30.03.2021Interview

„Geschäftsmodelle auf eigene Zukunftsfähigkeit hinterfragen”

Die Corona-Pandemie bringt auch Unternehmen an die Grenzen ihrer Liquidität, die vor der Krise kerngesund waren. Der Sanierungsexperte Marc Ackermann spricht im DMB-Interview über die aktuelle finanzielle Lage von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), die Relevanz der fortlaufenden Hinterfragung des eigenen Geschäftsmodells und erklärt, warum finanzielle Transparenz so wichtig für Unternehmen ist.

Unterschied Restrukturierung und Sanierung:
Mit Restrukturierung wird eine kontinuierliche Neu-Ausrichtung eines Unternehmenskonzepts bezeichnet, wohingegen die Sanierung auf Sofortmaßnahmen abzielt. Der Übergang ist fließend.

 

DMB: Herr Ackermann, Sie sind Mitglied im Vorstand der KMU-Berater und stehen in Kontakt mit vielen Unternehmern. Wie schätzen Sie die finanzielle Lage von mittelständischen Unternehmen aktuell ein? Droht eine baldige hohe Insolvenzwelle?

Ackermann: Generell kann ich den in der Presse wiederzufindenden Eindruck bestätigen, dass sich Unternehmensinsolvenzen aktuell auf einem tendenziell niedrigen Niveau bewegen. Dies hat unter anderem auch „technische“ Gründe, da neben der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht die Möglichkeit von Fremdanträgen, die in Krisenfällen häufig von Krankenkassen oder auch dem Finanzamt genutzt wurde, seitens des Gesetzgebers zeitweise in 2020 ausgesetzt war. Aktuell werden auch Stundungsanträge zu Sozialabgaben oder auch Steuerzahlungen in vielen Fällen unbürokratisch durchgewunken. Mithilfe der Wirtschaftshilfen des Staates konnte zusätzlich Liquidität ausgeschüttet werden. Besonders die KfW-Schnellkredite wurden in hohem Maße von Unternehmen in Anspruch genommen.

Aus meiner Sicht besteht jetzt die große Herausforderung darin, die aktuell für viele Unternehmen schwierige Phase, aber auch den gewonnenen Liquiditätsspielraum zu nutzen. Das eigene Geschäftsmodell sollte grundlegend auf den Prüfstand gestellt und hinsichtlich seiner Zukunftsfähigkeit hinterfragt werden. Mit Einsetzen der Tilgungsverpflichtungen für die zusätzlichen Hilfskredite wird sich zeigen, welche Unternehmen zukunftsfähig aufgestellt sind. In diesem Zusammenhang gehe ich auch von einer kurz- bis mittelfristigen Insolvenzwelle aus, die vermutlich eher flach verlaufen wird, dafür aber länger auf hohem Niveau stabil bleibt. Die KfW wird zur Vermeidung einer hohen Insolvenzwelle über Zugeständnisse in Form von Tilgungsstreckungen und -aussetzungen nachdenken müssen. Jedoch sollten Unternehmer meiner Meinung nach nicht auf diese Zugeständnisse bauen, sondern ihre unternehmerischen Hausaufgaben im eigenen Interesse zielgerichtet und – falls erforderlich – auch mit externer Begleitung angehen.

Sie sprachen die Hinterfragung des eigenen Geschäftsmodells an. Für welche Unternehmen kann ein Sanierungsprozess sinnvoll sein?

Eine Sanierung wird als Prozess zur Wiedererlangung einer nachhaltig positiven Ertragskraft definiert. Als Folge können Unternehmen auch gegenüber den beteiligten Finanzierungspartnern die vereinbarten Kapitaldienste erbringen.

