02.09.2021Interview

"Zukunftsperspektiven und Innovationen schaffen"

"Made in Germany" ist ein international anerkanntes Gütesiegel. Die tragende Säule der deutschen Wirtschaft ist der Mittelstand – also die Unternehmer/innen, Gewerbetreibenden und Selbstständigen, die sich ihrer unternehmerischen Verantwortung stellen. Der DMB fragt bei ihnen nach, was sie antreibt und welche Hürden beseitigt werden müssen, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein.

 

 

"Fortschritt ist der Weg vom Primitiven über das Komplizierte zum Einfachen."

Olaf Wuttge-Greimel (ORT-Architekt) nach einem einem Zitat von Wernher von Braun

 

Herr Wuttge-Greimel, bitte stellen Sie sich und Ihr Unternehmen kurz vor.

Am Rande des Schwarzwaldes führe ich in Villingen-Schwenningen unter der Firmierung ORT-Architekt ein kleines Büro als freier Architekt. Wie sich aus der Namensgebung ableiten lässt, ist mir hierbei einerseits der lokale Bezug zur Baukultur, andererseits auch der Anspruch, mit jedem Projekt einen individuellen Ort für die Nutzer zu schaffen, von großer Bedeutung. Vor dem Architekturstudium habe ich eine zweigliedrige Lehre als Zimmerer bei einem Fertighaushersteller und bei einem Restaurator im Zimmererhandwerk erfolgreich abgeschlossen und somit fundierte Kenntnisse im modernen Ingenieurs-Holzbau, als auch im traditionellen Handwerk erworben. Das spannende an der aktuellen Entwicklung ist, dass aufgrund der starken Digitalisierung der Holzbearbeitung mit leistungsfähigen Abbundanlagen heute wieder alte Holz-Holz-Fügungstechniken wie Zapfen, Verblattungen oder Schwalbenschwanzverbildungen wirtschaftlich hergestellt werden können. Der Montageaufwand gegenüber dem klassischen Ingenieursholzbau, wo überwiegend verschraubt oder mit Stahlbauteilen gefügt wird, wird so deutlich vereinfacht.

Diese Technologie ermöglicht es uns heute auch, großflächige Massivholzwände ohne Leim oder Stahlverbindungen herzustellen, welche alle Anforderungen wie Lastabtragung, Wärmeschutz, Schallschutz, Winddichtigkeit, und Brandschutz in einem einzigen Bauteil abbilden. Darüber hinaus bietet sie die Möglichkeit, Installationskanäle unsichtbar zu integrieren und das Ganze mit einer haptisch hochwertigen und wohnlichen Holzoberfläche zu versehen. Wenn man im Entwurf die maximalen Fertigungs- und Transportmaße berücksichtigt, kann mit dem regionalen und nachwachsenden Baustoff Holz auch preislich wirtschaftlich gebaut werden.

Genau an diesem Punkt setze ich bei meiner Arbeit an.

Viele Unternehmen berichten von den negativen Auswirkungen des aktuellen Materialmangels. Inwiefern spüren Sie Effekte davon?

Momentan durchleben wir auf dem Bau tatsächlich turbulente Zeiten, sowohl was die Verfügbarkeit als auch die Preisentwicklung der Baustoffe betrifft. Auch meine Projekte bleiben davon nicht gänzlich verschont. Allerdings bewahrheitet sich auch, dass Firmen, die langfristige und partnerschaftliche Beziehungen zu Ihren Lieferanten unterhalten, auch jetzt verlässlicher beliefert werden, als Handwerker, die nur kurzfristig an günstigen Lieferkonditionen interessiert sind. Beim Holz haben wir das Kuriosum, dass in den Wäldern derzeit genügend günstiger Rohstoff vorhanden ist. Aufgrund des niedrigen Rohholzpreises lohnt sich die Ernte jedoch kaum, weshalb die Waldbauern mit dem Einschnitt zurückhaltend sind. Die Sägewerke und Holzhändler entscheiden, wer zu welchen Konditionen mit Schnittholz beliefert wird, und da treibt der Export momentan die Preise.

