29.06.2020Interview

"Das Büro tritt in einen Wettbewerb mit dem Home-Office oder dem Café an der Ecke"

Interview mit Nils Tißen | Me & Company

Die Corona-Pandemie hat die Arbeitswelt in vielen mittelständischen Unternehmen auf den Kopf gestellt. Neue Arbeitsmodelle wie Remote Work wurden quasi über Nacht eingeführt, könnten sich langfristig etablieren und so nachhaltige Veränderungen bewirken. Remote Work beschreibt ein Arbeitsmodell, bei dem Arbeitnehmer nicht mehr an einen Standort gebunden sind, sondern von überall arbeiten können. Der Austausch mit Kollegen und Vorgesetzten findet dann ausschließlich digital statt.

Nils Tißen, Geschäftsführer von Me & Company, spricht im Interview über die neue Art des Arbeitens in der Corona-Krise, die größten Herausforderungen bei der Einführung von Remote Work und die Arbeitswelt von morgen. Das DMB-Mitgliedsunternehmen berät mittelständische Betriebe und DAX-Konzerne bei der Einführung von Remote-Work-Konzepten und dezentralen Arbeitsprozessen.


DMB: Herr Tißen, durch die Corona-Pandemie mussten Mitarbeiter in zahlreichen Unternehmen kurzerhand ins Home-Office wechseln. Ganze Teams mussten auf einmal dezentral zusammenarbeiten und funktionieren. Beobachten Sie in der Folge einen erhöhten Beratungsbedarf, insbesondere bei mittelständischen Unternehmen?

Nils Tißen (Me & Company): Für viele Unternehmen ist die aktuelle Situation eine große Umstellung. Viele Mitarbeiter wurden kurzfristig ins Home-Office geschickt. Firmen wechseln im Büroalltag zwischen A und B Teams, um Ansteckungen zu vermeiden. Dadurch verändert sich die Zusammenarbeit in den Unternehmen sehr stark. Das merken wir auch im Beratungsgeschäft. Wir haben diverse Anfragen zu den unterschiedlichsten Themen. Es geht um digitale Tools für die dezentrale Zusammenarbeit, aber auch um die Organisation von Arbeitsabläufen, die Motivation im Team oder den gefühlten Kontrollverlust im Management. Einige Unternehmen versuchen die Büroarbeit 1:1 digital abzubilden, was leider oft nicht funktioniert. Virtuelles Arbeiten ist für viele einfach noch vollkommen unbekannt.

 

Stellen Sie bei Ihren Kunden mittlerweile eine größere Akzeptanz für neue Arbeitsmodelle wie Remote Work fest? Hat die Corona-Krise hier ein Umdenken, vielleicht sogar einen Kulturwandel in Gang gesetzt?

Am Anfang gab es noch viel Skepsis doch mittlerweile beobachten wir ein Umdenken bei vielen Unternehmen. Da gibt es zum Beispiel den Vorstandsvorsitzenden, der merkt, dass die Beschäftigten auch im Home-Office produktiv arbeiten können. In der Krise ist man als Unternehmen gezwungen, Dinge einfach mal auszuprobieren, von denen man vorher dachte, dass sie nicht funktionieren. Dabei merkt man, dass es dann doch gut läuft. Da beobachten wir eindeutig einen positiven Wandel. Allerdings hat Remote Work nicht nur Vorteile. Es gibt auch negative Aspekte, etwa die soziale Distanz und den fehlenden persönlichen Austausch mit Kollegen.

 

Was sind nach Ihrer Einschätzung die größten Herausforderungen für Unternehmen bei der Einführung von Remote Work?

Es gibt drei Ebenen, die bei der Umstellung auf Remote Work von Bedeutung sind. Das erste ist die technische Ebene. Hier geht es zunächst um Fragen der Hardwareausstattung. Sind die Mitarbeiter mit Laptops ausgestattet? Haben sie zu Hause einen Arbeitsplatz? Dazu gehört dann auch die entsprechende Software, also passende digitale Tools. Es gibt zum Beispiel Unternehmen mit mehreren Hundert Mitarbeitern, die aber nur über zehn Lizenzen für virtuelle Meetingräume verfügen.

