fernab der Praxis im Betrieb ab. Beim Orientierungstag „Hallo Zukunft“ in Hankensbüttel ist das anders. Jugendliche können sich hier direkt im Betrieb über ihre künftigen Berufe informieren und erhalten so einen realistischen Blick von der Arbeitsatmosphäre. Über die Erfahrungen der Jugendlichen und teilnehmenden Betriebe mit diesem Vorgehen spricht Organisatorin und DMB-Mitglied Aline Henke im Interview. 

Frau Henke, bitte stellen Sie uns das Projekt „Hallo Zukunft“ einmal vor.

Dem Projekt „Hallo Zukunft" ist unsere Müdigkeit vorausgegangen, auf Jobmessen zu gehen. Wir hatten zunehmend das Gefühl, dass wir uns dort nicht so gut präsentieren konnten, wie es eigentlich notwendig wäre. An einem Klapptisch in der Stadthalle zu stehen und Berufsorientierung mit Jugendlichen zu machen, die eher unfreiwillig da sind, war nicht die richtige Atmosphäre. Solche Veranstaltungen haben bei uns Ressourcen gebunden, gleichzeitig hatten wir aber den Eindruck, dass es nicht den Effekt hatte, den wir uns wünschen. Wir möchten die hankensbütteler kunststoffverarbeitung GmbH & Co. KG (hk) als gutes Ausbildungsunternehmen präsentieren. Als Industrieunternehmen produzieren wir etwas, bei uns arbeiten zum Beispiel Industriemechaniker und es laufen Maschinen. Das ist eine besondere Atmosphäre, die kaum vergleichbar mit einem Brainpool wie Google ist. Es geht darum, authentisch zu zeigen, was wir zu bieten haben und welches Können wir in der Lage sind zu vermitteln. Das ist auch genau das, was junge Menschen in ihrer Orientierungsphase suchen. Sie fragen sich: „Wie ist das eigentlich, wenn ich in diesem Betrieb jeden Tag zur Tür hereinkomme?“ Industrie ist nicht still und leise. Das sollte man schon wissen, auch wenn man sich erstmal nur für ein Praktikum bei uns entscheidet.

Vor zwei Jahren haben wir „Hallo Zukunft“ zum ersten Mal und nur in unseren eigenen Räumen stattfinden lassen. Es kamen 30 Besucher. Im ersten Augenblick dachten wir, dass dies in keinem Verhältnis zu dem enormen Aufwand steht. Daraus sind aber schließlich fünf Praktikumsverträge und zwei Ausbildungsverträge entstanden. Bei einer solchen Trefferquote dürfte die Arbeitsagentur neidisch werden. Natürlich darf man das aber auch nicht überbewerten, denn die 30 Besucher wollten uns ja sehen. Es war also eine völlig andere Voraussetzung als sie normalerweise bei anderen Berufsorientierungstagen herrscht. Wenn die Zielgruppe bereits signalisiert, dass sie am Unternehmen interessiert ist, ist das nach unserer Erfahrung eigentlich schon die Lösung der ganzen Sache.

Mit unserer Müdigkeit auf Jobmessen zu gehen, sind wir hier in der Unternehmerschaft nicht allein. Im Nachgang des „Hallo Zukunft“-Tages haben wir festgestellt, dass der Aufwand nahezu der gleiche ist, ob wir den Tag nur für uns oder mit weiteren Betrieben organisieren. Wegen des Lockdowns mussten wir das Konzept in 2020 umstellen und auf Instagram live ausweichen. In 2021 konnten wir am 2. Oktober nun aber 31 Unternehmen und 65 verschiedene Berufe auf dem „Hallo Zukunft“-Tag in Hankensbüttel vorstellen. Das Ganze muss man im Kontext betrachten. Wir befinden uns im ehemaligen Zonenrandgebiet*. Die Samtgemeinde Hankensbüttel hat rund 9.000 Einwohner und die Gemeinde Hankensbüttel rund 4.500 Einwohner. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, was 31 Ausbildungsbetriebe und 65 verschiedene Berufe bedeuten. Durch diesen Tag können alle Unternehmen zusammen auf über 460 Kontaktgespräche mit jungen Menschen zurückgreifen.

* Das Zonenrandgebiet war ein 40 Kilometer breiter Gebietsstreifen der Bundesrepublik entlang der DDR.

Eignet sich dieses Vorgehen auch in anderen Bereichen abseits der Industrie?