Nachhaltiges Unternehmertum ist gefragter denn je.An welchen Punkten haben sie bereits angesetzt oder setzen Sie zukünftig an, um nachhaltig zu wirtschaften?

In meinem Büro versuche ich, Nachhaltigkeit auf sämtlichen Ebenen zu praktizieren.

Das beginnt beim Bezug von Ökostrom für das Büro und Elektroauto, dem Einkauf von zertifiziertem Papier und nachfüllbaren Tintenschreibern, Elektrogeräte werden repariert oder aufgerüstet, Gästen wird Fairtrade-Kaffee mit frischer Biomilch angeboten und meine Internet-Suchmaschine pflanzt mit ihren Einnahmen Bäume (Ecosia).

Den größeren Hebel zu mehr Nachhaltigkeit sehe ich jedoch darin, meine Bauherrschaften über kreislauffähige Baustoffe aufzuklären und das gewünschte Raumprogramm kritisch zu hinterfragen. Schließlich verbrauchen wir in Deutschland aufgrund energetisch optimierter Gebäude immer weniger Wärmeenergie pro Quadratmeter, jedoch wird diese Einsparung durch die Vergrößerung des Flächenbedarfs pro Person weitestgehend zunichte gemacht. Diesen Rebound-Effekt gilt es zu durchbrechen.

Was die Müllvermeidung angeht, hat der Bau noch enormen Nachholbedarf. In den heute vielfältig verbauten Verbundwerkstoffen steckt noch eine dicke Rechnung für die spätere Entsorgung, da das Recyclingkonzept zumeist nur auf den Produktdatenblättern der Hersteller vorhanden ist.

Welche Erwartungen haben Sie in diesem Zusammenhang an die neue Bundesregierung?

Wir stehen im Herbst vor einer Richtungswahl, bei der weder Rückwärtsgewandtheit noch ein „Weiter so“ zielführend sind. Von der neuen Bundesregierung erwarte ich ein klares Bekenntnis zur umgehenden Transformation der Wirtschaft und des Bausektors hin zu einer fossilfreien Zukunft sowie aktive Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels. Dies schafft heute Zukunftsperspektiven und Innovationen für den Mittelstand und reduziert die ökologischen sowie ökonomischen Folgekosten der zukünftigen Generationen.

Was macht für Sie den Mittelstand aus und welche Bedeutung hat er für Deutschland?

Der Mittelstand ist zweifelsohne die tragende Säule unseres Wohlstands. Die Kreativität und Risikobereitschaft vieler Unternehmer*innen, nach vorne zu denken und in die Zukunft zu investieren, ist unsere Stärke. Daher bin ich zuversichtlich, dass uns auch die nächste Transformation der Wirtschaft in eine fossilfreie Zukunft gelingt. Das heißt nicht, das Rad rückwärts zu drehen, sondern mit der gewonnenen Erfahrung und den Erkenntnissen aus früheren Fehlern, die Zukunft aktiv zu gestalten. Wohlstand definiert sich für mich dabei nicht in der Maximierung des Konsums, sondern in der Sinnhaftigkeit unseres Handels.

Als Vater von drei selbständig werdenden Kindern betrachte ich auch uns als „Familienunternehmen“. Der Auftrag lautet, den zukünftigen Generationen eine Chancengerechtigkeit in Sachen Bildung, Wohlstand, Ressourcen und einem intakten Ökosystems zu ermöglichen. Wenn man sich vor Augen führt, welche rasante Entwicklung unsere Gesellschaft in den vergangenen 200 Jahren vollzogen hat, so stelle ich mir die Frage, wie wir unsere Zukunft in den nächsten 200 Jahren gestalten wollen. Ohne Veränderungen wird es nicht gehen ­­­– beginnen wir jetzt.

Oder um es mit einem Zitat von Wernher von Braun zu formulieren:

„Fortschritt ist der Weg vom Primitiven über das Komplizierte zum Einfachen."

Wo wir heute stehen, möge bitte jeder für sich selbst beantworten, das Einfache haben wir meines Erachtens jedoch noch lange nicht erreicht.

 

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Wuttge-Greimel!

 

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