21.06.2021Interview

"Unterm Strich ist es günstiger, in Prävention zu investieren"

Motivierte und leistungsstarke Mitarbeiter*innen – warum psychologische Aspekte im Arbeitskontext wichtig sind.

Die Arbeitswelt befindet sich im Wandel:  Digitalisierung, Automatisierung, neue Führungs- und Arbeitsmodelle verändern den Arbeitsalltag nachhaltig. Das flexible Arbeiten von zu Hause erfährt in der Pandemie einen regelrechten Boom. Doch neben den Vorteilen ergeben sich auch neue Belastungen und Herausforderungen für Arbeitnehmer*innen und Führungskräfte. DMB-Mitglied Sarah Steiner erzählt im Interview, warum psychologische Aspekte im Arbeitskontext immer wichtiger werden.

DMB: Guten Tag Frau Steiner, wir sprechen heute über motivierte und leistungsstarke Mitarbeiter*innen und über psychische Belastungen am Arbeitsplatz. Genau Ihr Themengebiet!

Steiner: Das stimmt! Hallo auch von meiner Seite. Mein Name ist Sarah Steiner, ich bin Inhaberin der Sarah Steiner Coaching Company und arbeite als psychologische Beraterin spezialisiert auf Burnout- und Stressprävention.

Es gibt eine unsichtbare Hürde, welche die Leistungsfähigkeit und Innovationskraft in Unternehmen hemmt und das ist das Mindset jedes einzelnen Beschäftigten. Das bedeutet, auch wenn eine Organisation ihren Beschäftigten einen digitalisierten Arbeitsplatz zur Verfügung stellt, einen Empowerment-orientierten Führungsstil[1] lebt und weitere Corporate Health Maßnahmen einführt, ist das kein Garant für Motivation, Leistungsstärke und Innovationskraft. Negative Glaubenssätze, Ängste und ungünstige Verhaltensmuster beeinflussen das persönliche Mindset und können dennoch zu Fehlzeiten, Leistungsabfällen etc. führen.

Mein Unternehmen unterstützt aus dieser Situation heraus Organisationen bei der Gestaltung guter Arbeitswelten und begleitet Beschäftigte als wertneutrale Anlaufstelle bei persönlichen Themen, welche die Leistungsstärke und das Wohlbefinden hemmen, um wieder motiviert und zufriedenen im (Arbeits-)Alltag durchzustarten.

Einer Ihrer Schwerpunkte liegt in der Burnout-Prävention. Was versteht man eigentlich unter einem Burnout?

Ein Burnout ist keine offiziell anerkannte Krankheit. Man kann Burnout stattdessen als Risikozustand definieren. Menschen, die sich in einem Burnout befinden, sind meist überfordert und erschöpft, was schlimmstenfalls so weit geht, dass man zu überhaupt nichts mehr fähig ist. Ein Burnout ist ein schleichender Prozess, der sich über Jahre aufbauen kann.  Man kann über Situationen oder zwischenmenschlichen Beziehungen ausbrennen. Förderlich für Burnout ist aber auch, wenn wir Situationen und Umstände ungünstig bewerten – und das hat etwas mit folgenden Faktoren zu tun. Die innere Einstellung sowie die Vorerfahrungen, die wir gemacht haben. Natürlich auch frühkindlichen Prägungen und unseren eigenen Glaubenssätzen. Hinzu kommen Faktoren wie die Anforderungen, die wir ans uns selbst stellen sowie die Lebensvorstellung, die wir haben.

Wie grenzt sich ein Burnout denn konkret von einer Depression ab?

Eine genaue Abgrenzung ist tatsächlich schwierig. Grundsätzlich kann man aber sagen, dass die Depression alle Lebensbereiche betrifft, während sich der Risikozustand Burnout auf einen Lebensbereich konzentriert. Das bedeutet, dass sich ein von Burnout Betroffener meistens nach etwas Konkretem sehnt, dass er verändern möchte, es aber nicht schafft. Ein depressiver Mensch ist hingegen grundsätzlich antriebslos. Symptome, die sich bei beiden Zuständen ähneln, sind z.B. Antriebslosigkeit, Müdigkeit, soziale Isolation und gedrückte Stimmung.

Von Burnout wird insbesondere im beruflichen Kontext gesprochen?

Klar, man findet ganz häufig die Ursachen in der Arbeitswelt. Es wäre aber falsch anzunehmen, dass Burnout nur vom Arbeitsstress kommt. Das persönliche Mindset ist ein wichtiger Aspekt, was die Bewertung von Situationen und Umständen zeigt.

