„Gerade dem Mittelstand fehlen wichtige Plattformen“
Messen bieten dem Mittelstand eine einzigartige Gelegenheit, um mit potenziellen Kunden aus aller Welt in Kontakt zu treten. Knapp ein Drittel der Besucher deutscher Fachmessen kommt aus dem Ausland.
Die Corona-Pandemie hat die deutsche Messelandschaft nachhaltig geprägt und neue Impulse freigesetzt. Wie gravierend also waren die pandemiebedingten Ausfälle und wie sieht die Zukunft der Messebranche aus? Im Gespräch mit dem DMB berichtet Hendrik Hochheim vom Verband der deutschen Messewirtschaft (AUMA) über aktuelle Trends in der Branche und spricht über die Bedeutung von persönlichen Begegnungen.
DMB: Die Messewirtschaft wurde durch die Corona-Pandemie stark gebeutelt. Gleichzeitig konnten sich auch viele mittelständische Unternehmen nicht in der üblichen Form ihren Kunden und Partnern präsentieren. Wie ist die Stimmung aktuell in der Messewirtschaft und wie blicken Sie auf das Messejahr 2022?
Hochheim: Das Stimmungspendel dreht sich nach dem unverschuldet schwachen Start momentan vorsichtig in Richtung Optimismus. Mehr als 140 der 390 geplanten Messen mussten abgesagt oder verschoben werden. Mehr als 50 Milliarden Euro gesamtwirtschaftlicher Schaden verzeichnen die Messewirtschaft und die damit verbundenen Branchen seit Pandemiebeginn. Im Programm stehen noch rund 300 Messen, darunter dutzende Leitmessen der Weltwirtschaft.
Corona hat die Messewirtschaft hart getroffen: Über 70 Prozent der geplanten Messen wurden im vergangenen Jahr abgesagt, 2020 waren es 68 Prozent. Damit fehlen gerade dem Mittelstand wichtige Plattformen. Große Unternehmen können noch eher den Wegfall von Messen kompensieren. Für den Mittelstand gilt das nicht. Sobald Messen wieder möglich sind, sehen wir eine hohe Nachfrage bei den Ausstellern. Und die rein digitalen Messen, die zuletzt gezwungenermaßen wie Pilze aus dem Boden geschossen sind, werden wir in diesem Jahr deutlich weniger sehen. Deshalb schauen wir optimistisch auf den Rest des Jahres.
Nach bald zweijährigem Stillstand durch die Corona-Pandemie hat Deutschlands Messewirtschaft nun eine bundesweite Öffnungsperspektive. Bis zum 20. März soll in drei Schritten ein großer Teil der Corona-Beschränkungen zurückgenommen werden. Darauf haben sich Bund und Länder am 16. Februar verständigt. In den ersten Bundesländern sind bereits Restriktionen für Messen entfallen.
Wie hat die Pandemie die Messewirtschaft verändert und welchen Einfluss hat sie auf die digitale Transformation der Messe?
Für eine Reihe von Messen haben die Veranstalter im Messe-Stopp digitale Formate durchgeführt. Aussteller konnten dadurch Kundenkontakte aufrechterhalten und Besucher konnten sich über Neuheiten informieren. Eine Umfrage zur Nutzung ergab aber, dass digitale Events für die meisten ausstellenden Unternehmen keine oder keine dauerhafte Alternative zu realen Messen sind. Messen fehlten. Weit mehr als 80 Prozent der befragten Unternehmen vermissten das Netzwerken für ihr Geschäft. Menschen wollen und müssen sich treffen, um Neues zu beginnen. Präsenz-Messen sind die Plattform für Neukundengewinnung und das Glänzenlassen neuester Produkte und Technologien.
