27.07.2021Interview

"Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ein Standortvorteil"

Betriebliche Kinderbetreuung beginnt dort, wo Unternehmen für die Betreuung der Kinder ihrer Beschäftigten Geld in die Hand nehmen.

Im Kampf um die besten Köpfe wird Familienfreundlichkeit auch für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) zu einem echten Standortvorteil. Entsprechende Aktivitäten von KMU fördert der Bund finanziell. Wie diese Förderung genau aussieht und wie Arbeitgeber an das Thema betriebliche Kinderbetreuung herangehen sollten, erklärt Tobias Feier.

Herr Feier, bitte stellen Sie uns das Förderprogramm kurz vor.

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) hat das Förderprogramm Betriebliche Kinderbetreuung im letzten Jahr gestartet. Das Programm unterstützt Unternehmen dabei, sich als familienbewusster Arbeitgeber weiterzuentwickeln. Es möchte insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen anregen, Angebote zur betrieblichen Kinderbetreuung als Baustein in ihre Unternehmens- und Personalstrategie zu integrieren. Die Förderung erfolgt über einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren. Das Bundesfamilienministerium hat bisher bereits mehrere Förderphasen durchgeführt. Erfolgreiche Praxisbeispiele sind auf der Internetseite des Programms Erfolgsfaktor-Familie.de des Bundesfamilienministeriums zu finden.

Das Förderprogramm bietet unterschiedliche Möglichkeiten, denn auch Betriebe sind sehr unterschiedlich. Es besteht aus vier Modulen. Im ersten Modul werden klassische Kita-Plätze gefördert. Unternehmen, die betriebliche Kitaplätze für einen Teil ihrer Beschäftigten schaffen, oder die Träger dieser Kitas, erhalten eine finanzielle Unterstützung. Über das zweite Modul werden Kindertagespflegestellen in betrieblichen Unternehmensverbünden gefördert. Dies kann gerade für mittelständische Unternehmen interessant sein, da sie eine Kita mit so vielen Plätzen meistens gar nicht benötigen. Dann kann es einfacher sein, mit einer Tagespflegestelle zusammenzuarbeiten. Das dritte Modul fördert eine Notfallbetreuung bzw. die Betreuung in Ausnahmefällen. Dies ist eine Back-Up-Lösung für Situationen, in denen der reguläre Kita-Betrieb für die Kinder von Beschäftigten nicht gewährleistet ist. Für solche Fälle können Unternehmen Plätze in einer Kindertageseinrichtung vorhalten, die ihre Angestellten im Bedarfsfall nutzen können. Gegenstand des vierten Moduls sind Ferienbetreuungsangebote.

Damit interessierte Unternehmen oder Träger von Betreuungseinrichtungen beraten und bei einem Antragsprozess begleitet werden können, wurde bei uns, der Gesellschaft für soziale Unternehmensberatung mbH (gsub), die Servicestelle Betriebliche Kinderbetreuung eingerichtet.

Warum sollten sich Unternehmen überhaupt mit dem Thema betriebliche Kinderbetreuung auseinandersetzen?

Mit den Themen Familienfreundlichkeit und betriebliche Kinderbetreuung sollten sich Unternehmen auseinandersetzen, die sich gegenüber ihrer Konkurrenz einen Vorteil verschaffen möchten. Ein klares Bekenntnis zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist schließlich ein Standortvorteil. Arbeitgebern, die einen ganzheitlichen Blick einnehmen und nicht nur auf die üblichen, alten Kennzahlen schauen, gehört die Zukunft. Studien zu den Generationen Y und Z belegen, dass Beschäftigte heutzutage nicht nur auf ihr Gehalt achten, sondern dass sie auch die Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben schätzen. Dies beginnt bei flexibleren Arbeitszeiten und mobiler Arbeit, Kontakthalteprogramme während der Elternzeit bis hin zu einer verlässlichen Betreuungssituation für ihre Kinder. Den Rechtsanspruch auf eine Kinderbetreuung gewährleistet und finanziert grundsätzlich der Staat. Sind die Eltern aber beispielsweise im Nacht- oder Frühdienst tätig, entsteht ein Betreuungsbedarf, den eine reguläre Kita nicht immer bedienen kann. Arbeitgeber können so gerade Alleinerziehende entlasten, die kein familiäres Netz besitzen. Auch im ländlichen Raum ist so ein Angebot für Eltern sehr hilfreich. Angesichts des kulturellen Wandels auf dem Arbeitsmarkt und in Unternehmen stellt die betriebliche Kinderbetreuung einen klaren Wettbewerbs- und Standortvorteil dar, den man auch hinsichtlich des demographischen Wandels für sich nutzen kann.

Wie definieren Sie betriebliche Kinderbetreuung und welche Modelle sind für Unternehmen denkbar?