Besonders Unternehmen, die auch schon vor der Pandemie eine schwierige Geschäftsentwicklung hatten, sollten sich bewusst mit der Überprüfung des eigenen Geschäftsmodells auseinandersetzen. Aber auch Unternehmen, die durch die Pandemie in Schwierigkeiten geraten sind, sollten sich darüber im Klaren sein, dass die aktuelle Krise uns allen neue Wege und Möglichkeiten eröffnet hat, die mindestens mittelbar auch das Verhalten und die Bedürfnisse von Kunden verändern werden. Dies gilt es bereits heute bestmöglich zu antizipieren, um sich damit auf den Restart vorzubereiten.

Entscheidend ist, heute zu prüfen, ob künftig mit Einsetzen der Kapitaldienste die Liquidität ausreichend ist. Dabei sollten Unternehmen in verschiedenen Szenarien planen. Somit kann ein Unternehmen schon jetzt die notwendigen Schritte einleiten, bevor es zu einer auch für Dritte spürbaren Notlage kommt. Aus meiner Beratungserfahrung weiß ich, dass Früherkennung und hiervon ausgehend die schnelle Einleitung von Gegenmaßnahmen entscheidend ist.

Können Sie bitte grob den Prozess einer Sanierung umschreiben?

Dreh- und Angelpunkt jeder unternehmerischen Tätigkeit sollte eine fundierte Unternehmensplanung sein. Nur dann kann durch regelmäßige Soll-Ist-Vergleiche erkannt werden, ob Ziele erreichbar sind und wo es noch Nachsteuerungsbedarf gibt. Interessanterweise herrscht in der Praxis, gerade bei KMU und Familienunternehmen, große Verunsicherung, wie sich eine fundierte und belastbare Unternehmensplanung zusammensetzt.

Aus meinen praktischen Erfahrungen kann ich sagen, dass sowohl die Rechtsprechung als auch die gängigen Standards für die Erstellung von Sanierungskonzepten auf eine sogenannte integrierte Unternehmensplanung abzielen. Damit ist ein in sich geschlossenes Rechenmodell gemeint, das als Output Gewinn- und Verlustrechnungen sowie auch Bilanz- und Liquiditätspläne für den betrachteten Zeitraum hervorbringt. Diese Berechnungen werden auf Monatsebene erarbeitet. Gepaart mit einer fundierten Analyse der finanziellen Historie des Unternehmens stellt dieses Rechenmodell den Kern aller weiteren Überlegungen zur Zukunft und Zukunftsfähigkeit des Unternehmens dar.

Wenn ich mit unseren Mandanten die Umsatzplanung angehe, betrachten und hinterfragen wir gemeinsam sowohl Produkte und Produktgruppen, clustern aktuelle und künftige Kunden, analysieren die Preissetzung und fassen dies im erwarteten Umsatzpotenzial zusammen.

Hiervon ausgehend arbeiten wir uns sukzessiv durch die Gliederung der Gewinn- und Verlustrechnung, passen den Material-, aber auch den Personaleinsatz an die hinterlegten Umsatzvolumina an, planen die Sachkosten und leiten aus einer gesonderten Finanzplanung die relevanten Finanzierungskosten für das Unternehmen her. An diversen Stellen müssen wir dabei in die Bilanz- bzw. Bestandsplanung „abbiegen“, beispielsweise wenn Auf- oder Abbauten im Lagerbereich notwendig sind oder das Unternehmen in Gebäude, Maschinen oder sonstiges Anlagevermögen investieren will.

In Restrukturierungs- und Sanierungsphasen finden wir häufig nicht kostendeckende Produktkalkulationen oder aber auch eine generelle Unterauslastung bei zu geringen Absatzzahlen vor. In diesen Situationen werden dann gemeinsam mit dem Unternehmen Maßnahmen erarbeitet, die genau diese Problemherde angreifen. Das Rechenmodell zeigt uns, ob die definierten Maßnahmen den gewünschten Erfolg, die Wiedererlangung der positiven Ertragskraft, hervorbringen.

Die Corona-Pandemie hat nochmals verdeutlicht, wie wichtig eine rechnerische Betrachtung von Szenarien ist. Finanzierungspartner wollen nicht nur den Liquiditätsbedarf im Best-Case kennen, sondern auch eine Vorstellung zur Schwankungsbreite der Liquidität nach unten erhalten.

