15.07.2021Fachbeitrag

Die lose Kooperation als Digitalisierungsmotor?

Für Annäherung und erste Erfahrungen eignet sich das Modell der losen Kooperation. Als Testballon gestartet, kann sich im Zeitverlauf eine intensive und vertrauenswürdige Zusammenarbeit entwickeln.

 

Das Modell der losen Kooperation zwischen einem Start-up und einem mittelständischen Unternehmen ist tiefgreifender als eine reine Zuliefererbeziehung. Die Kooperationspartner stehen in einem engen Austausch und profitieren vom gegenseitigen Knowhow-Transfer. Die Unternehmensberater Christine Günther und Oliver Fietz zeigen auf, wie eine lose Kooperation gelingt und welche Instrumente zur Risikominderung geeignet sind. Wie die lose Kooperation die digitale Transformation beschleunigt, zeigt ein spannendes Beispiel aus der Praxis.

Im Vordergrund einer losen Kooperation steht der Austausch zwischen Mittelstand und Start-up über operative, technische oder strategische Angelegenheiten. Darauf aufbauend lassen sich Erkenntnisse und Einsatzmöglichkeiten für eine vertiefte Zusammenarbeit gewinnen. Die lose Kooperation kann dementsprechend als Testballon für eine erste Annäherung genutzt werden. Für mittelständische Unternehmen besteht die Chance, eine passgenaue Lösung zu erhalten, die die Eigenarten des Unternehmens berücksichtigt. Wichtigster Unterschied zu einer Projektentwicklung ist, dass hierbei ein Produkt eingesetzt wird, das bereits verkauft wurde und damit mehr oder weniger erprobt ist. Außerdem wird es im Hinblick auf künftige Kundenanforderungen weiterentwickelt. Der Mittelständler gewinnt optimalerweise einen Schrittmacher, Talente und Innovationsführer für die eigene Transformation, die sonst nicht verfügbar sein würden. Start-ups haben den unschätzbaren Vorteil ohne historischen Ballast unvoreingenommen an Innovationen herangehen zu können.

Gerade, wenn Mittelständler Zielkunden des Start-ups sind, zeigt sich oftmals, dass der reine Produktvertrieb mit Schwerpunkt auf den Verkauf nicht die gewünschte Wirkung erzielt. Für zufriedene Kunden ist vielmehr eine Implementierungs- und Umsetzungsbegleitung, die auf die Besonderheiten des einzelnen Kunden eingeht, der zentrale Erfolgsfaktor. Für das Start-up ist eine engere Kooperation zudem ein entscheidender Fundus, um die Kundenbedürfnisse besser zu verstehen und das eigene Angebot stetig zu verbessern. Ziel dabei sollte es stets sein, diese Erkenntnisse aus der Kooperation in die Weiterentwicklung eines marktfähigen und damit skalierbaren Produktgeschäfts zu investieren – im Gegensatz zu einem reinen Projektgeschäft mit Einmalaufträgen.

 

Win-win-Potential

Kooperationen sind in den unterschiedlichsten betriebswirtschaftlichen Dimensionen möglich. Im hier beschriebenen Fall unterstützt die Kooperation die digitale Transformation des Mittelständlers einerseits und verstärkt die Produkt-Exzellenz des Start-ups andererseits. Je nach Erfolg dieser Kooperation ist eine noch engere Zusammenarbeit und Verflechtung in einem weiteren Schritt denkbar – beispielsweise über den Einstieg in eine Co-Creation. Dabei könnten gemeinsam neue Märkte erschlossen, Produkte entwickelt oder Gemeinschaftsunternehmen gegründet werden.

 

Wie kann das für beide Seiten mit begrenztem Risiko gelingen?

