07.05.2022Fachbeitrag

Wettbewerbsvorteile durch Nachhaltigkeit

Um auch künftig wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen Nachhaltigkeit und Klimaschutz als strategische Ziele im Unternehmen verankert sein.

Auf dem Weg in eine klimaneutrale Wirtschaft werden nachhaltige Arbeits- und Produktionsprozesse zunehmend zu einer Frage der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit. Nachhaltigkeit darf allerdings kein bloßes Lippenbekenntnis sein, sondern muss in die Strategie eines Unternehmens integriert werden. Welche Nachhaltigkeitsstrategien kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) dafür zur Verfügung stehen, erklärt dieser Fachbeitrag.

Veränderte Kunden- und Mitarbeitererwartungen, verschärfte Regularien und steigender Druck von Geldgebern beeinflussen seit geraumer Zeit das unternehmerische Handeln und lassen viele Geschäftsführer rätseln, wie sie ihr Unternehmen klimaverträglicher führen können. Spätestens durch die Verabschiedung der 17 UN-Nachhaltigkeitsziele ist der Bewusstseinswandel hin zu nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen sowohl im privaten Umfeld als auch in der deutschen Wirtschaft angekommen. Laut dem aktuellen IPCC Report müssen wir bis in das Jahr 2030 unsere Treibhausgasemissionen halbieren, um das 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen[1]. Zudem achten bereits 50% der Verbraucher auf die soziale und ökologische Verantwortung des Herstellers beim Einkauf von Produkten (Bundschuh et al. 2018) und Investoren erhöhen den Druck nachhaltige Investments zu tätigen. Es stellt sich die Frage, warum Unternehmen diesen absehbaren Wandel bisher nur bedingt vorangetrieben haben? Hier spielen mehrere Faktoren zusammen, die eine klimafreundliche Unternehmensveränderung bremsen. In vielen Fällen fehlt schlichtweg die Expertise nachhaltiger Möglichkeiten und deren positiven Auswirkungen und Nutzen für das Unternehmen (WirtschaftsWoche 2016). Sekundäre Effekte wie eine höhere Mitarbeiterzufriedenheit, die unternehmerische Innovationskraft sowie die verbesserte Wahrnehmung in der Öffentlichkeit lassen sich nur schwer quantifizieren und sind daher durch innovative Ansätze im Business Case zu berücksichtigen.

Um als Unternehmen auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu sein, dürfen Nachhaltigkeit und Klimaschutz nicht mehr als einfaches Lippenbekenntnis verstanden werden, sondern müssen als strategisches Ziel im Unternehmen verankert werden. Dazu bieten vier grundlegende Nachhaltigkeitsstrategien anhand bereits etablierter Modelle und Unternehmen einen Ausgangspunkt.

Die Nachhaltigkeitsstrategien im Überblick

Der Strategieansatz des FIR an der RWTH Aachen verbindet die externe Sichtweise des Market-Based-View (MBV) aus der strategischen Positionierung von Porter (2004) mit der internen Sichtweise des Resource-Based-View (RBV) (Barney 1991). Nach Porter wird ein Wettbewerbsvorteil erreicht, indem sich entweder die Funktionsweise oder die Kosten eines Produkts gegenüber der Konkurrenz absetzen kann. Nach dem RBV entstehen Wettbewerbsvorteile aus den Fähigkeiten eines Unternehmens, Ressourcen zu erwerben und zu verwalten. Damit ergeben sich aus Porters Ansatz die Wettbewerbsvorteile „Differenzierung“ und „Kostenführerschaft“ und aus dem RBV “organisationsinterne Stellhebel“ und „Leistungsangebot“.

Daran angelehnt haben wir vier Nachhaltigkeitsstrategien identifiziert: Ökologische Effizienz, ökologische Organisation, ökologische Kostenführerschaft und ökologisches Produktportfolio.

 

Abbildung: Positionierungsmatrix der Nachhaltigkeitsstrategien

Ökologische Effizienz

Die ökologische Effizienz beschreibt eine verlustfreie Gestaltung von Wertschöpfungsnetzwerk und eigener Produktion. Der Wettbewerbsvorteil wird durch die interne Effizienz und damit niedrige Produktionskosten erarbeitet. Eine strategische Differenzierung durch Ressourceneffizienz gestaltet sich am Markt als jedoch schwierig, da eine jahrelange Ausrichtung auf die Economies of Scale (Kostenvorteile aufgrund hoher Produktionskapazitäten und geringer Stückkosten)Überkapazitäten gefördert hat. Die Economies of Flow (Kostenvorteile durch eine bedarfsgerechte und flexible Produktion) bilden einen Ausweg, indem durch Produkte bedarfsgerecht am richtigen Ort zur richtigen Zeit produziert werden. Ein Best-Practice-Beispiel dazu liefert Henkel. Mithilfe von Maßnahmen, die aus der Industrie 4.0 bekannt sind, konnte die  Produktionseffizienz um 30% zwischen 2010 und 2020 gesteigert werden (Boer et al. 2020). Henkel garantiert dabei heute die Einhaltung von westlichen Arbeitsstandards durch die Differenzierung von effektiver und lokaler Beschaffung von Produkten in der Wertschöpfungskette.