Existieren Förderprogramme, die Unternehmen bei der Sanierung helfen können? Wenn ja, wie hilfreich können diese Programme sein?

Unternehmen, die sich in schwierigen Situationen befinden, kann eine Förderung den Einstieg in eine Beratung erleichtern. Bundesweit kann zum Beispiel eine Beratungsförderung der BAFA  zur Förderung von „unternehmerischen Know-hows“ in Anspruch genommen werden, auf Landesebene existieren aber auch andere Angebote, beispielsweise zur Krisenberatung. Dabei sollte am Anfang geklärt werden, ob ein Unternehmen trotz Corona im Kern gesund ist oder eine existenzbedrohende Schieflage besteht bzw. droht.

Im Regelfall wird aber, wenn das Unternehmen eine echte Restrukturierung benötigt, ein wesentlicher Teil der Beratungskosten eigenfinanziert sein. Gegebenenfalls kann die Hausbank dabei unterstützen. Kreditprogramme für Unternehmen in Schwierigkeiten existieren kaum mit Ausnahme der KfW-Schnellkredite, wobei für die Beantragung nicht die aktuelle Situation entscheidend ist, sondern ob das Unternehmen am 31.12.2019 vor der Corona-Pandemie in Schwierigkeiten war.

Aus meiner Erfahrung ist die Hinzuziehung ausgewiesener Experten für die entsprechenden Fragestellungen viel wichtiger als eine Förderung der Beratungskosten. Das ist auch das Hauptaugenmerk in unserem Verband. Es sollten nur Experten mit zertifizierter Fachberaterausbildung oder anderweitig belegbarer Spezialisierung für die im Fokus stehenden Fragestellungen hinzugezogen werden.

Können alternative Finanzierungen wie zum Beispiel Leasing, Factoring, Crowdfunding in diesen schwierigen Phasen helfen?

Unabhängig von der gewählten bzw. zu akquirierenden Finanzierungsform wird ein Grundvertrauen in die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens als Kreditnehmer benötigt. Die hierfür notwendige Transparenz zum Status quo sowie zur zukünftigen Entwicklung ist eine regelmäßig – spätestens zusammen mit uns als externe Berater – leistbare Aufgabe. Sie wird in vielen Krisenfällen auch ausdrücklich von Banken in Form sogenannter Sanierungskonzepte bzw. -gutachten eingefordert.

In schwierigeren Unternehmensphasen bekommen alternative Finanzierungen aus meiner Erfahrung heraus besondere Relevanz. Leasing, Factoring, aber auch zum Beispiel Möglichkeiten der Einkaufsfinanzierung haben einen Vorteil: Sie stellen das zu finanzierende Objekt stärker in den Vordergrund und die eigentliche Bonität des Kreditnehmers rückt ein Stück in den Hintergrund. Weiterhin können auch auf Restrukturierung ausgerichtete Spezialfinanzierer oder Finanzierungsplattformen mit dahinterstehenden Investorenmodellen interessant sein. Hier findet sich – natürlich gegen spürbare höhere und dem Risiko gerecht werdende Finanzierungskonditionen – eine tendenziell höhere Bereitschaft zur Risikoübernahme.

Mit einem sauber herausgearbeiteten Konzept, in dem erkenntlich wird, wie der Turnaround gelingen kann, können bereits involvierte Banken und Sparkassen ihre Kunden in schwierigen Phasen besser und mit den notwendigen Mitteln unterstützen. Letztendlich ist die gelungene Restrukturierung eine Win-win-Situation für alle Beteiligten. Dies setzt aber voraus, dass im Vorfeld das bestehende Vertrauensverhältnis nicht gestört wurde und wird. Sobald intern die Transparenz zur aktuellen Situation hergestellt ist, gilt es, auch die Finanzierungspartner schnellstmöglich ins Boot zu holen.

 

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Ackermann!

 

Teil 5 der Beitragsserie Liquidität sichern - alternative Finanzierungen

 

 

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