03.09.2021Interview

"Der Gesamtkontext Klimaschutz ist ein großer Business Case"

Bei B.A.U.M. e.V. steht eine nachhaltige, erfolgreiche und zukunftsorientierte Unternehmensentwicklung im Fokus. Über 700 Unternehmen lernen voneinander und unterstützen sich gegenseitig. Projektmanagerin Antonia Thiele erklärt, wie auch KMU das Ziel der Klimaneutralität erreichen können.

DMB: Hallo Frau Thiele, bitte stellen Sie sich und den B.A.U.M. e.V. kurz vor.

Antonia Thiele: Sehr gern. Ich freue mich über die Möglichkeit, B.A.U.M. und Wirtschaft pro Klima vorstellen zu dürfen. Ich heiße Antonia Thiele und arbeite seit knapp vier Jahren bei B.A.U.M. e.V.. Wir sind ein branchenunabhängiger Unternehmensverband und befassen uns seit 1984 mit allen Themenbereichen der Nachhaltigkeit, um Unternehmen gezielt bei ihrer nachhaltigen, erfolgreichen und zukunftsorientierten Entwicklung zu unterstützen. Heute ist B.A.U.M. mit über 700 Mitgliedern ein starkes Unternehmensnetzwerk, in dem neben Unternehmen auch andere Verbände und Institutionen Fördermitglied sind.

Als Betriebswirtin und Nachhaltigkeitswissenschaftlerin arbeite ich nun an dieser spannenden Schnittstelle, an der wir ökonomischen Erfolg und gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen produktiv verknüpfen. Wenn alle Unternehmen ihr Bestes geben und sich aktiv mit nachhaltigkeitsrelevanten Fragestellungen auseinandersetzen und entsprechende Schritte gehen, ist das ein Win-win-Effekt für alle.

Sie verantworten mit der Initiative Wirtschaft pro Klima eine Plattform, auf der sich Unternehmen austauschen können, die sich aktiv für den Klimaschutz einsetzen. Bitte erzählen Sie uns mehr über die Ziele, die Sie mit der Plattform erreichen wollen.

Klimaschutz ist in aller Munde und zahlreiche Unternehmen engagieren sich bereits stark in diesem Bereich. Viele solcher Vorreiter-Unternehmen sind bereits Mitglied in unserem B.A.U.M.-Netzwerk. Mit unserer InitiativeWirtschaft pro Klima möchten wir diesen Unternehmen, aber eben auch Nicht-Mitgliedern eine Bühne geben. Wir sind davon überzeugt, dass gute Beispiele und Vernetzung das A und O sind, wenn es um die Erreichung eines komplexen gemeinsamen Ziels wie dem Klimaschutz geht. Das funktioniert nur, wenn man miteinander und nicht gegeneinander arbeitet. Unternehmen können viel voneinander lernen und sich gegenseitig unterstützen. Das spart Zeit und Geld und eröffnet Raum für spannende Kooperationen und Innovationen, die sonst vielleicht gar nicht entstanden wären. Viele Unternehmen stehen schließlich vor sehr ähnlichen Herausforderungen. Da freut man sich doch, wenn man nicht bei Null anfangen muss oder dank der kollegialen Tipps anderer schneller weiterkommt, als man anfangs erwartet hätte.

Neben den guten Beispielen und der Vernetzung stärken wir die Interaktion und den Dialog mit Stakeholdern aus Wirtschaft, Politik, Medien, NGOs, Verbänden und Wissenschaft. Unser Ziel ist es, den Unternehmen Orientierungswissen bereitzustellen und im Rahmen von Veranstaltungen und Transformationsprojekten spezifische klimarelevante Themenaspekte zu diskutieren, um Lösungsansätze zu identifizieren und dann auch direkt zu erproben. Zwei solcher Transformationsprojekte sind aktuell in Planung – eines zum Thema nachhaltige Veranstaltungswirtschaft, das andere zum Thema Ernährungswirtschaft. Beide Wirtschaftsbereiche haben einen enormen Einfluss auf und somit eine große Hebelwirkung für das Klima.

Welche Überlegungen und Maßnahmen sind Ihrer Einschätzung nach für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) hin zu nachhaltigem Wirtschaften besonders wichtig?