Ökologische Organisation

Während in der Produktion die Effizienz konsequent gesteigert wird, bieten nachhaltige Investments die Möglichkeit, sich als ökologische Organisation im Markt zu positionieren. Der Wettbewerbsvorteil entsteht somit durch interne Differenzierungsmerkmale gegenüber der Konkurrenz. Dazu lassen sich organisationale Prozesse klimafreundlich gestalten (z. B. Reduktion der Papiernutzung) und interne Ressourcen ökologisch optimieren (z. B. klimaneutrale Energienutzung und Transformation zum klimaneutralen Unternehmen). Ein hohes Maß an Transparenz ist hierbei essenziell, beispielweise durch alternative Ansätze der gesellschaftsbezogenen Berichtserstattung (Diesche et al. 2019). Aixtron, deutscher Produzent von Maschinen zur Halbleiterproduktion, ist bereits seit 2019 ein klimaneutrales Unternehmen. Schlüssel in der Transformation war eine umfassende Datengrundlage der CO2-relevanten Aktivitäten, die von der Anzahl der Taxifahrten im Ausland bis zum Energieverbrauch der einzelnen Produktionsanlagen reichte. Dadurch konnten konkrete Maßnahmen identifiziert und ergriffen werden.

Ökologische Kostenführerschaft

Aus der externen Sicht des Leistungsangebots bildet die ökologische Kostenführerschaft einen Aspekt mit Wettbewerbsvorteil. Günstige und ökologische Produkte anzubieten, gilt als schwierige Herausforderung und lässt sich nicht einfach mit den Marktbedingungen vereinen. Hierbei bieten vor allem neue Technologien und Geschäftsmodelle die Möglichkeit, disruptive Veränderungen zu erwirken, wie es beispielsweise Anfang der 2000er Jahre dem VW-Konzern mit dem 3L Lupo gelungen ist. Die Umsetzung ist dabei eng an den technischen Fortschritt und die strategische Führung geknüpft. So richtet etwa der Versandhändler memo AG sein Sortiment nachhaltigen Büro- und Schulbedarfs gezielt auf nachhaltige Produkte aus, die im Preis-Leistungsverhältnis vergleichbar zu konventionellen Produkten agieren. Hierbei werden sowohl im internen Sortiment als auch im Hinblick auf die internen Beschaffungsprozesse, wesentliche Entscheidungen auf Basis ökonomischer, sozialer und ökologischer Gesichtspunkte getroffen.

Ökologisches Produktportfolio

Ein ökologisches Produktportfolio fokussiert die langfristig erfolgreiche und konsequente Ausrichtung auf nachhaltige Produkte. Dabei werden ökologische, nachhaltige und ressourcenschonende Produkte verkauft, die bisher Marktnischen besetzten. Der Lebensmittelhersteller Rügenwalder Mühle demonstriert dies seit dem Jahr 2014 eindrucksvoll mit der Erweiterung seines Produktportfolios um eine vegetarische Produktlinie. Nach einem rasanten Nachfrageanstieg machte das Familienunternehmen 2020 erstmals mit seinen veganen und vegetarischen Produkten mehr Umsatz als mit seinen Fleischhaltigen (Terpitz 2020). 

Den langfristigen Unternehmenserfolg sichern

Die beschriebenen vier Nachhaltigkeitsstrategien eröffnen die Chance, ein Unternehmen strategisch hinsichtlich ökologischer Grundwerte auszurichten und auf die nächsten Jahrzehnte vorzubereiten. Die Unternehmensneuausrichtung gibt damit den Anstoß, Nachhaltigkeitsbemühungen in das operative Tagesgeschäft zu integrieren und die Klimafreundlichkeit der Produkte und Dienstleistungen schrittweise auszubauen. Dabei unterstützt das FIR an der RWTH Aachen Unternehmen, die passende Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln, Kunden und Mitarbeiterwünsche zukunftsgerichtet zu erfüllen und Klimaschutzziele in Geschäftsprozesse zu integrieren.