Die zweite Ebene betrifft die Arbeitsorganisation. Die große Herausforderung liegt darin, Management neu zu denken. Zurzeit werden Abteilungen oftmals sehr zentralisiert durch Einzelpersonen geleitet, was bei dezentral arbeitenden Teams zu langsamen Entscheidungen führt und viel Raum für Missverständnisse bietet. Dadurch steigt dann auch die Frustration der Mitarbeiter. Da müssen wir einfach lernen, wie Arbeit anders strukturiert und organisiert werden kann. Die letzte Herausforderung liegt in der kulturellen Ebene. Hier muss sich die Unternehmenskultur an die digitale Arbeitswelt anpassen. Es darf nicht primär darauf geschaut werden, wer welchen Fehler gemacht hat, wenn etwas in der digitalen Zusammenarbeit nicht funktioniert. Digitale Arbeit braucht eine Kultur des Miteinanders auf Augenhöhe. 

 

Was raten Sie Unternehmen, die Ihre Arbeitsprozesse digitalisieren und dezentralisieren wollen? Was sind zentrale Punkte, die es zu beachten gilt?

Es bringt nichts, sich nur die technische Infrastruktur oder nur die Arbeitsorganisation getrennt anzuschauen. Viel sinnvoller ist es, die Dinge gemeinschaftlich zu betrachten und auch Verantwortliche aus den einzelnen Fachbereichen mit dem Facility Management, Personalmanagement und der IT für die Umsetzung von Remote-Work-Konzepten zusammenzubringen. Das Ziel sollte sein, dass man offen und ehrlich die unterschiedlichen Sichtweisen austauscht und die von der Veränderung betroffenen Bereiche beteiligt werden. Das ist die Grundlage dafür, dass die Mitarbeiter neue Arbeitsmodelle am Ende auch akzeptieren und keine Widerstände entstehen. Es gibt ja den bekannten Satz: „Wer etwas verändern möchte, findet einen Weg. Wer etwas vermeiden möchte, findet einen Grund.“ Wenn aber alle Stimmen gehört werden, insbesondere auch die kritischen, ist es viel einfacher solche neuen Prozesse voranzutreiben.

 

Denken Sie, dass die Corona-Krise einen nachhaltigen Wandel der Arbeitswelt eingeleitet hat, der sich auch nach dem Ende der Pandemie verstetigen wird? 

Absolut, wir sehen da einen nachhaltigen Wandel. Nach unserer Einschätzung ist dezentrales Arbeiten und digitales Arbeiten aber keine Entweder-Oder-Frage. Es geht nicht darum zu sagen: Jetzt arbeiten plötzlich alle Mitarbeiter remote und keiner mehr im Büro. Es wird beides geben: die Arbeitswelt, in der man nach wie vor an einem Ort gemeinschaftlich zusammenarbeitet genauso wie das dezentrale und asynchrone Arbeiten. Wir sehen auf jeden Fall, dass die Offenheit zunimmt, neue Arbeitsmodelle auszuprobieren und dass es nicht bei Worten bleibt, sondern dass die Rahmenbedingungen auch aktiv in diese Richtung weiterentwickelt werden.

Dazu ein konkretes Beispiel: Wir arbeiten mit vielen Architekten zusammen, die neue Büros gestalten, mit denen wir Mandanten hinsichtlich kultureller sowie organisatorischer Veränderung der Arbeitswelt beraten. Da bekommen wir mit, dass viele Projekte, bei denen die Planung eigentlich schon abgeschlossen war, noch einmal neu aufgesetzt werden. Einerseits, um die neuen Hygiene-Regeln baulich umzusetzen, andererseits aber vor allem auch, um auf die Erkenntnis zu reagieren, dass das Büro nicht mehr der einzige Ort sein wird, an dem Arbeit stattfindet. Das klassische Büro tritt in einen Wettbewerb mit dem Home-Office oder dem Café um die Ecke. Daran merkt man, dass es nachhaltige Veränderungen gibt. Denn solche Neubauprojekte sind langfristig angelegt und auch mit hohen Investitionen verbunden.
 

Vielen Dank für das Gespräch!

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