27.08.2018Fachbeitrag

Sachgrundlose Befristung eines Arbeitsverhältnisses

Welche Bedeutung hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts für die Praxis und wie geht es im Befristungsrecht weiter?

Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 6. Juni 2018 zum Az.: 1 BvR 1375/14 und zum Az.: 1 BvL 7/14 – verfassungsgerichtliche Klarstellungen zu den Möglichkeit zur sachgrundlosen Befristung eines Arbeitsverhältnisses

Hintergrund der Entscheidungen:

Die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen – also die Befristung des Arbeitsverhältnisses, ohne dass für die Befristung ein Rechtsfertigungsgrund vorliegt – ist aus Sicht der Arbeitgeber eine sehr beliebte Vertragsgestaltungsart. Arbeitgeber haben ein Interesse an einer Flexibilisierung des Arbeitsverhältnisses. Dadurch ist es ihnen möglich, auf eine unsichere sowie schwankende Auftragslage und auf wechselnde Marktbedingungen flexibel zu reagieren. Durch die sachgrundlose Befristung sichert der Arbeitgeber seine Wettbewerbsfähigkeit und verringert sein Prozesskostenrisiko bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die Praxisrelevanz der sachgrundlosen Befristung wird dadurch unterstrichen, dass nach Angaben der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE (Bundestag-Drucksache 18/2621) rund die Hälfte aller Einstellungen sachgrundlos befristet sind.

Die Voraussetzungen für eine wirksame sachgrundlose Befristung sind in § 14 Absatz 2 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) vorgegeben. Danach, darf die Befristung höchstens für einen Zeitraum von zwei Jahren abgeschlossen sein. Innerhalb dieser zweijährigen Gesamtdauer der Befristung sind bis zu drei Verlängerungen eines kalendermäßig befristeten Arbeitsvertrags zulässig – es muss nur die Höchstbefristungsdauer eingehalten bleiben. Die weitere Voraussetzung ist, dass das sog. Vorbeschäftigungsverbot aus § 14 Absatz 2 Satz 2 TzBfG eingehalten wird. Dort ist vorgesehen, dass eine „sachgrundlose Befristung nicht zulässig [ist], wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat." Aber was heißt in diesem Zusammenhang „bereits zuvor“ – jemals zuvor, irgendwann zuvor oder unmittelbar zuvor?

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte mit seinem Urteil vom 6. April 2011 zum Az.: 7 AZR 716/09 festgestellt, dass das Vorbeschäftigungsverbot einschränkend auszulegen ist und es daher einer erneuten sachgrundlosen Befristung eines Arbeitsverhältnisses durch denselben Arbeitgeber nicht entgegensteht, wenn das Arbeitsverhältnis mehr als drei Jahre zurückliegt. Diese Rechtsprechung des BAG war nur Gegenstand einer verfassungsrechtlichen Prüfung, die im Urteil vom 6. Juni 2018 erfolgte. Das Bundesverfassungsgericht hatte darüber zu entscheiden, ob das Vorbeschäftigungsverbot an sich verfassungswidrig ist und ob die Rechtsprechung des BAG mit dem Grundgesetz im Einklang steht.

Wie kam es zu dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts?

Dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts liegen zwei Ausgangsverfahren zugrunde. Das Arbeitsgericht Braunschweig hatte dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob das Vorbeschäftigungsverbot verfassungswidrig ist, da die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) eingeschränkt wird. Zusätzlich war eine Verfassungsbeschwerde, die ein Arbeitnehmer gegen die rechtskräftige Abweisung seiner Befristungskontrollklage erhoben hatte, Gegenstand des Bundesverfassungsgerichtsverfahrens.

Welche Aussagen hat das Bundesverfassungsgericht für die Praxis getroffen?

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist nun aus mehreren Gesichtspunkten sehr praxisrelevant:

Zum einen ist das Vorbeschäftigungsverbot aus § 14 Absatz 2 Satz 2 TzBfG nicht für verfassungswidrig erklärt worden. Das Vorbeschäftigungsverbot stellt vielmehr eine gerechtfertigte – also eine geeignete, erforderliche und grundsätzlich verhältnismäßige – Beschränkung der Berufsfreiheit (Artikel 12 GG) dar, die darüber hinaus den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG) nicht tangiert.