Betriebliche Kinderbetreuung beginnt dort, wo Unternehmen für die Betreuung der Kinder ihrer Beschäftigten Geld in die Hand nehmen. Das kann eine Betriebskita sein, ein Eltern-Kind-Büro oder der steuerfreie Kinderbetreuungszuschuss zählt aber auch dazu. Eine eigene Kita kommt wohl eher für größere Unternehmen in Frage. Grundsätzlich sollten Arbeitgeber zunächst in einem kleineren Rahmen denken und erste Schritte machen. Anstatt gleich eine Kita einzurichten, gilt es zunächst, die Lage realistisch zu beurteilen. Betriebe mit 10, 50 oder auch 200 Beschäftigten sollten die Struktur ihrer Belegschaft und die Bedarfe betrachten. Wie viele Beschäftigte haben überhaupt Kinder und in welchem Alter sind diese?

Bevor die Geschäftsleitung über Maßnahmen entscheidet, sollte sie die Belegschaft miteinbeziehen. Denn auch die Beteiligung der Familien bedeutet Familienfreundlichkeit. Mit den Beschäftigten zu sprechen, beugt falschen Erwartungen auf beiden Seiten vor und verhindert, dass Geld für unpassende Maßnahmen ausgegeben wird. Wenn die Beschäftigten nur Schulkinder haben, bringen dem Unternehmen Kitaplätze nichts. Vielleicht wohnen die meisten von ihnen aber auch gar nicht in der Nähe des Firmenstandortes und möchten ihre Kinder deswegen lieber in einer Einrichtung an ihrem Wohnort betreuen lassen. Dann kann es sich eher lohnen, das Geld für den weiteren Ausbau der flexiblen, mobilen Arbeitsmöglichkeiten wie Diensttelefon und anderer IT-Technologie einzusetzen.

Möglicherweise stellt sich aber auch heraus, dass die Kindertagespflege eine geeignete betriebliche Lösung wäre. Sie ermöglicht Unternehmen, fünf bis zehn oder auch nur drei Kinder zu betreuen. Bei der Kindertagespflege sind auch baurechtliche Aspekte und gewisse formale Anforderungen geringer als bei einer Kita, zum Beispiel wie viele Toiletten das Unternehmen vorhalten muss. Betreuungsangebote für die Ferien können ebenfalls ein guter Einstieg sein, der den Beschäftigten zeigt, dass sich ihr Arbeitgeber über betriebliche Kinderbetreuung Gedanken macht.

Das Förderprogramm Betriebliche Kinderbetreuung möchte insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) erreichen. Wie hilft das Programm KMU konkret dabei, ihre betriebliche Kinderbetreuung auszubauen?

Das Programm fördert jeden Ganztagsplatz im Bereich Kita, Kindertagespflege und Ausfallbetreuung mit 400 Euro. Der Arbeitgeber beteiligt sich mit jeweils 250 Euro an den Kosten. Außerdem gibt es die Möglichkeit, Teilzeit- und Halbtagsplätze fördern zu lassen. Dort sind die Fördermittel und Arbeitgeberanteile dann entsprechend geringer. Gäbe es diese deutliche finanzielle Unterstützung durch den Bund nicht, würde es viele KMU abschrecken, da sie die langfristigen positiven Effekte der Betreuungsmaßnahmen nicht unmittelbar spüren. Zwar werden Beschäftigte mit Kindern das Angebot wohlwollend annehmen und auf ihre Zufriedenheit mit dem Arbeitgeber wirkt es sich auch aus. Das ist recht schnell festzustellen. Studien verweisen allerdings darauf, dass sich ein betriebswirtschaftlicher Effekt erst langfristig einstellt. Deswegen unterstützt das Bundesfamilienministerium Betriebe auch mit bis zu 400 Euro pro Betreuungsplatz und hat uns als Dienstleister mit an Bord geholt, um den Arbeitgebern die Vorteile aufzeigen zu können.

KMU werden also nicht mit den Antragsformularen alleingelassen, sondern erhalten bei Ihnen Beratung und Unterstützung.

Richtig. Das Antragsverfahren ist grundsätzlich sehr einfach gestaltet und erfolgt über eine webbasierte Datenbank, die über den Webbrowser erreichbar ist. Dort kann man sich als Organisation registrieren und für das gewünschte Förderinstrument freischalten. Dann kann man einen Antrag stellen.

Vorher sollten aber einige wesentliche Punkte geklärt werden. Daher fragen wir die Antragssteller bei der Beratung im Vorfeld, wie viel Geld sie einbringen können, ob sie bereits eine Bedarfserhebung durchgeführt haben und ob es überhaupt genügend Eltern gibt, die ein Betreuungsangebot für ihre Kinder annehmen würden.

Welche messbaren Voraussetzungen müssen KMU mitbringen, um die Förderung zu erhalten? Ist eine bestimmte Unternehmensgröße, Umsatzzahl oder Mindestanzahl an Betreuungsplätzen erforderlich?

Um förderfähig zu sein, muss ein Unternehmen mindestens vier neue Betreuungsplätze schaffen und dafür die Finanzierung für ein Jahr aufbringen können. Der Fördernehmer muss erklären, dass er mindestens 250 Euro mal vier Plätze mal zwölf Monate mitbringt. Alternativ können sich aber auch sechs Arbeitgeber zusammentun und im Verbund die finanziellen Mittel für jeweils einen Betreuungsplatz bestätigen. Daneben müssen Unternehmen nur noch vorher klären, ob sie einen entsprechenden Betreuungsbedarf haben. Die Plätze sollten allerdings nachhaltig geschaffen und daher länger als ein Jahr erhalten bleiben.