Wir müssen eins unterscheiden: Unser Projekt bietet Berufsorientierung. Nachgelagert ist selbstverständlich der Gedanke, Azubis zu gewinnen. Aber die teilnehmenden Betriebe konkurrieren an diesem Tag nicht miteinander, auch wenn wir wahrscheinlich partiell um dieselben Köpfe werben. „Hallo Zukunft“ zeichnet sich dadurch aus, dass die Unternehmen hier im Schulterschluss stehen und sagen: „Wir möchten einen Teil der Berufsorientierung leisten.“ Das ist das übergeordnete Ziel. Wir wollen uns natürlich aber auch als attraktiver Ausbildungsstandort positionieren und zeigen, dass hier vor Ort Ausbildungs- und Karrieremöglichkeiten bestehen.

Bei uns im Ort gibt es mehrere Schulen mit Abgangsklassen. Die Gymnasien sind für uns ein bisschen schwieriger zu erreichen, weil dort landläufig immer noch der Gedanke herrscht, wer Abitur macht, möchte später studieren. Wir wissen allerdings, dass die Hälfte der Abiturientinnen und Abiturienten sich für die duale Ausbildung entscheidet und nur die andere Hälfte für ein Studium. Von den Studierenden wiederum bricht ca. die Hälfte ihr Studium auch wieder ab. Daher kann man sagen, dass Berufsorientierung auch am Gymnasium wichtig ist und so langsam kommt das auch in den Schulen an.

Wie ist die Resonanz der jungen Leute zum Aktionstag „Hallo Zukunft“?

Die erleichterte Kontaktaufnahme ist ein Thema. Wo frühere Generation dazu geraten hätten, die Klinke in die Hand zu nehmen und nach einem Praktikumsplatz zu fragen, ist die Distanz bei der heutigen Jugend sehr groß geworden. Bei ihr fehlt durchaus auch eine gewisse Eigenständigkeit. Das ist nichts Schlimmes und kommt einfach noch im Laufe der Zeit. Aber zum Zeitpunkt der Berufsorientierung verfolgen wir speziell den Ansatz, Eltern, Familie und auch die berufsberatenden Lehrer miteinzubeziehen, um den Erstkontakt zu erleichtern. Wenn man junge Leute fragt, was sie später im Ausbildungsverhältnis als wichtig erachten, nennen sie an erster Stelle nette Kollegen, Offenheit und guten, respektvollen Umgang. Bei „Hallo Zukunft“ können sie sich selbst anschauen, wen sie morgen als Kolleginnen und Kollegen haben könnten. Der Ausbilder und die Auszubildenden sind an diesem Tag dabei und ob ein respektvoller Umgang herrscht, das kann man auch schon wittern, wenn man mal einen Fuß in den Betrieb setzt.

Wir hatten zwar viel Zulauf, aber wie die Besucher von uns erfahren haben, das war für uns die größte Unbekannte. Wir haben das Internet, insbesondere Instagram, genutzt und familiäre Kontakte angesprochen, um die Jugendlichen zu erreichen. Wir haben das Feedback erhalten, dass wir auf keinen dieser Wege in unserem Marketing verzichten sollten.

Inwiefern sehen Sie Ihre geographische Lage als Vorteil oder als Nachteil bei der Suche nach Fachkräftenachwuchs?

Ich fasse das mal zusammen unter „Ausbildung auf dem Land“. Die Vielfalt der verschiedenen Berufe habe ich Ihnen genannt; an der fachlichen Attraktivität kann das so also nicht liegen. Wenn Sie mich fragen, ob der Fachkräftemangel das größte Risiko ist, sage ich: Es ist ganz klar ein Risiko, dass wir die Arbeit nicht erledigen können, für die wir Aufträge im Haus haben. Es gibt aber auch sehr viele Betriebe, die sich kritisch hinterfragen müssten. Denn wenn ich Fachkräfte benötige, muss ich als erste welche ausbilden. Wenn ich die richtigen Auszubildenden dafür nicht finde, muss ich mich fragen, ob ich an der richtigen Stelle gesucht habe. Die Aussage „Ich finde keine Auszubildenden“ greift mir ein wenig zu kurz. Wir haben bewiesen, dass man eine Resonanz erhält, wenn man auf junge Menschen zugeht.

Zwölf Jugendliche haben sich über den Beruf des Bäckers informiert. Es haben sich tatsächlich junge Leute für einen Beruf interessiert, bei dem man nachts um 3 Uhr aufstehen muss. Auch beim Steinmetz gab es Besuch. Das passiert natürlich nur, wenn ich als Betrieb öffentlich kommuniziere, dass ich ausbilde.

Wenn man aktiv nach Auszubildenden sucht, muss man sich auch selbst fragen, was einen als Ausbildungsbetrieb attraktiv macht. Auf dem Land herrschen besondere Voraussetzungen, die aber für Menschen, die von hier kommen, nicht unbedingt schlimm sind. Natürlich müssen wir auch schauen, wie unsere Azubis zu den Berufsschulen kommen. Aber mit der Infrastruktur und der Busverbindung leben wir schon immer und haben auch bereits Lösungen dafür gefunden.