Die Verhältnismäßigkeit ist jedoch nur gewahrt, soweit das Verbot der sachgrundlosen Befristung erforderlich ist, um das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelarbeitsverhältnis zu erhalten und soweit eine Gefahr besteht, dass mit der Kettenbefristung die strukturelle Unterlegenheit des Arbeitsnehmers ausgenutzt wird. Wann diese Voraussetzungen erfüllt sind, erklärt das Bundesverfassungsgericht auch, indem es auf eine „sehr lang zurückliegende“ Vorbeschäftigung, eine „ganz anders geartete“ Vorbeschäftigung oder eine Vorbeschäftigung von „sehr kurzer Dauer“ abstellt. Vom Vorbeschäftigungsverbot nicht umfasst seien damit geringfügige Nebenbeschäftigungen während der Schul- oder Studien- oder Familienzeit oder Unterbrechungen in der Erwerbsbiografie, die mit einer beruflichen Neuorientierung oder einer Aus- und Weiterbildung einhergehen.

Zum anderen hat das Bundesverfassungsgericht der Rechtsprechung des BAG, die aus dem Vorbeschäftigungsverbot letztlich eine dreijährige Karenzzeit gemacht hat, vorgehalten, dass die Grenze der vertretbaren Auslegung überschritten ist und dass das BAG mit seiner seit 2011 praktizierten Rechtsprechung eine unzulässige Rechtsfortbildung vorgenommen hat, da vor allem die Entstehungsgeschichte von § 14 Absatz 2 Satz 2 TzBfG zum Ausdruck bringt, dass der Gesetzgeber eine der Rechtsprechung des BAG widersprechende Grundsatzentscheidung getroffen hat.

Das Bundesverfassungsgericht hielt demnach im Ergebnis fest, dass die Formulierung „bereits zuvor“ im Sinne des § 14 Absatz 2 Satz 2 TzBfG jedes zuvor bestandene Arbeitsverhältnis umfasst und sich die Möglichkeit zu einer sachgrundlose Befristung nur dann eröffnet, sofern es sich um das erste Arbeitsverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber handelt. Jede erneute sachgrundlose Befristung bei demselben Arbeitgeber hingegen ist verboten, sofern nicht das Verbot der Vorbeschäftigung unverhältnismäßig ist, da die Vorbeschäftigung sehr lange zurückliegt, von sehr kurzer Dauer gewesen war oder es zu einer Unterbrechung in der Erwerbsbiografie gekommen ist, die eine berufliche Neuorientierung oder eine Aus- und Weiterbildung erforderlich gemacht haben.

Welche Bedeutung hat das Urteil Bundesverfassungsgericht für die Praxis und wie geht es im Befristungsrecht weiter?

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts führt in der Praxis zunächst einmal zu einer abschließenden Klärung der Rechtslage und führt damit zur Steigerung der Rechtsanwendungssicherheit. Aus diesem Blickwinkel ist das Urteil vom 6. Juni 2018 erfreulich und sehr positiv zu bewerten.

Das Ergebnis, welches das BAG seit seinem Urteil vom 6. April 2011 zum Az.: 7 AZR 716/09 konsequent vertreten hat, ist – vor allem auf der Unternehmensseite – positiv aufgenommen worden. Jedoch wurden auch schon seit dem Jahr 2011 erhebliche Bedenken gegen die juristische Herleitung erhoben (vgl. nur Prof. Dr. Rüdiger Krause in Juristische Arbeitsblätter 2012, Seite 468). Das BAG hatte seinen eingeschlagenen Kurs unbeirrt von der Kritik weiterverfolgt. Zwischenzeitlich verweigerten aber auch immer mehr Landesarbeitsgerichte dem BAG in dieser Fragestellung die Gefolgschaft (vgl. nur LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 27. Juli 2017 zum Az.: 4 Sa 221/16; LAG Niedersachsen, Urteil vom 20. Juli 2017 zum Az.: 6 Sa 1125/16).

Arbeitsrechtlich gut beratene Unternehmen haben im Lichte der vehementen (und gut begründeten) Kritik gegen die Rechtsprechung des BAG daher schon seit Jahren davon Abstand genommen, das Vorbeschäftigungsverbot nur als eine dreijährige Karrenzeit zu betrachten. Diesen Arbeitgebern ist nun Recht gegeben worden.

Erfreulich ist zudem, dass das Bundesverfassungsgericht Fallgruppen herausgebildet hat, die das umfassende Verbot der erneuten sachgrundlosen Befristung in Ausnahmefällen einschränken – z.B. wenn das Vorbeschäftigungsverhältnis sehr lange zurückliegt, von sehr kurzer Dauer gewesen ist oder es zu einer Unterbrechung in der Erwerbsbiografie gekommen ist, die mit einer beruflichen Neuorientierung oder einer Aus- und Weiterbildung einhergegangen ist. Diese Fallgruppen machen die Vorgaben des Befristungsrechts für die Praxis konkreter und besser händelbar, wobei die Arbeitsgerichte den Fallgruppen auch noch weitergehende Konturen verschaffen müssen. Diese Entwicklung gilt es zu beobachten, da eine unwirksame sachgrundlose Befristung dazu führt, dass der befristet geschlossene Arbeitsvertrag auf unbestimmte Zeit geschlossen gilt (§ 16 TzBfG).