Barney, J.: Firm Resources and Sustained Competitive Advantage. In: Journal of Management 17 (1991) 1, S. 99 – 120.

BMWi: Nachhaltige, strategische Beschaffung. www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Wirtschaft/strategische-beschaffung.html (letzter Zugriff: 30.03.2021).

BMZ: Das Lieferkettengesetz wurde am 3. März 2021 vom Bundeskabinett beschlossen. Menschenrechte schützen. www.bmz.de/de/entwicklungspolitik/lieferkettengesetz.

Boer, E. de; Giraud, Y.; Betti, F.: Reimagining industrial operations. Digital technology and sustainability at Henkel. In: McKinsey Quarterly (2020).

Bundschuh, C.; Dresp, M.; Emunds, P.: Nachhaltigkeit lohnt sich - Gesellschaft und Unternehmen im Wandel. Hrsg.: LBBW Strategy ResearchLandesbank Baden-Württemberg, Stuttgart 15.02.2018.

Deloitte: Sustainable Finance. Wie Nachhaltigkeit die Finanzindustrie verändert und wie sich Institutionen darauf einstellen können. Hrsg.: Deloitte 03.2020. www2.deloitte.com/content/dam/Deloitte/de/Documents/financial-services/sustainable_finance_safe.pdf (letzter Zugriff: 26.03.2021).

Diesche, C.; Lautermann, C.; Westermann, U.: CSR-Reporting von Grossunternehmen und KMU in Deutschland. Ergebnisse und Trends im Ranking der Nachhaltigkeitsberichte 2018. Hrsg.: Institut für ökologische Wirtschaftsforschung; future e.V.; verantwortung unternehmen 02.2019. www.ranking-nachhaltigkeitsberichte.de/data/ranking/user_upload/2018/Ranking_Nachhaltigkeitsberichte_2018_Ergebnisbericht.pdf.

Handelsblatt: EZB: Bankenkredite an Umweltsünder bergen Risiken. Banken haben nach EZB-Angaben durchschnittlich 15 Prozent ihrer Kredite an Firmen mit hohem CO2-Ausstoß vergeben. Die Risiken würden unterschätzt. www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/banken/klimaschutz-ezb-bankenkredite-an-umweltsuender-bergen-risiken/25923730.html (letzter Zugriff: 26.03.2021).

Haufe Online Redaktion: Mangelndes Umweltbewusstsein schreckt Bewerber ab. Studie zu Arbeitgeberattraktivität. www.haufe.de/personal/hr-management/arbeitgeberattraktivitaet-umweltbewusstsein-ist-wichtig_80_520800.html (letzter Zugriff: 26.03.2021).

Jalsovec, A.: Ein bis drei Prozent sind drin. www.sueddeutsche.de/wirtschaft/nachhaltige-rentenfonds-oeko-fonds-green-bonds-1.5209126 (letzter Zugriff: 26.03.2021).

Maisch, M.: Banken ringen um mehr Nachhaltigkeit. Das französische Geldhaus Natixis hat einen radikalen Ansatz für grünere Finanzierungen entwickelt. Das Konzept ist in der Branche heftig umstritten. www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/klimawandel-banken-ringen-um-mehr-nachhaltigkeit/25600434.html (letzter Zugriff: 26.03.201).

Porter, M. E.: Competitive strategy. Techniques for analyzing industries and competitors. First Free Press export edition. Free Press, New York, London, Toronto, Sydney 2004.

Terpitz, K.: Rügenwalder Mühle: Veggie-Fleisch überholt erstmals klassische Wurst. In: Handelsblatt (2020).

VAUDE: Ökologisch & fair wirtschaften mit Erfolg. nachhaltigkeitsbericht.vaude.com/gri/vaude/integrierte-nachhaltigkeitsstrategie.php (letzter Zugriff: 26.03.2021).

VAUDE: Unser Lieferanten-Management – partnerschaftlich und ambitioniert. nachhaltigkeitsbericht.vaude.com/gri/vaude/unsere-lieferkette.php (letzter Zugriff: 26.03.2021).

Volkswagen AG: Volkswagen Konzern verpflichtet Lieferanten zur Nachhaltigkeit, Wolfsburg 28.06.2019.

WirtschaftsWoche: Mittelstand verpasst Chancen. Kleinen und mittleren Unternehmen fehlt es an Expertise, um die Vorteile von umweltfreundlichen Geschäftspraktiken zu quantifizieren und Nachhaltigkeitsinitiativen umzusetzen. Viele fürchten die Kosten grüner Technologien – am Ende schaden sich untätige Unternehmen aber finanziell selbst. In: WirtschaftsWoche (2016).

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