31.08.2021Interview

"Klare Priorität: Die Unterstützung des Mittelstands!"

Im Rahmen der Bundestagswahl beantwortet Claudia Müller die Fragen des DMB: Wir wollten von ihr wissen, welchen Mittelstands-Kurs ihre Partei in einer künftigen Regierung einschlagen will.

Bitte stellen Sie sich kurz vor und skizzieren Ihren Weg in die Mittelstandspolitik. Warum ist das Thema für Sie wichtig?

Mein Name ist Claudia Müller und ich bin seit 2017 als die Abgeordnete von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für Mecklenburg-Vorpommern im Bundestag. Ich bin Mittelstandsbeauftragte, Sprecherin für maritime Wirtschaft und Sprecherin der Landesgruppe Ost. Schon während meines Studiums war ich als Selbstständige in der Reisebranche tätig.  Als Landesvorsitzende der Bündnisgrünen hatte ich dann später Verantwortung für Angestellte. Von daher ist mir das Thema Bürokratie sehr gut bekannt und unternehmerisches Denken vertraut. Da in Mecklenburg-Vorpommern die große Mehrheit der Unternehmen eher klein ist, hatte ich schon immer den Mittelstand besonders im Blick. Und natürlich habe ich aus meiner eigenen Geschichte heraus einen besonderen Blick für die Selbstständigen.

Wie schätzen Sie den Stellenwert der Mittelstandspolitik in der eigenen Partei ein?

Wir Grünen haben uns schon immer als Partei der kleinen und mittelständischen Unternehmen verstanden – die Energiewende zum Beispiel war zu Beginn eine Graswurzelbewegung gegen die vier übermächtigen Energiekonzerne. Diese Verbundenheit mit kleinen und kleinsten Unternehmen, die auch den Ärger über unfaire Wettbewerbsbedingungen umfasst, haben wir weiterhin. Im Gegensatz zu anderen Parteien denken Grüne bei dem Wort Mittelstand nicht vor allem an Unternehmen, die eigentlich per Definition nicht mehr als KMU zählen, sondern vor allem an die kleineren, die ja weit über 90% aller Unternehmen in Deutschland ausmachen. Und das ist auch richtig so, denn Aufwand durch neue Regelungen betreffen kleine Unternehmen ohne eigene Verwaltungsabteilung selbstverständlich viel stärker. Für mehr Klimaschutz ist es deshalb das A und O kleine Unternehmen mitzunehmen und so zu unterstützen, dass der Umbau der Wirtschaft eine neue Chance für Wohlstand und Unternehmen bietet.

Wie bewerten Sie rückblickend die Mittelstandspolitik der 19. Legislaturperiode?

Die Mittelstandspolitik der 19. Legislatur war mutlos und zu wenig ehrgeizig. Es wurde zu vieles verschoben und nicht angepackt. So stellte die schwarz-rote Koalition zum eigenen Bürokratieabbaugesetz einen Antrag, der gleich ein Folgegesetz anstoßen soll, statt einen umfassenden guten Vorschlag vorzulegen! Das ließ natürlich tief blicken. Das Wirtschaftsministerium ließ außerdem Verbänden und Interessengruppen oft nur extrem kurze Fristen, um sich zu beteiligen – wertvolle Rückmeldungen gingen so verloren oder wurden per Hau-Ruck-Verfahren in letzter Minute eingebracht. Auch bei den Coronahilfen wurden Unternehmen sehr undifferenziert behandelt, viele Selbstständige wurden durch lebensfremde Vorgaben von dringend nötiger Unterstützung ausgeschlossen. Insbesondere Minister Scholz sperrte sich gegen einen Unternehmerlohn – stattdessen mussten Unternehmer*innen zum Jobcenter gehen! Die Bitten aller Länder und unsere Aufforderung, das zu ändern, wurden ignoriert. In Baden-Württemberg zahlt die grün-schwarze Koalition dagegen aus eigenen Landesmitteln von Anfang bis heute einen Unternehmerlohn.

Welche mittelstandspolitischen Prioritäten würden Sie für die kommende Legislaturperiode setzen?

Die Unterstützung des Mittelstandes bei der Neuaufstellung nach Corona und für den Klimaschutz ist unsere klare Priorität. Dafür wollen wir massiv investieren, damit es für alle KMUs gelingen kann, die Umstellungskosten zu schultern. Es braucht den richtigen Mix aus Förderung für den Umbau, klaren Vorgaben wie z.B. keine Neuzulassung von Autos mit Verbrennermotoren ab  2030 oder Recyclingquoten und zusätzlich eine Preisgefüge, welches klimaschädliche Emissionen benachteiligt und  klimafreundlichen Strom bevorteilt. Außerdem braucht es Maßnahmen, damit ausländische Unternehmen mit weniger umweltfreundlichen Produkten keinen Wettbewerbsvorteil erhalten. Zusätzlich werden wir die Digitalisierung und den Bürokratieabbau fördern. Dafür braucht es mehr Personal, eine stärkere Serviceorientierung in der Verwaltung und eine bessere Einbindung von Unternehmen. Gegen den Fachkräftemangel stärken wir Aus- und Weiterbildung und führen ein effizientes Einwanderungsgesetz ein.

