02.02.2022Interview

„Es müssen nicht immer nur die großen Leitmessen sein.“

Stephanus Lintker und Sophie Orthuber sind überzeugt, dass es nach der Corona-Pandemie auch künftig Messen in Präsenz geben wird.

17 Jahre lang unterstützten Stephanus Lintker und Sophie Orthuber gemeinsam mit ihrem Team der EnergieAgentur.NRW im Auftrag des Landes Nordrhein-Westfalen kleine und mittlere Unternehmen (KMU) aus der Energiewirtschaft dabei, auf internationalen Märkten Fuß zu fassen. Messen waren dazu ein wichtiges Instrument der Geschäftsanbahnung. Welche Vorteile Messen bei der Erschließung neuer Märkte haben und warum es nach der Corona-Pandemie wieder zu Präsenz-Messen kommen muss, erklären die beiden im Interview.

Die EnergieAgentur.NRW hat kleine und mittlere Unternehmen (KMU) aus dem Energiebereich im Auftrag der nordrhein-westfälischen Landesregierung über viele Jahre dabei unterstützt, in neue Märkte einzusteigen. Bitte stellen Sie uns diese Arbeit kurz vor.

Stephanus Lintker: Die EnergieAgentur.NRW war über einen Zeitraum von 30 Jahren eine Informations-, Beratungs-, Netzwerk- und Austauschplattform im Bereich Energie und Klimaschutz für das Land Nordrhein-Westfalen. Während bei der Beratungstätigkeit häufig Kommunen und teilweise auch Einzelpersonen zur Zielgruppe gehörten, richteten sich die Angebote im Bereich der Geschäfts- und Technologieentwicklung häufig an KMU.

Um innovative Energietechnologien und neue Dienstleistungen im Bereich der Energiesysteme zu unterstützen, gab es in der EnergieAgentur.NRW eine Querschnittsfunktion über alle Technologiesäulen. Dieser Bereich arbeitete über die Jahre unter verschiedenen Namen, eine Zeit lang Außenwirtschaftsaktivitäten und zuletzt hieß er Internationale Beziehungen. Aufgabe und Ziel blieben aber immer gleich: Es ging darum, KMU beim Auf- und auch beim Ausbau ihrer internationalen Geschäfte zu begleiten.

Sophie Orthuber: Daneben zählte stets auch der Aufbau internationaler Partnerschaften zwischen Regionen und die Förderung des internationalen Know-How-Austausches zu Klima- und Energietechnologien zu unserer Aufgabe. So konnten wir herausfinden, bei welchen Aspekten andere Länder fortschrittlicher sind und wie wir von ihnen lernen können. Umgekehrt konnten wir aber auch zeigen, wo wir in Deutschland oder speziell in Nordrhein-Westfalen schon fortschrittlicher sind als andere Staaten. Zum Beispiel befanden wir uns mit Polen jahrelang im engen Austausch darüber, wie man es als Industrieland mit einer langen Geschichte der Kohlenutzung schaffen kann, klimaneutral zu werden. Im Rahmen solcher Partnerschaften kam es dann auch zu gegenseitigen Besuchen z.B. im Rahmen von Unternehmerreisen.

Die längste Kooperation bestand mit Japan. Vorausgegangen war eine offizielle Erklärung der Regierungen von Nordrhein-Westfalen und der Präfektur Fukushima zur Zusammenarbeit. Daraus hat sich dann entwickelt, dass wir dort jährlich gemeinsam mit NRW-Unternehmen auf einer Messe vertreten waren. Sich gemeinsam mit KMU auf einer Messe zu präsentieren oder auf eine Unternehmerreise zu gehen, war für uns ein Instrument, um diese Partnerschaften mit Leben zu füllen.

Welche Messen waren besonders bedeutsam?

Lintker: Von besonderer Bedeutung war für uns die Messe REIF in Japan. Das ist eine regionale Messe in der Präfektur Fukushima. Ausgangspunkt war die große Katastrophe mit dem Erdbeben, dem Tsunami und den vier Reaktorunfällen im Jahr 2011 sowie der darauffolgende politische Wille dort, vollständig auf Erneuerbare Energien umzusteigen. Wäre die Corona-Pandemie nicht dazwischengekommen, hätten wir im vergangenen Jahr zum zehnten Mal an der REIF teilgenommen.

Für KMU ist das eine Erfolgsgeschichte. Aus dem regelmäßigen, stetig betreuten und hier und da auch politisch begleiteten NRW-Messeauftritt haben sich fünf oder sechs Unternehmenskooperationen entwickelt. Dort haben nordrhein-westfälische KMU Partner gefunden und sind jetzt auf dem japanischen oder auch dem weiteren asiatischen Markt unterwegs. Aus diesem Impuls gab es aber auch die umgekehrte Sogwirkung, sodass die japanischen Firmen jetzt auch auf dem Markt und auf Messen in Nordrhein-Westfalen vertreten sind. Business wurde hier wirklich stimuliert.