Unabhängig davon ist auch die politische Entwicklung dieses Bereichs zu beobachten, da die sachgrundlose Befristung an sich starken Gegenwind erfahren hat. Zwar weist die Unternehmensseite regelmäßig daraufhin, dass die sachgrundlose Befristung ein nützliches Instrument zur Flexibilisierung von Arbeitsverhältnissen darstellt, die insbesondere auch die Möglichkeit bieten kann, in eine unbefristete Anschlussbeschäftigung zu wechseln. Die Gegner der sachgrundlosen Befristung sehen darin aber alleine einen Weg zur Umgehung des Kündigungsschutzes. Der Koalitionsvertag sieht als Ergebnis des politischen Diskurses zu diesen Positionen gravierende Einschränkungen für die sachgrundlose Befristung vor, deren Umsetzung aktuell aber noch abzuwarten bleibt. So sollen Arbeitgeber mit mehr als 75 Beschäftigten nur noch maximal 2,5 Prozent der Belegschaft sachgrundlos befristen dürfen und sofern diese Quote überschritten wird, gilt jedes weitere sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnis als unbefristet zustande gekommen, wobei die Quote jeweils auf den Zeitpunkt der letzten Einstellung ohne Sachgrund bezogen werden soll. Für Arbeitgeber mit mehr als 75 Beschäftigten erhöhen sich mithin vor allem der Verwaltungs- und der Bürokratieaufwand, der mit befristeten Beschäftigten einhergeht. Bislang gab es keine Verpflichtung für den Arbeitgeber einen Sachgrund für die Befristung in den Arbeitsvertrag aufzunehmen oder auch sich überhaupt festzulegen, ob eine sachgrundlose Befristung oder eine Sachgrundbefristung gegeben ist. Um die Quote der sachgrundlos befristeten Beschäftigten zu ermitteln, werden diese Entscheidungen zukünftig aber dokumentiert werden müssen.

Auch in der Anzahl wird die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung stark eingeschränkt werden. Ein Unternehmen mit 100 Arbeitnehmern kann nur noch 2,5 Arbeitnehmer sachgrundlos befristet beschäftigen. Neben der quantitativen Einschränkung soll auch die zeitliche Möglichkeit zur sachgrundlose Befristung eingeschränkt werden, indem die Höchstdauer von 24 Monaten auf 18 Monate reduziert wird. Zudem soll im Rahmen dieser Gesamtdauer nur noch eine einmalige statt bisher eine dreimalige Verlängerung möglich sein.

Neben der sachgrundlosen Befristung ist aber auch die Sachgrundbefristung auch den Prüfstand gestellt worden, um sog. Kettenbefristungen zu verhindern. Eine Sachgrundbefristung soll daher nicht mehr zulässig sein, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein unbefristetes oder ein oder mehrere befristete Arbeitsverhältnisse mit einer Gesamtdauer von fünf oder mehr Jahren bestanden haben, wobei auch Tätigkeitszeiten des Arbeitnehmers als Leiharbeitnehmer angerechnet werden sollen. Nach Erreichen der fünfjährigen Höchstdauer soll eine Karenzzeit von drei Jahren erforderlich sein, bevor wieder ein befristetes Arbeitsverhältnis aufgenommen werden kann. Das stellt einen Paradigmenwechsel dar, da bei der Sachgrundbefristung bislang weder eine solche Karenzzeit noch eine Höchstdauer für die Befristung vorgesehen waren.

Wenn die Vorhaben im Koalitionsvertrag zu befristeten Arbeitsverhältnissen umgesetzt werden, wird die Attraktivität der Gestaltungsvariante „sachgrundlos befristeter Arbeitsvertrag“ erheblich eingeschränkt. Aber auch eine Sachgrundbefristung wird erschwert. Das Flexibilisierungsinstrument des Befristungsrechts wird damit abgestumpft und zugleich wird der Dokumentations- und der Bürokratieaufwand in diesem Zusammenhang erhöht. Ob die gesetzgeberische Entwicklung in dieser Weise erfolgt, bleibt abzuwarten und zu beobachten.

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