01.06.2023Interview

Risiken des Klimawandels für KMU-Lieferketten

Wie gefährdet sind Lieferketten durch den Klimawandel? Was können KMU dagegen tun?

Die Krisen der vergangenen Jahre haben gezeigt, wie anfällig internationale Lieferketten sind. Mit dem voranschreitenden menschengemachten Klimawandel mehren sich die Gefahren für Lieferketten. Der DMB im Gespräch mit Irene Seemann vom Netzwerk Klimaanpassung & Unternehmen.NRW über die Gefahren des Klimawandels für Lieferketten und mögliche Schutzmaßnahmen für Unternehmen.

DMB: Welches Risiko stellt der Klimawandel für die Lieferkette kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) dar? 

Irene Seemann: Der Klimawandel ist spürbar in Deutschland angekommen: Starkregen, Überschwemmungen, steigende Temperaturen, Dürren und Wasserknappheit haben weitreichende Folgen für Wirtschaft, Industrie und Infrastruktur. Dabei unterscheiden wir zwischen den Risiken am Standort sowie den Risiken in der Lieferkette eines Unternehmens.  

Gerade für KMU stellt der Klimawandel für die Lieferkette ein signifikantes Risiko dar. Das liegt daran, dass KMU oft weniger diversifiziert aufgestellt sind, sodass ein Ausfall bei einem Lieferanten oder Abnehmer sehr stark ins Gewicht fällt. Zusätzlich sehen wir auch, dass KMU meist weniger Kapazität haben, Risiken zu analysieren und zu mitigieren. Während Großunternehmen zum Beispiel die Klimarisikoanalysetools der Rückversicherer nutzen, stellen die Lizenzgebühren für KMU oft eine Hürde dar.  

An welchen Stellen einer Lieferkette lauern Gefahren durch Extremwetterereignisse? 

Die Gefahren betreffen sowohl die vorgelagerte wie auch die nachgelagerte Lieferkette. Bereits in der vorgelagerten Lieferketten lauern zahlreiche Risiken durch den Klimawandel: Wasserknappheit bedroht die Rohstoffproduktion, Starkregen und Hitze führen zu Ausfällen in der Vorproduktion der Zulieferer, etc.. Besonders die Verkehrsinfrastruktur ist von Klimawirkungen betroffen: Dürre und Trockenheit bedrohen die Schifffahrt, Starkregenereignisse und Flut wiederum können zu Problemen auf Schiene und Straße führen. Somit kann es sowohl auf dem Transportweg von Zulieferern zum KMU wie auch vom KMU zu den Abnehmern zu Lieferschwierigkeiten und Verzögerungen kommen.  

Der Klimawandel und damit einhergehende Klimarisiken beeinflussen für einige Produkte sicherlich auch die Nachfragemenge und auch den Zeitraum. So ein Unternehmen nicht direkt an den Endkunden verkauft, sondern an Firmen, die die Produkte weiterverarbeiten, können auch klimabedingte Produktionsausfälle seitens der Abnehmer zu einem Nachfragerückgang und somit Umsatzeinbußen führen.  

Können Sie uns ein konkretes Beispiel nennen?  

Ein Beispiel, das, wie ich finde, die Auswirkung von Dürre und Trockenheit auf die Wirtschaft sehr gut illustriert ist die Binnenschifffahrt auf dem Rhein. Wie Sie sicher mitbekommen haben, ist es in den letzten Jahren häufig zu Niedrigwasser auf dem Rhein gekommen. Bei Niedrigwasser können Schiffe nur noch bis zu 35% ausgelastet werden, sodass mehr Schiffe eingesetzt werden müssen, um die gleiche Menge an Waren zu transportieren. Dies erhöht die Transportkosten natürlich signifikant. Wenn der Pegelpunkt bei Kaub für mehr als 30 Tage unter den kritischen 78 cm ist, nimmt die Industrieproduktion in Deutschland um 1 % ab.[1] 

Werden die Gefahren von Extremwetterereignissen für Lieferketten in den Unternehmen bereits angemessen thematisiert? 