Orthuber: Fukushima ist zwar keine Metropole und vielleicht auch nicht der erste Ort, der einem einfällt, wenn man in den japanischen Markt einsteigen möchte. Vielleicht wäre es vor zehn Jahren auch einfacher gewesen, sich zuerst eine große Messe in Tokio oder einer anderen Metropole anzusehen. Aber das Besondere und letztlich auch Erfolgreiche war, dass wir mit Fukushima in eine Nische hineingegangen sind. Auf einer kleinen Provinzmesse, die nur eine Halle umfasst, ist ein Messestand aus dem Ausland ein totales Highlight. Ein solcher Messestand mit neuen Technologien, hat viel mehr Aufmerksamkeit erregt als auf einer großen Leitmesse in der Hauptstadt. Das ist auch eine Botschaft, die wir vermitteln können: Es müssen nicht immer nur die großen Leitmessen sein, sondern vielleicht schaut man auch mal auf die Nischenmessen im Umland. Denn dort erregen ausländische KMU eine ganz andere Aufmerksamkeit als auf großen Messen, wo die Besucher mit ausländischen Technologien überladen werden.

Mit der Teilnahme an einer Messe ist ein personeller, zeitlicher und auch finanzieller Aufwand verbunden. Gerade für KMU ist dieser Aufwand oft eine besondere Herausforderung. Welche Alternativen gibt es zu internationalen Messen?

Lintker: Messen sind für alle, die Produkte präsentieren möchten, der wichtigste Baustein im internationalen Auftritt. Auf einer Messe herrscht aber natürlich die Situation, dass man mit Wettbewerbern auftritt. Hinzu kommt, dass man den jeweiligen ausländischen Markt auch zunächst ein wenig kennenlernen muss.

Wir haben versucht, Delegationsreisen und Messen miteinander zu kombinieren. Über die Messen erhalten Unternehmen auf der einen Seite die Markt- und Produktpräsenz und über die Delegationsreisen lernen sie auch den Hintergrund kennen und kommen in direkte, vorsortierte B2B-Kontakte. Auf einer Delegationsreise können sich Unternehmen außerdem mit einem Vortrag vor ausgewähltem Publikum präsentieren und das energiepolitische Umfeld noch einmal besser kennenlernen. Die Kombination beider Formate ist ideal.

Eine Woche vor Ort zu sein, kostet Geld. In dieser Zeit kann man auch Zuhause im Betrieb keine Arbeit leisten. Aber wer sich nicht bewegt, wird auch keine Geschäfte machen können. Das Land Nordrhein-Westfalen hat Unternehmen bei solchen Aktivitäten immer auch finanziell unterstützt.

Gerade zu Beginn der Corona-Pandemie sind viele Messen ausgefallen. Sind die Ausrichter in dieser Zeit auf alternative Formate wie digitale Messen in der Energiewirtschaft ausgewichen?

Orthuber: Als die Corona-Pandemie im ersten Halbjahr 2020 ausbrach, haben auch die Messe-Ausrichter gemerkt, dass es mit Besuchern vor Ort nicht mehr geht. Dann sind alle auf rein digitale Formate umgestiegen. Später sind noch hybride Events dazu gekommen.

Nach unserer Erfahrung fehlte da allerdings einiges. Die notwendige Technologie war zu diesem Zeitpunkt einfach noch nicht so weit, dass man gern an einem digitalen Messestand verweilte, wie man das normalerweise auf den Messefluren macht, von Stand zu Stand geht und schaut, ob man zufällig ins Gespräch kommt oder man sich nur die Produkte ansieht. Dieses Bummeln durch die Messestände, das macht niemand digital.

Wir waren mit eigenen digitalen Messeständen auch auf mehreren lateinamerikanischen Messen vertreten. Hinterher haben wir immer eine Auswertung erhalten, wie viele Sekunden oder Minuten ein Besucher an unserem Messestand verweilte. Das war nie wirklich viel. Der direkte Kontakt geht total verloren und man sitzt mittlerweile im Arbeitsalltag in vielen digitalen Meetings. Dadurch tritt nicht nur eine generelle Online-Müdigkeit, sondern dann auch eine Messemüdigkeit auf.

Im Herbst 2020 haben wir allerdings trotz Pandemie und Reisebeschränkungen auch an einer REIF-Messe teilgenommen, die hybrid umgesetzt wurde. Im Rahmen des NRW-Gemeinschaftsstandes haben wir Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen eine hybride Option angeboten. Teilnehmer, die einen Partner vor Ort hatten, konnten auch direkt persönlich teilnehmen. Unternehmen, die noch keinen Partner vor Ort hatten oder sich alleine präsentierten, erhielten die Möglichkeit, sich über Bildschirme zuzuschalten. Hostessen haben dann die Besucher vor Ort herbei gewunken und auf die digitalen Aussteller aufmerksam gemacht, um das Gespräch herzustellen. Das hat gut funktioniert. Unsere Kollegin, die das damals betreut hat, hat zwei Nächte durchgearbeitet. Denn bei internationalen digitalen Messen spielt natürlich auch noch die Zeitverschiebung eine große Rolle.