Man kann auch außerhalb des beruflichen Kontextes in den Risikozustand Burnout kommen. Gerne gebe ich Ihnen ein Beispiel, wie schwer es ist die Ursache richtig zuzuordnen:

Eine Klientin, Mitte 30 und berufstätig, Führungskraft in einer Sandwich-Position, hatte aufgrund von scheinbar beruflichen Belastungen, die sich in Stress- und Druckempfinden äußerten, an einem Stressmanagement-Kurs teilgenommen. Doch auch ein halbes Jahr nach dem Kurs hatte sich keine Verbesserung eingestellt. Nach mehreren Gesprächen stellte sich heraus, dass die Ursache für den empfundenen Druck und Stress gar nicht durch die Arbeit entstanden war, sondern durch ihr soziales Umfeld. In ihrem Freundeskreis gab es viele junge Mütter, so dass bei ihr ein innerer Druck entstanden war. Sie stand vor den Fragen, ob man als Berufstätige eine gute Mutter ist, ob sie sich zwischen Karriere und Beruf entscheiden muss, wann der richtige Zeitpunkt ist, um nichts zu bereuen. Diesen Druck hatte sie auf ihre Arbeitswelt übertragen. Für sie war ein Perspektivwechsel und ein objektiver Blick hilfreich, der die Fragen beantwortete, ob dieser Druck gerechtfertigt ist und die Denkmuster stimmen.

Die Ursachen für einen Burnout sind also nicht immer von vorneherein klar zu erkennen. Natürlich wissen einige Menschen, die an diesem Erschöpfungszustand leiden, woher er kommt. Aber viele Menschen wissen es eben auch nicht und schildern nur die bereits genannten Symptome. Man muss also häufig die Ursachen erforschen.

Die Ursachen für einen Burnout können also sehr unterschiedlich sein. Wie sieht es mit dem Verlauf von einem Burnout aus? Gibt es typische Verlaufsmuster? 

Es gibt nicht den einen typischen Verlauf. Das liegt daran, dass wir alle Individuen sind, jeder seine eigenen Erfahrungen mitbringt und auch jeder Mensch unterschiedlich ist. Es gibt Menschen, die zwar nach außen sehr fröhlich und teilweise aufgedreht wirken, denen es aber eigentlich schlecht geht. Andere zeigen ihre Gefühle offen nach außen.

Fakt ist, dass ein Burnout sehr hinterlistig ist. Man merkt ihn unter Umständen erst einmal gar nicht. Im beruflichen Kontext gibt es Menschen, die gerade in der ersten Phase sehr motiviert und leistungsfähig sind, ganz nach dem Motto „Sky is not the limit“. Stück für Stück verausgabt man sich und fängt an, bestimmte Lebensbereiche zu vernachlässigen und irgendwann kommt der Wendepunkt. Man brennt aus und weiß: Das ist nicht gesund, was man macht.

Gibt es Frühwarnzeichen für einen Burnout? Worauf sollten zum Beispiel Führungskräfte und Arbeitskollegen achten? 

Das ist eine gute Frage. Man sollte auf Veränderungen achten. Betroffene Personen werden unzuverlässiger, nehmen sich öfter einen Krankenschein, die Persönlichkeit kann sich verändern, manche reagieren sehr gereizt, manche sind antriebslos bzw. weniger motiviert.

Welche präventiven Maßnahmen sollten Unternehmer*innen umsetzen, um Burnout bei den Mitarbeiter*innen zu verhindern?

Den Anspruch, einen Burnout zu verhindern, halte ich für zu ambitioniert. Ob Menschen in diesen Risikozustand gelangen, hat auch viel mit der Person selbst zu tun. Man selbst muss lernen, wie man für sich gesund mit Situationen umgeht. Und mit Situationen meine ich Konflikte, Stress, Leistungsdruck. Das ist ein persönliches Wissen über einen selbst.

Unternehmen können aber natürlich auch dazu beitragen. Das gelingt zum Beispiel durch einen Empowerment-orientierten Führungsstil. Zudem hat man als Unternehmer*in eine Vorbildfunktion inne. Heißt also, wenn ich als Führungskraft am späten Freitagabend noch E-Mails schreibe und erwarte, dass meine Beschäftigten direkt reagieren, übe ich dauerhaft Druck aus. Dann kann ich nicht erwarten, dass meine Beschäftigten entspannt ins Wochenende starten. Was die Führungskraft vorlebt, überträgt sich automatisch auch auf das Team.

Ein wichtiges Thema ist auch die Vertrauenskultur. Wenn ich nah an meinen Beschäftigten bin, erkenne ich Veränderungen schneller. In größeren Unternehmen ist es schwierig, jeden einzelnen im Blick zu haben. Hier kann man Prävention betreiben, indem man eine Vertrauenskultur innerhalb der Belegschaft schafft, in der kein Platz für Stigmatisierung von solchen Erschöpfungszuständen ist.

