27.05.2021Fachbeitrag

Peter Prinzip neu gedacht - zur Unfähigkeit befördert?

Disruptive Trends, technologische Komplexität und die zunehmende Geschwindigkeit in der Arbeitswelt vermindern den Wert des Erfahrungsschatzes einer Führungskraft. Aber es gibt Auswege: Anpassungsfähigkeit und gute Selbstreflektion.

 

Schon 1969 beschrieben die Autoren L. Peter und R. Hull das Phänomen, dass Beschäftigte so lange befördert werden, bis sie die Grenze zur Inkompetenz überschreiten. Diese Provokation unterstellt damit, dass die meisten Führungskräfte in ihren Jobs inkompetent sind, was die Frage aufwirft: wie ist ein Beförderungssystem in deutschen Unternehmen organisiert?

Ein erfolgreicher Verkäufer wird Führungskraft für ein Verkaufsteam, weil er gut verkaufen kann. Ein auffallend kreativer Lehrer wird zum Schulleiter befördert und damit Verwalter und eine Ingenieurin schafft den Sprung zur Managerin, weil ihre Projekte immer perfekt ablaufen. In der Psychologie nennt sich das der „Status-quo-Effekt“. Dahinter verbirgt sich die Annahme, wer einmal gute Leistungen vollbracht hat, dem werden auch in Zukunft gute Leistungen zugetraut. Gekitzelt an der eigenen Eitelkeit mit einem höheren Status Quo in Macht und Geld fällt dann die selbstkritische Überprüfung der eigenen Kompetenzen für den neuen Job ausgesprochen wohlwollend aus und dem Förderer bleibt die Inkompetenz des Beförderten unter dem Lametta verborgen. Multiplizieren Sie die fehlenden Fähigkeiten des ersten Karriereschrittes unter Abzug der erlernbaren neuen Kompetenzen mit der Anzahl der weiteren Aufstiegsschritte, dann erfassen Sie die Dimension des Peter Prinzips.

  • Die gute Nachricht: viele Kompetenzen sind erlernbar.
  • Die schlechte Nachricht: viele Kompetenzen werden nicht gelehrt.
  • Die sehr schlechte Nachricht: Die Stufe der eigenen Unfähigkeit wird nicht nur durch Beförderungen erreicht, sondern zusätzlich auch durch mit der Zeit wertlose Erfahrungen.

Tsunami für den Erfahrungsschatz

Der Buchdruck und die damit einhergehende Verbreitung von Wissen in der Bevölkerung beginnend im 15. Jahrhundert läutete die industrielle Revolution ein, die mit dem Beginn der computermedialen Epoche Mitte des letzten Jahrhunderts ein Ende fand. War ein berittener Bote im 18. Jahrhundert mit einer Nachricht quer durch Europa noch Wochen unterwegs, so erreicht diese Nachricht gesendet per E-Mail oder WhatsApp innerhalb weniger Sekunden (fast) jeden Platz auf dem Erdball. Der Hauptfaktor für Veränderung heißt nun: Geschwindigkeit!

Megatrends wie Mobilität (E-Mobility, 24/7-Gesellschaft, Moderne Nomaden), Neo-Ökologie (Sharing Economy, Green Tech, Free Ager, Sinn-Ökonomie, Minimalismus), Silver Society (Co-Living, Well Aging, Slow Culture), Konnektivität (Smart Cities, Big Data, Omnichanneling, Künstliche Intelligenz, Kollaboration) und New Work (Start-up Culture, Think Places, Co-Working, Work-Life Blending) beherrschen im 21. Jahrhundert die ganze Welt. Der leider verstorbene Professor Peter Kruse führte in 2014 400 Tiefeninterviews (Studie: Führung im Wandel) mit Manager*innen der ersten Führungsebene und Aufsichtsratsmitgliedern mit dem Ergebnis durch, dass die Selbsterkenntnis vorhanden war, für diese komplexe Umwelt selbst nicht die dafür notwendigen Kompetenzen zu haben. Die Studie «Die Zukunft der Führung in Unternehmen» von Professor Rolf van Dick von der Goethe Universität Frankfurt aus dem Jahre 2016 bescheinigt ebenfalls erhebliche Defizite bei den eigenen Kompetenzen in der Selbstwahrnehmung der Führungskräfte.

Zunehmende Komplexität und Geschwindigkeit schmälern den Wert von Erfahrung

Die Stufe zur eigenen Unfähigkeit, wenn sie denn eintritt, wurde in der Vergangenheit nach dem Peter-Prinzip durch die letzte Beförderung erreicht. Ausgelöst durch die Digitalisierung mit den oben beschriebenen Megatrends kommt nun ein weiterer Aspekt hinzu: die Geschwindigkeit der Veränderungen in der Umwelt und deren Folgen reduzieren die Halbwertzeit des Erfahrungsschatzes vieler Manager*innen, Führungskräfte und Unternehmer*innen, die in der Vergangenheit zum Navigieren durch die Untiefen der Wirtschaft zu Rate gezogen wurden und für eine erfolgreiche Tätigkeit auskömmlich waren. Das hat sich geändert!  Dabei lässt sich eine Proportionalität zwischen Lebensalter und gemachter Führungs- und Managementerfahrungen feststellen: Je älter die Erfahrungen, desto höher der Verlust an Relevanz und je jünger die aufgebauten und für gut befundenen Führungskompetenzen – abgeleitet von den aktuellen Megatrends – desto reichhaltiger ist die Schatzkiste der Führungserfahrungen gefüllt.

Ein über 70-jähriger Manager hat also das Problem in die Unfähigkeit abzurutschen, es sei denn, er sammelt selbst Erfahrungen in obigen Megatrends oder kombiniert sein Wissen mit jüngeren Manager*innen, was bei der heutigen Komplexität sowieso sinnvoll ist: weg von Entscheidungen Einzelner und hin zu Entscheidungen im Team. Leben ist Lernen und dafür ist es nie zu spät. Also könnte dieser Manager seine fehlende Kompetenz durch z.B. ein Reverse-Mentoring aufpeppen.

Organisation 4.0 trifft auf Führung 1.0

Moderne vertrauensvolle Führung bewegt sich zwischen den Polen Kreativität und Rationalität, zwischen Revolution und Evolution, zwischen Nähe und Distanz und zwischen Ethik und Wirtschaftlichkeit und alles gleichzeitig und in einem hohen Tempo. Sollte eine Managerin oder ein Manager dazu nicht in der Lage sein – sodass das Peter Prinzip mal wieder zuschlägt – dann richtet sich die Botschaft an die Aufsichtsgremien: macht Euren Job! Es darf nicht sein, dass Organisation 4.0 auf Führung 1.0 trifft.

 

Teil IV der Beitragsserie Vertrauen in Führung

 

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