Das Wichtigste ist, anzufangen. Unternehmen sollten sich zunächst bewusstmachen, wo ihre größten Verbräuche und Nachhaltigkeitsherausforderungen entstehen. Wenn man dies weiß, kann man gezielt und rasch Verbesserungen in diesen Bereichen in Angriff nehmen. Es gibt zahlreiche Tools und Anbieter, die entsprechende Analysemethoden entwickelt haben und auch branchenspezifische Expertise für die besonderen Kniffe auf Lager haben. Das gilt für das Nachhaltigkeitsmanagement allgemein, genau wie für ein ganzheitliches Klimaschutzmanagement. Man muss das Rad nicht neu erfinden – andere Menschen haben sich schon schlaue Gedanken dazu gemacht. Ich empfehle Unternehmen daher, zunächst bei Geschäftspartnern zu fragen, wie sie das angegangen sind bzw. sich einen Partner an die Seite zu holen, der zum jeweiligen Unternehmen passt. Für den Einstieg kann man sich auch auf den Seiten des Greenhouse Gas Protocols umschauen. Dort gibt es zahlreiche Leitfäden und Berechnungstools für die Einführung eines ganzheitlichen Klimamanagements. Einige solcher Empfehlungen haben wir auf unserer Website unter den Themenseiten „Klimaschutz im Unternehmen“ aufgeführt. Gerne stellen wir auch den Kontakt zu anderen Unternehmen, Anbietern oder Institutionen her.

Ziel des Klimamanagements ist es, relevante Emissionsquellen zu identifizieren, zu erfassen, diese zu vermeiden und wo nicht vermeidbar, zu mindern. Dabei werden nicht nur die Emissionen der eigenen Standorte betrachtet, sondern auch jene aus der vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette. Hierzu ist zunächst die Identifikation der wesentlichen Emissionsquellen erforderlich, auf deren Basis sich fortlaufend Zahlen erheben und Ziele und Maßnahmen ableiten lassen, die dann sukzessive nach der Prämisse „Vermeiden – Reduzieren – Kompensieren“ umgesetzt und deren Erfolge regelmäßig überprüft werden. Eine begleitende Kommunikation nach außen schafft zudem eine vertrauensfördernde Transparenz für die Stakeholder.

Können Sie uns ein Praxisbeispiel nennen? Welche Maßnahmen fruchten schnell und welche eher langfristig?

Insbesondere im Strombereich lassen sich schnelle Erfolge erzielen, da hier ein Großteil der Emissionen (und Kosten) liegen. Die reine Kompensation dieser Emissionen genügt aber nicht und wird auch nach außen sicher auf Kritik stoßen. Für ein ganzheitliches Klimamanagement braucht es einen qualitativen Pfad, also echte Klimaschutzmaßnahmen an den Betriebs- und Produktionsstandorten. Energieeffizienzmaßnahmen lassen sich meist rasch umsetzen und haben eine große Wirkung. Langfristige Investitionen in Klimaneutralität, bspw. über eigene Erneuerbare-Energien-Anlagen, sind häufig zwar teuer und aufwendig, können aber für einen über die Laufzeit gesicherten Strompreis sorgen, was wiederum Sicherheit für Unternehmen bringt. Häufig entstehen aus derartigen Investitionen auch neue Geschäftsmodelle. Automobilhersteller bieten nun auch Ladeinfrastruktur für E-Mobilität an, REWE baut auf dem Dach eines Modell-Supermarkts der Zukunft ressourcenschonende Rohstoffkreisläufe mit Aquaponik. Der Gesamtkontext Klimaschutz ist ein großer Business Case. Auch speziell für den Mittelstand gibt es gute Lösungen. Diese Projekte sind zwar häufig kleinteiliger, aber im Verhältnis zur Unternehmensgröße sind sie schneller auf dem Qualitätspfad unterwegs. Wichtig ist zudem das Gebot der Transparenz. Wer glaubwürdig agiert und kommuniziert und ggf. auch plausibel erklärt, warum er dieses oder jenes (noch) nicht tut, wird sich auf lange Sicht einen Wettbewerbsvorteil erarbeiten.

Wie kann die Initiative Wirtschaft pro Klima KMU auf ihrem Weg zur Klimaneutralität unterstützen?

Wir verstehen uns als Ansprechpartner auf Augenhöhe und vernetzen Unternehmen, wo das gewünscht ist. Den Zugang zur Initiative haben wir bewusst niedrigschwellig gehalten, um auch Kleinst- und Solounternehmer*innen zur Mitwirkung zu ermutigen.

Mit gezielten Angeboten, insbesondere unseren eigenen Veranstaltungen, geben wir Unternehmen praktische Hilfestellung an die Hand. Unsere aktuell laufende Online-Reihe „Climate Action“ für Unternehmen scheint bei den Unternehmen einen Nerv getroffen zu haben. Wir haben sehr hohe Anmeldezahlen und durchweg positives Feedback. Wir haben daher beschlossen, im Herbst eine weitere Reihe speziell zu Scope 3 anzubieten. Die Erfassung der Emissionen in der vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette stellt die meisten Unternehmen vor besondere Herausforderungen. In dem Scope 3 Forum werden wir jede der insgesamt 15 Scope 3 Kategorien einzeln unter die Lupe nehmen. Infos zu dieser Veranstaltung wird es zeitnah auf der Website geben.