Führungskräfte, die ich kennenlernen durfte, sind sehr bemüht, nah an ihren Beschäftigten zu sein und können auch bei den meisten Themen Abhilfe schaffen. Sobald jedoch erkennbar ist, dass die Ursache das Mindset des Betroffenen ist, sollten Führungskräfte ein professionelles Instrument für die Mitarbeitergesundheit anbieten. Schon allein deshalb, weil sich der Leistungsabfall nicht nur auf die betroffene Person, sondern schlimmstenfalls auf die gesamte Belegschaft auswirkt - wie ein Domino-Effekt.

Stichwort: Homeoffice. Welche Belastungen nehmen Sie derzeit bei Ihren Klient*innen besonders häufig wahr? 

In den Gesprächen mit meinen Klient*innen merkt man schon sehr deutlich, dass das Thema Homeoffice im Fokus steht. Wobei es sich genau genommen weniger um das Homeoffice selbst dreht, sondern mehr um das Thema Social Distancing. Ich spreche beispielsweise mit Klient*innen, die alleine leben, Single sind und über zusätzliche Belastungen durch die Kontaktbeschränkungen klagen. Aber natürlich sind nicht ausschließlich Singles von diesem Thema betroffen.

Weitere Fragen, die sich durch Homeoffice ergeben sind: „Kann ich noch Karriere machen, wenn ich nicht mehr so sichtbar bin? Wie kann ich sicherstellen, dass mein Chef sieht, dass ich trotz physischer Distanz meine Arbeit weiterhin gut erledige? Auch die Frage nach Wertschätzung ist ein ganz wesentliches Thema. Vor allem weil die gewohnten Strukturen und der alltägliche Kontakt fehlen.

Ein weiterer Punkt ist der Umgang mit dem persönlichen Arbeitspensum. Ich höre immer wieder, dass der Druck über die Distanz für viele Menschen zunimmt, mehr Arbeit leisten zu müssen. Klient*innen sprechen davon, die Arbeit nicht loslassen zu können. Im Homeoffice stimmt die Work-Life-Balance oftmals nicht mehr richtig und muss neu erlernt werden.  

Haben Sie Handlungsempfehlungen für Verhaltensweisen im Social Distancing?

In Bezug auf die Pandemie wird zum Glück derzeit viel gelockert. Ich erlebe da eine gewisse Entspannung. Wenn man aber davon ausgeht, dass Unternehmen grundsätzlich weiterhin auf Hybrid-Modelle oder Homeoffice setzen, wird das gemeinsame Mittagessen, After-Work-Drinks oder der Plausch an der Kaffeemaschine eine andere Bedeutung bekommen. Social Distancing haben Beschäftigte ein Stück weit selbst in der Hand, denn man könnte sich, vorausgesetzt es besteht keine Fünf-Tage-Woche im Homeoffice, an den Tagen treffen, in denen man im Büro ist.

Eigentlich gibt es Social Distancing auch nicht erst seit Corona. Ich erlebe häufig, dass sich feste Gruppen bilden, aber das Kennenlernen weiterer Kolleg*innen nicht gefördert wird, was gerade im Hinblick auf Arbeiten in Netzwerken und dem Wissensaustausch ein echter Mehrwert ist. Auf Unternehmerseite sollte es daher mehr Formate geben, die es den Beschäftigten auch möglich machen, innerhalb des Unternehmens das Netz an sozialen Kontakten so groß wie möglich zu spannen.

Psychische Belastungen am Arbeitsplatz haben also auch eine wirtschaftliche Dimension?

Ja, eine erhebliche sogar. Fakt ist, dass jährlich Schäden in Milliardenhöhe entstehen. Es gibt zum Beispiel den DAK-Gesundheitsreport 2020, bei der eine Befragung unter den 2,4 Millionen Mitgliedern durchgeführt wurde. Es hat sich gezeigt, dass Beschäftigte, die im Bereich der personenbezogenen Dienstleistungen arbeiten, speziellen Belastungsfaktoren unterliegen, die aus der zwischenmenschlichen Interaktion entstehen. Diese Branchen haben deutlich öfter mit Fehltagen aufgrund psychischer Belastungen zu kämpfen.

Psychische Erkrankungen gehören heute zu den häufigsten und auch zu den kostenintensivsten Erkrankungen. Unter dem Strich ist es also deutlich günstiger, in Prävention zu investieren als untätig zu bleiben. So rechnen sich die Kosten für eine externe Mitarbeiterberatung zum Beispiel schnell.   

 

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Steiner!

 


[1]Anm. d. Redaktion: Bedeutet nach Spreizer (1995) gute Arbeit zu empfinden, wenn folgende vier Bewertungen der Arbeitsrolle bestehen: Selbstbestimmung, Bedeutsamkeit, Einfluss und Kompetenzerleben.

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