Wie lässt sich herausfinden, welche Unternehmen in der eigenen Region Bedarf haben oder ob es schon ein Verbundprojekt gibt, dem ich mich als Unternehmen anschließend kann?

Hier lohnt es sich, vor Ort nachzufragen, beispielsweise bei einem Lokalen Bündnis für Familie (www.lokale-buendnisse-fuer-familie.de) in der Nähe, bei der Wirtschaftsförderung oder der ansässigen IHK, die alle einen Ansprechpartner für das Thema Vereinbarkeit haben, oder beim Unternehmensnetzwerk "Erfolgsfaktor Familie" (www.erfolgsfaktor-familie.de). Zur Suche möglicher Kooperationspartner beraten auch wir. Wir besitzen zwar keine abschließende Liste über alle Bundesländer, aber natürlich kennen wir den einen oder anderen.

Bei einem der letzten Fördervorhaben, das vor kurzem bewilligt wurde, arbeiten über 30 Unternehmen zusammen. Die einzelnen Arbeitgeber haben da gar nicht so viel zu tun, sondern ein Wohlfahrtsverband als Träger des Vorhabens übernimmt die gesamte anfallende Verwaltungsarbeit.

Ein etwas größerer Mittelständler möchte nun sechs Betreuungsplätze schaffen. Wie läuft der Antragsprozess für die Förderung in einem solchen Fall konkret ab und bis wann muss er sie beantragen?

Hat das Unternehmen die wichtigsten Fragen im vorab für sich geklärt, kann es sich jederzeit an uns wenden und beraten lassen. Ansonsten sollte man sich einfach in unserer Datenbank registrieren. Wenn es keine Rückfragen gibt, erfolgt die Freischaltung innerhalb von 24 Stunden und man kann den Antrag stellen. Der Antrag an sich ist webbasiert und kann online ausgefüllt werden. Dies erfordert ungefähr eine Stunde Zeit. Es geht beim Antragsprozess vor allem darum, dass der Fördernehmer über die entsprechenden Erklärungen verfügt, die Arbeitgeberbeteiligung nachweisen kann und der Träger der Betreuungsmaßnahme, in der Regel der Kita- oder Tagespflegeträger, eine Betriebserlaubnis besitzt. Meistens stellen die Träger die Förderanträge. Die Unternehmen wenden sich in der Regel vorher an uns und erklären, dass sie mit einem Träger zusammenarbeiten möchten. Wir unterstützen den Träger dann dabei, den Antrag zügig zu stellen.

Das Förderprogramm läuft noch bis zum 31. Dezember 2022 und ist in den Modulen eins bis drei darauf angelegt, dass die Unternehmen mindestens zwölf Monate lang finanziell unterstützt werden. Die bewilligten Fördermittel müssen im Vorhabenzeitraum zweckentsprechend eingesetzt werden. Dieses Jahr können noch bis zum 31. Dezember Anträge für das kommende Jahr gestellt werden. Da das Programm langfristig unterstützen möchte, wird bei später eingereichten Anträgen im Einzelfall entschieden, ob eine Förderung des Projektes sinnvoll ist. Das Ferienmodul (Modul vier) wird man aber auch noch im Laufe des kommenden Jahres beantragen können, sodass Angebote für die Winter-, Oster- und Sommerferien finanzielle Unterstützung erhalten.

Wie viel Zeit vergeht normalerweise zwischen Beantragung und dem Bescheid über die Förderung?

Wir bearbeiten die Anträge zeitnah. Liegen die erforderlichen Unterlagen vor, können wir einen Antrag grundsätzlich innerhalb von zwei Wochen bewilligen. Wenn wir noch Rückfragen an die Antragssteller haben, dauert es länger. Dann räumen wir ihnen 14 Tage ein, um Unterlagen nachzureichen oder bestimmte Punkte zu erläutern.

Wichtig ist aber, dass die zu fördernde Betreuungsmaßnahme noch nicht begonnen haben darf, bevor die Förderung bewilligt wurde.

Einige Unternehmen haben sich ja bereits um entsprechende Strukturen gekümmert. Sie können von der Förderung jetzt nicht mehr profitieren.

Dieser Punkt hat eine gewisse Berechtigung und wird uns und dem Bundesfamilienministerium auch immer wieder zugetragen. Dann können wir den Unternehmen aber nur sagen, dass sie auf dem richtigen Weg sind und sie unterstützen können, wenn sie weitere Plätze schaffen wollen. Rückwirkend lässt das Programm aber leider keine Förderung mehr zu, da es als Anschubfinanzierung denn als Erstattungsanspruch gedacht ist.

 

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Feier!

 

Kontaktdaten und Sprechzeiten:

Montag bis Mittwoch und Freitag: 9 bis 12 Uhr
Donnerstag: 14 bis 17 Uhr
Telefon: (0800) 000 9838
E-Mail: kinderbetreuung@erfolgsfaktor-familie.de
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