Spielen auch kulturelle Unterschiede eine Rolle?

Orthuber: Generell gibt es riesige kulturelle Unterschiede. Besonders wir Deutschen sind sehr direkt und glauben, dass es für einen Geschäftsabschluss ausreicht, vorher ein paar Emails hin- und herzuschicken. In anderen Ländern trifft man sich vorher z. B. erstmal zum Essen oder besucht sich zumindest öfter. Was die Offenheit gegenüber digitalen Instrumenten betrifft, habe ich aber schon das Gefühl, dass durch Corona alle ein bisschen flexibler geworden sind.

Lintker: Die Möglichkeit, sich digital auszutauschen, ist positiv, da es dadurch viel häufiger zum Austausch kommt. Früher ist man einmal im Jahr nach Japan gefahren, hat die Messe ausgerichtet, eine Delegationsreise durchgeführt und dabei B2B-Kontakte gehabt. Da hatte man für eine Woche ein wirklich straffes Programm und ist dann wieder nach Hause gefahren. Wer gute Gespräche geführt hat, konnte anschließend was daraus machen.

Durch die digitalen Möglichkeiten war es zuletzt so, dass wir wöchentlich einen Austausch mit Japan hatten. Da wurde also jede Woche mit den Geschäftspartnern in anderen Ländern gesprochen. Dieser häufige Kontakt über die Kulturgrenzen hinaus öffnet und man ist viel lockerer. Dann trifft man sich auch schon einmal spontan.

Letztendlich wird man aber ohne eine physische Messe, ohne den wirklichen persönlichen Austausch und ohne die Möglichkeit, sich ins Gesicht zu blicken, nicht arbeiten können. Das gilt insbesondere, wenn man Produkte verkauft. Ich kann mir keine Automesse virtuell vorstellen. Die Messebesucher wollen das Feeling eines Autos spüren und sich auch hineinsetzen. Dieses Emotionale spielt bei Energietechnologien vielleicht eine geringere Rolle. Aber Biogasanlagen oder Pelletheizungen sind nicht immer gleich und auch hier sind auf Präsenz-Messen die Hintergründe in ihrer Tiefe im Gespräch besser zu vermitteln, als wenn man es nur online sieht.

Werden nach der Corona-Pandemie Messen grundsätzlich wieder so stattfinden wie vor der Pandemie oder werden sich andere Formen wie zum Beispiel hybride Messen durchsetzen?

Lintker: Ich denke, wir werden wieder vollständig zu realen Messen zurückkehren. Das zeichnet sich bereits daran ab, dass Messen, die hybrid durchgeführt werden könnten, momentan verschoben werden. Die REIF in Fukushima ist bereits auf einen anderen Termin verlegt worden. Auch Messen in Deutschland werden nun um zwei, drei Monate verschoben, um sie dann im Sommer real auszuführen. Es ist das wichtigste Interesse der Messestandorte, Messen wirklich real auszurichten. Damit ist auch ein Hygienekonzept verbunden, was aber an den nationalen Standorten mittlerweile funktioniert und umsetzbar wäre.

Letztes Jahr fand im September erstmals wieder die Husum Wind in Präsenz statt, eine internationale Messe der Windenergiebranche. Dort fielen sich die Leute regelrecht um den Hals und freuten sich, dass sie sich nach zwei Jahren Abstinenz mal wieder sehen konnten. Aus meiner Sicht ist das ein eindeutiges Votum.

Orthuber: Man könnte meinen, die Energiewirtschaft sei riesig, aber an sich hat man immer mit den gleichen Personen zu tun. Es ist wie eine kleine Familie. Deswegen ist es auch nötig, dass man sich zumindest einmal im Jahr auf einem Event in real sieht. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass sich im Konferenz- und Veranstaltungsbereich hybride Formate auch zukünftig durchsetzen werden. Wenn man sich aber auf den Fachkonferenzen nicht mehr real begegnet, ist es umso notwendiger, sich zum Beispiel im Rahmen einer Messe persönlich auszutauschen oder einfach mal wieder gemeinsam einen Kaffee zu trinken.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Orthuber und Herr Lintker!

Die Tätigkeit der EnergieAgentur.NRW im Auftrag des Landes Nordrhein-Westfalen endete am 31. Dezember 2021. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen bündelt seit dem 1. Januar 2022 ihre Aktivitäten im Bereich Energie und Klimaschutz in der neuen Landesgesellschaft NRW.Energy4Climate.

Dieses Interview ist Teil von Mittelstand Wissen zum Thema Messen & Internationale Geschäftsanbahnung

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