Aber ganz klar: Digitales wird künftig noch stärker dazugehören. Künftig wird es kaum eine Fachmesse geben ohne digitale Verlängerung der Messe vor Ort. Aussteller holen so neue Zielgruppen über digitale Brücken ab, die für einen ersten Eindruck nicht anreisen würden. Aber der Kern, die Begegnung, das, was Messen ausmacht, wird bleiben. Live werden eben alle Sinne angesprochen.
Welche Trends sind auch abseits der Pandemie in der Messewirtschaft zu spüren und welche jüngeren Innovationen haben das Potential die Messe am stärksten zu verändern?
Angesichts der Klimakrise wird die Messebranche künftig ihre Anstrengungen für mehr Nachhaltigkeit intensivieren müssen. Einerseits lassen sich nach dem Motto „weniger ist mehr“ vorbereitende Treffen und Materialien insgesamt reduzieren. Andererseits sollte alles auf dem Messestand ressourcenschonend geplant und möglichst wiederverwertbar sein. Aussteller haben als Auftraggeber eine große Steuerungsmöglichkeit, um die Arbeitsweisen der Messe- und Eventbranche zu verändern.
Neben all den digitalen Präsentationsmöglichkeiten auf Messen sehen wir auch einen Trend zur Rückbesinnung auf den Kern der Messe. Nicht die x-te 3D-Brille oder der hochauflösende Bildschirm machen die Messe für Besucher zum Erlebnis. Sondern zu einem umfassenden Kundenerlebnis gehören recht simple menschliche Bedürfnisse: echte Dialoge auf Augenhöhe, wirkliches Interesse und überraschende Momente gemeinsam erleben.
Unternehmen verfügen heute über ein Portfolio aus verschiedensten Marketinginstrumenten. Wie hat sich hierbei der Stellenwert des Instruments Messe entwickelt? Wie wichtig ist die persönliche Vernetzung im Zeitalter von digitalen Plattformen und digitaler Kommunikation?
Die Vielfalt an Marketinginstrumenten wächst ständig und die meisten Unternehmen experimentieren mit immer neuen Kanälen und Instrumenten. Leider nicht immer erfolgreich. Messen wirken da fast wie ein Fels in der Brandung. Jeder kennt sie, jeder weiß, was er daran hat. Aber natürlich werden auch Messen hinterfragt. Unsere jährliche Studie AUMA MesseTrend wies bis zur Pandemie steigende Messe-Budgets und eine konstant hohe Bedeutung der Messe im Mix der Marketinginstrumente aus, vor allem im Mittelstand. Durch Corona kam es hier zu einer kompletten Vollbremsung. Dadurch haben die Unternehmen aber auch gemerkt, was ihnen fehlt und sind nun dabei, noch bessere Konzepte für ihre Messeauftritte zu entwickeln.
Die Möglichkeit zum direkten, persönlichen Austausch ist der zentrale Mehrwert der Präsenzmesse. Daran hat sich auch durch die Zunahme der digitalen Möglichkeiten nichts geändert. Für die Konzeption von Messeständen bedeutet das beispielsweise, dass mehr Standfläche für persönliche Gespräche eingeplant wird und eventuell weniger Fläche für reine Produktpräsentationen. Diskussionsforen gewinnen an Bedeutung.
Mittelständische Unternehmen bilden den Kern des Messewesens. Kleine und mittlere Unternehmen stellen die Mehrheit der Aussteller. Wie beurteilen Sie den Stellenwert der Messe im Mittelstand? Wie hat sich das Engagement und das Budget für Messeaktivitäten in den letzten Jahren entwickelt?
Wie Sie richtig sagen, dominiert auf Messen der Mittelstand: Neun von zehn Ausstellern haben weniger als 500 Beschäftigte. Medial sind zwar oft die großen Namen und Marken präsent, aber ohne den Mittelstand hätten wir nicht die Messen, die wir kennen. Die Ausgaben der KMU für Messen liegen, relativ gesehen, deutlich über denen der Großunternehmen. Aus Befragungen während der Pandemie wissen wir, dass vor allem der Mittelstand die Messen vermisst. Da fehlen oft die finanziellen und personellen Ressourcen, um schnell als Alternative eine professionelle Digitalplattform aufzusetzen, auf der potenzielle Kunden weltweit erreicht werden können. Als im Herbst 2021 wieder Messen in Deutschland stattfanden, waren es vor allem Mittelständler, die vor Ort Flagge zeigten. Das gibt die Richtung für die Zukunft vor.