Aktuell sind einige, wenige Firmen in diesem Bereich gut aufgestellt. Diese Firmen haben ihre Risiken analysiert, entsprechende Maßnahmen abgeleitet und diese realisiert. Dies ist allerdings (noch) nicht der Standard. Die meisten Unternehmen haben sich bisher noch nicht ausreichend mit der Thematik befasst. Das liegt auch daran, das KMU viele andere, dringende Themen auf der Agenda haben und weniger personelle und finanzielle Kapazitäten als Großunternehmen. Durch die wachsende Anzahl an Extremwetterereignissen - allen voran der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal 2021 - sehen wir jedoch, dass das Thema verstärkt in den Fokus von Wirtschaft, Politik und Wissenschaft rückt. Dies wird auch dadurch begünstigt, dass das gesamtgesellschaftliche Verständnis für Klimaanpassung stetig wächst.  

Ein guter Beweis dafür war die große Resonanz auf das erste „Forum Klimaresilienz“, das wir als Netzwerk Klimaanpassung & Unternehmen.NRW (NKU) im März diesen Jahres in Düsseldorf ausgerichtet haben. Die Anwesenheit von knapp 300 Teilnehmenden live & online hat uns gezeigt, dass sich Unternehmen zunehmend mit der Thematik befassen.  

Was sollten KMU tun, die ihre Lieferketten resilienter gegen die Auswirkungen des Klimawandels aufstellen wollen, und worauf sollten sie dabei achten? 

Es gibt vielfältige Möglichkeiten für KMU, neben der Anpassung ihres eigenen Standorts, auch ihre Lieferkette resilienter zu gestalten. Zunächst ist es ein wichtiger erster Schritt, Klimarisiken sowie die Schaffung von Resilienz zum Managementthema zu machen. Die Durchführung einer Klimarisikoanalyse kann helfen, die Risiken in der eigenen Lieferkette zu erkennen und darauf aufbauend geeignete Maßnahmen zu entwickeln.  

Zu möglichen Maßnahmen zählen, je nach individuellen Gegebenheiten, die Diversifizierung von Zulieferern und Abnehmern, die Identifizierung alternativer Transportwege sowie die Anwendung von Tracking-Tools zur Transparenz und (Echtzeit-)Verfolgung in der Lieferkette. Auch kann die eigene Standortwahl im Ausland die Risiken in der Lieferkette beeinflussen.  

Denken Sie auch daran, Netzwerkarbeit und Risikomanagement innerhalb der Branche und konkret mit Zulieferern aktiv zu betreiben. Dadurch wird ein Vertrauensverhältnis geschaffen und Zulieferer kommunizieren im Ernstfall Probleme ggf. schneller und früher mit Ihnen, was Ihnen einen zeitlichen Vorteil verschaffen kann.  

Wie unterstützen Sie Unternehmen dabei, ihre Lieferkette klimaresilient aufzustellen? 

Unser Ziel als NKU ist es, als zentrale Anlaufstelle für nordrhein-westfälische Unternehmen hinsichtlich Klimaanpassung zu fungieren. Neben den Unternehmen, die sich bereits mit dem Thema der Anpassung an die Folgen des Klimawandels befassen oder dies zukünftig verstärkt tun wollen, stehen auch Unternehmen im Fokus, die Klimaanpassungsleistungen anbieten.  

Die Bandbreite der Angebote des Netzwerks reicht von Wissensvermittlung, z.B. auf Veranstaltungen, über die Bereitstellung eines Fördernavigators und einer Übersicht von Tools & Selbstchecks auf unserer Webseite bis hin zur Kommunikation von Best-Practice-Beispielen. Unsere Hauptaufgabe ist natürlich die Vernetzung: von Informationen und Daten, von Expert:innen und Berater:innen, von potenziellen Partner-Unternehmen, zwischen Unternehmen und Kommunen oder Verbänden….  

Unternehmen, die Lösungen zur Klimaanpassung für andere Unternehmen anbieten, geben wir eine Austauschplattform und machen ihre Kompetenzen sichtbar. So kommen Lösungsanbieter mit lösungssuchenden Unternehmen in den Austausch.  

Wo erhalten Unternehmen weitere Informationen und Unterstützung zum Umgang mit klima-bedingten Risiken für die Lieferkette? 

KMU können sich gerne mit ihren individuellen Fragestellungen bei uns melden. Wir vermitteln dann passende Kontakte zu Beratungsangeboten, in die Wissenschaft oder zu Hilfestellungen, Tools und Fördermöglichkeiten.   

Quellen:

[1] Prognos 2022 (basierend auf: IFW Kiel 2019; DVZ 2022)

 

Dieser Beitrag ist Teil von Mittelstand WISSEN zum Thema "Unternehmerische Widerstandsfähigkeit"

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