Stellen wir uns vor, die Grünen sind an einer künftigen Regierung beteiligt. Welche Maßnahme sollte als aller Erstes umgesetzt werden, um KMU zu entlasten?

Die Absenkung des Strompreises zusammen mit der Einführung eines Pfades für den CO2-Preis hat für uns allerhöchste Priorität. Dazu braucht es eine schnelle und zeitlich begrenzte degressive AfA für KMU, damit sich Investitionen schneller lohnen. Auch die Erweiterung des Verlustrücktrages auf 4 Jahre wird vor allem kleinen Unternehmen aus der Coronakrise heraushelfen. Mindestens genauso wichtig wird aber der Impuls sein, einem klaren Pfad für den Klimaschutz aufzuzeigen, damit endlich die Investitionszurückhaltung beendet wird. Denn aktuell verschiebt die schwarz-rote Koalition ja alle Klimaschutzmaßnahmen hinter die Wahl…

Bleiben wir in diesem Gedankenspiel. Die deutsche Förderlandschaft ist für KMU unübersichtlich, die Antragsstellung oft kompliziert. Wollen Sie hier Veränderungen vornehmen? Und welche Förderprogramme bzw. -schwerpunkte halten Sie für besonders wichtig?

Ja, Veränderungen sind hier dringend notwendig. Es gibt viele gute und wichtige Programme, wie das ZIM. Bei allen Programmen gilt es Umstellungen auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz noch stärker zu fördern. Außerdem müssen die Bedingungen und Eigenbeteiligungen für Unternehmen und Kommunen z.B. in strukturschwachen Regionen heruntergesetzt werden. Den Bereich Kreislaufwirtschaft wollen wir massiv ausbauen, damit ein Systemwechsel zu weniger Müll und mehr Rohstoffen möglich wird. Ich finde es zusätzlich wichtig, eine klare Investitionsbotschaft über mindestens 10 Jahre hinweg zu geben, damit Unternehmen planen können und wissen, dass sich ihre Investitionen lohnen und sich ihr Umfeld weiterhin stabil entwickeln wird.

Die Zukunftsfähigkeit des Mittelstandes ist eng mit dem Innovations- und Digitalisierungsniveau von Unternehmen verknüpft. Wie können KMU zielgerichtet dabei unterstützt werden? 

Um auch kleinen Unternehmen eine sichere Digitalisierung zu ermöglichen wollen wir KMU durch ein unabhängiges Beraternetzwerk unterstützen, sowie Zertifizierungen für IT-Sicherheit vorantreiben. Die Mittelstand 4.0-Kompetenzzentren sollen finanziell und personell ausgebaut werden, und passgenaue Beratungen sollen auch über längere Zeiträume hinweg gefördert werden. Investitionen für die Zukunftsfähigkeit und Digitalisierung der Unternehmen sollen KMU viel schneller abschreiben können. Außerdem brauchen besonders kleine Unternehmen im digitalen Verkaufsgeschäft gleiche Chancen wie die Großen. Deshalb sollen der Zugang und die Nutzung von großen, marktbeherrschenden Plattformen durch Kartellbehörden leichter überprüft und sanktioniert werden können. Und natürlich braucht es dafür das was leider immer noch vielerorts fehlt: ein schnelles und funktionierendes Internet! Dafür wollen wir einen Rechtsanspruch einführen, auf Grundlage der Bandbreite, die heute schon überwiegend genutzt wird.

Unternehmertum muss für junge Menschen attraktiver werden. Wie können Gründungswillige besser gefördert werden?

Hierfür braucht es einen Mix an Maßnahmen: Neben einem besseren Ansehen fürs Unternehmertum und auch mehr Bildung zum Thema Wirtschaft braucht es deutliche Vereinfachungen und Bürokratieabbau. Viel zu viele Gründer*innen sagen heutzutage noch, dass der Aufwand so hoch war, dass sie nicht nochmal gründen würden. Das muss sich ändern. Gleichzeitig wollen wir Gründer*innen und Nachfolger*innen Mut machen und sie besser absichern, indem der Zugang zu Arbeitslosen-, Renten- und Krankenversicherung einfacher und besser finanzierbar wird. Die Arbeitslosenversicherung soll dabei zur Arbeitsversicherung weiterentwickelt werden, die auch Weiterbildungen fördert. Und letztlich wollen wir die Finanzierung verbessern, indem mehr Wagniskapital aktiviert wird, auch und insbesondere für Frauen, z.B mit einem speziellen Wagniskapitalfonds. Zusätzlich soll es ein Gründungskapital von bis zu 25.000 Euro geben, damit keine gute Idee und kein Neustart an zu wenig Eigenkapital scheitert.

 

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Müller! 

 

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