Das Investmentrisiko ist begrenzbar. Wenn Meilensteine nicht erreicht werden, ist eine Rückabwicklung eher möglich als bei einer engeren kapitalmäßigen Verflechtung. Trotzdem benötigt es Mut der Geschäftsleitung einen externen Start-up-Partner für die interne Weiterentwicklung zuzulassen, ihm gegenüber den Mitarbeitenden diesen Vertrauensvorschuss zu geben, ohne das Risiko des Scheiterns gänzlich ausschließen zu können. Dieses Risiko besteht vor allem bei unrealistischen Zielen zu Beginn oder bei fehlender Unterstützung für die Kooperation vonseiten der Geschäftsführung oder des Inhabers. Die stärkere personelle Involvierung auf Seiten des Start-ups ist bei grundsätzlich enger Personaldecke ein Investment, das auch finanziell vom Kunden honoriert werden muss, aber oft nicht wird. Kurzfristig gedacht, wird durch die enge langfristige Begleitung die Skalierung als reine Produktcompany behindert, da der Kooperationsaufwand Köpfe vor Ort bedarf. Die Gefahr besteht im Projektgeschäft mit einem oder wenigen Großkunden stecken zu bleiben, bei dem die Abhängigkeit groß ist und die Marktfähigkeit des eigenen Leistungsangebots schwindet.

Die Investition in die enge Zusammenarbeit dürfte sich langfristig aber mit erhöhtem Kundenerfolg mehr als auszahlen. Wichtig ist, dass die Individualisierung der Unterstützung trotzdem weiter auch eine Standardisierung des Produkts zulässt, damit das Start-up künftig weitere Kunden gewinnen kann. Dafür muss das Start-up eigene strategische Ziele für die Kooperation definieren und den Erfolg messen, statt kurzfristig und opportunistisch in eine Auftragssituation zu hüpfen, die vor allem Ressourcen bindet.

 

Tipps für Mittelständler und Start-up

Da das Erfolgsgeheimnis in einer engen Zusammenarbeit liegt, sind gegenseitiges Vertrauen und transparente Kommunikation entscheidend. Dafür ist die gründliche Partnerwahl, die genügend Innovationskraft und ergänzende Kompetenzen beinhaltet, eine wichtige Vorarbeit. Zudem braucht es beiderseitige Klarheit über die Ziele beider Partner sowie eine Kompatibilität der Wertvorstellungen.

Als Einstieg ist eine solche Kooperation ein günstiges Instrument, um eine stärkere Vernetzung zu leben und zukunftsfähig zu bleiben. Der Vernetzungsgedanke wird über zahlreiche Plattformen am Markt bereits unterstützt.           

 

Praxisbeispiel für eine gelungene und fortwährende Kooperation ohne Kapitalbeteiligung

Kosten- und Prozessoptimierung durch die Kooperation mit einem Software-Start-up

Im Jahr 2019 beschloss der führende Anbieter von Antriebstechnik für Tore eine Kooperation mit dem 2017 gegründeten Software-Start-up für Kostenoptimierungen einzugehen. Das Familienunternehmen hatte verstanden, dass der Einsatz der Start-up-Software fachlich helfen würde, Kostenoptimierung zu einem Kernprozess zu machen. Die Mitarbeitenden würden zudem befähigt sich zu eigenverantwortlichen, kostensensitiven und vernetzten Prozessmanagern zu entwickeln, also eine Veränderung von der Basis aus starten. Entscheidend aber für den Erfolg der Transformation des Unternehmens sollte die enge Zusammenarbeit zwischen beiden Partnern sein. Anders als bei einer reinen Lieferantenbeziehung, bei der neben der reinen Software-Bereitstellung allenfalls noch eine Support-Hotline im Angebot enthalten ist, steht ein enger Austausch der Kooperationspartner mit gegenseitigem Knowhow-Transfer zusätzlich im Fokus. Dazu startete die gemeinsame Reise mit einem 6-12-monatigen „Anschubprogramm“ und einem darüber hinaus bereitstehendem, permanenten Operator des Partners, der nicht nur das Umsetzungskonzept, sondern auch die Mitarbeiter bereichsübergreifend auf dieser Reise begleitet. Gerade weil die Werte und Ziele beider Unternehmen gleichgerichtet sind, kann so bis heute gemeinsam an einer Kulturveränderung gearbeitet und alle weiteren Transformationsmaßnahmen des Mittelständlers nachhaltig befördert werden. Ein Ende der gemeinsamen Reise scheint zum Glück nicht in Sicht. Ein Gradmesser für den Erfolg sollen Kosteneinsparungen in Millionen-Höhe sein, die strukturell erreicht werden.

 

Teil des Wegweisers Mittelstand trifft Start-up

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