Wie verhält sich die Bedeutung von Messen in Abhängigkeit der Unternehmensgröße und Branche? Welche Erwartungen haben Unternehmen heutzutage an eine Messe?
Wir sehen seit vielen Jahren, dass Messen für KMU eine überdurchschnittlich hohe Bedeutung haben. Auch im Investitionsgütersektor sind Messen mit weitem Abstand die wichtigsten Instrumente für Marketing und Vertrieb.
Unternehmen erwarten von der Messe zuallererst, dass sie die wichtigsten Player, Anbieter und Kunden zusammenbringt. Denn das schafft kein Unternehmen allein. Dadurch rückt die jeweilige Branche medial in den Fokus. Abgesagte Messen führen auch dazu, dass die Branche in den Medien zurückfällt. Ansonsten wollen Unternehmen, dass die Vor- und Nachbereitung der Messe möglichst smart funktioniert, also Prozesse schnell, einfach und schlank funktionieren. Die Prozesse rund um die Messe müssen weiter digitalisiert werden. Aber die eigentliche Messe bleibt das reale Highlight in einer Flut von digitalen Angeboten.
Gerade wegen dieser Möglichkeiten warten die meisten Unternehmen darauf, dass möglichst bald wieder Messen stattfinden können.
Deutschland ist Standort Nummer eins, wenn es um internationale Leitmessen geht. Ein Großteil der Fachbesucher hierzulande kommt aus dem Ausland. Welchen Stellenwert nimmt das internationale Publikum allgemein bei deutschen Messen ein?
Die Internationalität auf Aussteller- und Besucherseite der deutschen Messen ist weltweit unerreicht. Bis zur Pandemie kamen 60 Prozent der Aussteller und 30 Prozent der Besucher aus dem Ausland auf deutsche Messen.
Für den Mittelstand bedeutet das: Messen in Deutschland sind internationale Heimspiele. Direkt vor der Haustür kann man unkompliziert und günstig potenzielle Kunden aus aller Welt treffen. Ich würde sogar noch weitergehen und behaupten: Ohne die starken internationalen Messen in Deutschland wäre auch die Exportnation Deutschland nicht so erfolgreich.
Die Förderung und Unterstützung von Unternehmen bei Messeaktivitäten konzentriert sich vor allem auf internationale Messen. Wie beurteilen Sie die Nachfrage nach diesen Fördermitteln derzeit?
Die Unterstützungsprogramme sollen ganz klar den Export ankurbeln. Deshalb stehen internationale Messen im Fokus. Für Aussteller gibt es verschiedene Förderprogramme auf Bundes- und Landesebene. Für Messen in Deutschland gibt es seit vielen Jahren eine Förderung für junge, innovative Unternehmen und seit dem vergangenen Jahr eine zusätzliche Förderung für KMU. Wenn sich Unternehmen im Ausland auf Messen präsentieren wollen, gibt es das Auslandsmesseprogramm. Das ist für den Eintritt in ferne Märkte ein bewährtes und erfolgreiches Programm.
Die Nachfrage nach diesen Förderungen ist gerade jetzt sehr hoch. Unternehmen sollten sich deshalb schnell und frühzeitig darüber informieren, da die meisten Programme bei einer bestimmten Anzahl von Ausstellern gedeckelt sind.
Vielen Dank für das Gespräch!
Dieses Interview ist Teil von Mittelstand Wissen zum Thema Messen & Internationale Geschäftsanbahnung