Auch Anbieter von Klimaschutzdienstleistungen sind Teil unserer Initiative. Sie stehen interessierten Unternehmen mit Rat und Tat zur Seite. Um zu verstehen, inwiefern sich die Anbieter im Einzelnen voneinander unterscheiden, haben wir kürzlich von einigen Klimadienstleistern Steckbriefe eingesammelt, die es Unternehmer*innen und Interessierten erleichtern sollen, sich zu orientieren und einen Anbieter zu finden, der zu ihren Anforderungen passt.

Wie können sich KMU bei Wirtschaft pro Klima einbringen?

Teilnehmen kann grundsätzlich jedes Unternehmen — unabhängig von Größe und Branchenzugehörigkeit. Wie aktiv sie das Netzwerk nutzen möchten, ist letztlich den Unternehmen selbst überlassen.

Wer sein Unternehmen und dessen Klimaengagement präsentieren möchte, kann es unkompliziert als Teilnehmer anmelden. Voraussetzung ist lediglich die Zustimmung zu unserem Bekenntnis zu den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens. Jedes teilnehmende Unternehmen erhält dann ein Profil mit einem kurzen Steckbrief und einer Beschreibung des Aktivitätsbereichs. Da es außerordentlich wichtig ist, dass auch die Geschäftsführung bzw. die Inhaber*innen selbst hinter den ambitionierten Klima- und Nachhaltigkeitszielen stehen, unterstreichen wir dies durch ein Klimaschutz-Statement der verantwortlichen Personen zum Engagement ihres Betriebes. Sowohl im Unternehmensprofil als auch in unserem Blog haben die teilnehmenden Unternehmen zudem die Möglichkeit, klimarelevante Botschaften und Erfahrungen mit der Community zu teilen und dadurch eine höhere Reichweite zu erzielen. Wir freuen uns natürlich ebenfalls, wenn die teilnehmenden Unternehmen bzw. ihre Vertreter*innen an unseren Veranstaltungen teilnehmen und ihre Erfahrungen auch dort einbringen. Zudem sind wir dankbar für Feedback und Diskussion zu den aktuellen Themen. Für B.A.U.M.-Mitglieder ist die Teilnahme kostenlos, für Nicht-Mitglieder fällt ein geringes Teilnahmeentgelt an, das sich nach der Unternehmensgröße bemisst. Die Beträge sind auf der Website zu finden.

Anbieter von Klimaschutzdienstleistungen haben darüber hinaus die Möglichkeit, ihr Dienstleistungsportfolio sowie interessante Veranstaltungen rund um das Thema Klimaschutz zu präsentieren.

Da wir eine frei finanzierte Initiative sind, sind wir auf Sponsoring und Spenden angewiesen. Unternehmen, die Sponsorpartner werden möchten, erhalten weitere Vorteile und werden aktiv in unsere Veranstaltungen und die Entwicklung neuer Projekte eingebunden.

Einbringen können sich alle mitwirkenden Unternehmen jederzeit. Sei es mit spannenden Themenvorschlägen für Veranstaltungsformate, eigenen Veranstaltungen oder Beiträgen zu Stellungnahmen, die wir in Richtung Politik kommunizieren.

Ist denn allen Beteiligten klar, was unter Klimaneutralität zu verstehen ist? Meinen alle dasselbe? Wie sehen Sie das?

Aktuell feilen wir an einer Definition zur Klimaneutralität. Dieser Begriff ist ja bekanntermaßen im Trend, aber was das konkret bedeutet, wie weitreichend dieser Begriff ist und wo die Grenzen liegen, bleibt häufig unklar. Wir haben daher innerhalb einer Arbeitsgemeinschaft eine Definition entwickelt, die Klimaneutralität mit echten Klimawirkungen versucht zu beschreiben. Diese Definition haben wir an unsere Wirtschaft pro Klima Community gespielt und um Feedback gebeten. Die Resonanz war groß, die Rückmeldungen sehr unterschiedlich und allesamt wertvoll für den weiteren Prozess der Begriffsschärfung. Ob echte Klimaneutralität überhaupt zu erreichen ist, ist die zentrale Frage. Meist gibt es eine Restmenge an CO2-Ausstoß, die nicht mehr vermieden, sondern nur noch kompensiert werden kann. Zählt das? Hardliner sagen, das ist Ablasshandel, andere sagen, anders geht es nicht. Wir versuchen im Diskurs den goldenen Mittelweg zu identifizieren, der für Unternehmen machbar und für das Klima den maximal positiven Effekt erzielt. Kompensation muss nicht unbedingt schlecht sein, jedoch sollte darauf geachtet werden, dass gute Aufforstungsprojekte bevorzugt und die Qualität der Projekte durch seriöse Zertifikate (bspw. Gold Standard) belegt ist.

 

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Thiele!

 

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