Jeder Ausbildungsbetrieb hat wahrscheinlich schon Azubis gehabt, um die man sich mehr und intensiver kümmern musste. Dennoch ist es wichtig, dass wir auch ausbilden, wenn wir nach Fachkräften rufen. Die Hälfte aller Betriebe hierzulande bildet aber nicht aus. Wenn sich diese Betriebe darüber beschweren, dass sie keine Fachkräfte finden, ist das ein gesellschaftliches Problem.

Bringen Auszubildende heute andere Fähigkeiten mit als früher?

Berufsorientierung findet heute leider nicht schon in der 8. Klasse statt, wie wir uns das wünschen würden. Da kommen zwar die ersten Angebote und da wird auch mit Jugendlichen gesprochen, aber es hängt ganz stark vom Elternhaus ab, ob in dieser Phase etwas passiert. Ich glaube, dass ein Praktikum einen guten Einblick gibt. Dafür machen wir schließlich auch „Hallo Zukunft“.

Der Lernstand bei Auszubildenden war grundsätzlich immer schon durchwachsen und für mich keine Überraschung. Wir haben jetzt fast zwei Jahre Schulbetrieb in der Pandemie hinter uns. Es wird sich zeigen, ob sich daraus gesonderter Förderbedarf während der Ausbildung ergibt. Problematischer ist, dass Praktika durch die Corona-Pandemie in den letzten anderthalb Jahren total gekappt worden sind. Anfangs wussten wir gar nicht, wie wir Praktika realisieren können. Jetzt sind wir da langsam routinierter.

Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass unsere derzeitige schulische Ausbildung ein hohes Gut ist, das einen Start in den Beruf einfacher macht. Das ist nichts, was man an die Politik delegieren kann. Da kommt es neben den Betrieben auch auf das Elternhaus an. Man merkt, ob ein Jugendlicher einen starken Rückhalt von seinen Eltern erhält. Und das verbessert natürlich dessen Chancen ungemein. Und wir als Betrieb setzen nicht nur auf Einser-Kandidaten. Bei uns ist ein schlechtes Zeugnis nicht unbedingt ein Ausschlusskriterium.

Was Azubis auf jeden Fall mitbringen müssen, ist das „Wollen“. Dann kann es auch mit dreimal pro Woche Nachhilfe funktionieren. Das finde ich in Ordnung und die Arbeitsagentur unterstützt die ausbildungsbegleitende Nachhilfe auch mit verschiedenen Hilfsprogrammen.

Ich empfinde die individuelle Förderung als große Chance. Wir haben damit gute Erfahrungen machen dürfen. Ausbildungsbetriebe sollten sich hinterfragen, ob sie wirklich nur Azubis mit guten Schulnoten berücksichtigen.

Was erwarten Sie von der Bundesregierung, um dem Fachkräftebedarf gerecht zu werden?

Wir brauchen weiterhin Rückendeckung für die duale Ausbildung als attraktiven Karriereweg. Das ist etwas, was von der Regierung bereits wahrgenommen wird. Auch die Tatsache, dass es seit zwei Jahren feste Stunden in den Rahmenlehrplänen für die Berufsorientierung an Gymnasien gibt, verdeutlicht das.

Außerdem sollte die ausbildungsortsnahe Beschulung gefördert werden. Wenn Sie so wie hier bei uns erst 40 Kilometer weiter den nächsten Betrieb mit unseren Ausbildungsberufen finden, wissen Sie, wovon ich spreche. Im Umkreis von 40 Kilometern gibt es keine Verfahrensmechaniker für Kunststoff- und Kautschuktechnik. Das führt dazu, dass die Berufsschule nebenan unseren Nachwuchs in diesen Berufen nicht beschulen kann. Da sind wir dann darauf angewiesen, dass wir eine entsprechende Infrastruktur haben.

Als Unterstützung für die Berufsschulen wünsche ich mir Fortschritte bei der Digitalisierung, zum Beispiel im Bereich Robotertechnik, und dass sie auch andere Konzepte der Beschulung gemeinsam vorantreiben können. Daran können sich auch die Betriebe beteiligen. Für mich als Unternehmerin ist die Auslastung der Ressourcen entscheidend. Daher will es mir persönlich nicht in den Kopf, warum eine Berufsschule schon um 14 Uhr schließen muss. Sicher ließe sich ein Weg finden, dass auch Berufsschulen für überbetriebliche Ausbildungen außerhalb der bisher üblichen Schulzeiten unterrichten.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Henke!

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