02.11.2021Interview

US-Bundesstaaten und Großstädte haben Klimaschutz vorangetrieben

Nachdem die USA dem Pariser Klimaschutzabkommen unter der Vorgängerregierung den Rücken gekehrt haben, sind sie dem Abkommen am Tag nach der Amtseinführung von Präsident Biden erneut beigetreten.

US-Präsident Biden möchte die USA bis zum Jahr 2050 klimaneutral machen. Seine dafür angekündigten Maßnahmen werden als starkes Zeichen für die Entschlossenheit der US-Regierung in der Klimapolitik gewertet. Doch was kann die Welt von den wieder erwachten klimapolitischen Ambitionen der USA erwarten? Und was bedeutet dies für die Chancen deutscher KMU in den USA?

DMB: Herr Rieg, am Tag nach Joe Bidens Amtsantritt sind die USA dem Klimaabkommen von Paris erneut beigetreten. Wie schätzen Sie die wieder erwachten klimapolitischen Ambitionen der USA ein?

Derzeit erleben wir wieder einmal eine Zäsur in der amerikanischen Politik. Eine der großen Maßnahmen unter Donald Trump war der Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen. Präsident Biden hat die USA nun wieder in das Abkommen zurückgeführt. Eines ist mir an dieser Stelle allerdings wichtig. Die USA sind ein riesiges Land mit 50 Einzelstaaten und es gab früher schon einige Bundesstaaten, vorneweg die im Nordosten und an der Westküste, die gegen den Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen waren. Diese Einzelstaaten und auch einzelne Kommunen haben die ursprünglichen Klimaziele weiterhin intensiv verfolgt. Daher gab es auf bundesstaatlicher Ebene und auch in einigen großen Städten, wie zum Beispiel New York, neben Absichtserklärungen groß angelegte Programme.

In Deutschland ist das vielleicht nicht so bekannt, aber von den 50 Einzelstaaten haben 36 inzwischen sogenannte renewable portfolio standards (RPS)* verabschiedet. Der Bundesstaat New York hat in seinem RPS festgelegt, dass bis zum Jahr 2040 40 Prozent und bis zum Jahr 2050 85 Prozent der Energie aus erneuerbaren Energien gewonnen werden muss. Diese Standards gibt es schon recht lange. Über steuerliche Anreize auf föderaler Ebene wurde die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien gefördert. Dies hat auch über die letzten Jahre angehalten und dazu geführt, dass in den USA weiterhin massiv in erneuerbare Energien investiert wurde. Die USA sind unter der Vorgängerregierung zwar aus dem Pariser Klimaabkommen ausgetreten, dennoch ist in den letzten Jahren beim Klimaschutz einiges passiert.

* renewable portfolio standards: Standards, die Energieversorger dazu verpflichten, einen festgelegten Anteil ihrer bereitgestellten Energie aus erneuerbaren Energiequellen zu gewinnen.

 

Sind die klimapolitischen Ziele der USA und das, was auf föderaler, staatlicher und kommunaler Ebene bereits passiert, für deutsche KMU eher ein Vorteil? Oder sehen Sie eher einen Wettbewerbsvorteil für amerikanische Unternehmen?

Die USA sind ein offener Markt. Es gibt zwar den Buy American Act* über den hier diskutiert wird. Dabei geht es auch darum, wo Güter produziert werden. Deutsche Firmen, die vor Ort sind und produzieren, zählen dann teilweise ebenfalls als heimische Unternehmen. Aber grundsätzlich bin ich davon überzeugt, dass auf dem US-amerikanischen Markt enorme Möglichkeiten für deutsche KMU bestehen. Bei Großprojekten wie einem Windpark zum Beispiel, gibt es viele Arbeitsschritte und Dinge, die um die eigentlichen Anlagen herum anfallen. Technik muss verbaut und Kabel müssen verlegt werden. Bei solchen Projekten gibt es viele Einzelfacetten, bei denen sich Unternehmen Marktchancen eröffnen.

Die AHK New York hat bereits vier Delegationsreisen zum Thema Offshore-Windenergie durchgeführt und die fünfte steht bereits vor der Tür. Im Rahmen dieser Delegationsreisen können Unternehmen ausloten, wo sich welche Geschäftsmöglichkeiten für sie auftun. Das bezieht sich nicht nur auf den Bau von Windenergieanlagen. Die Stadt New York zum Beispiel hat für ihre Hochhäuser festgelegt, wie viel Energie die Häuser verbrauchen dürfen und welche Strafzahlungen zu leisten sind, wenn ihre Fassaden und Fenster nicht renoviert werden. Auch zum Thema Energieeffizienz in Gebäuden und Smartgrids** führen wir bald eine Delegationsreise in New York durch. Passende Konzepte sind hier vor Ort wirklich gefragt und werden mit offenen Armen empfangen.

* Buy American Act: Gesetz, das die US-amerikanische Industrie vor ausländischer Konkurrenz bei Beschaffungsverträgen der Bundesregierung schützen soll.

** Smartgrid: intelligentes Stromnetz, in dem Erzeugung, Verbrauch und Speicherung von Strom aufeinander abgestimmt werden, um Leistungsschwankungen im Netz auszugleichen.

 

Die Mehrheiten im amerikanischen Kongress sind knapp verteilt. Glauben Sie, dass diese Situation die Klimaziele der USA blockieren oder verändern wird?

Die Mehrheiten im Kongress sind sehr dünn. Man darf aber nicht vergessen, dass mit dem Regierungswechsel auch ein Personalwechsel in Ministerien, Ämtern, Agenturen und weiteren wichtigen Schaltstellen der zentralen Regierung einhergegangen ist. So zum Beispiel auch beim Bureau of Ocean Energy Management (BOEM), der Behörde, die für die Genehmigung von Ölplattformen oder auch großer Offshore-Windfarmen zuständig ist. Nach diesem Personalwechsel drängt sich einem der Eindruck auf, dass sich nun auch im Zuständigkeitsbereich der föderalen Regierung etwas tut. Wenige Wochen nachdem die neue Leiterin des BOEM ihre Arbeit aufgenommen hatte, wurde dann das erste große Offshore-Windprojekt genehmigt.

Am Ende ist das Ganze auch ein Wechselspiel zwischen der föderalen und der bundesstaatlichen Ebene. Natürlich definiert die Regierung in Washington Ziele für die gesamten USA und wie diese erreicht werden sollen. Die Ziele der Biden-Administration sind ja auch sehr ambitioniert. Bei diesen föderalen Zielen müssen die einzelnen Bundesstaaten sowieso folgen. Die einzelnen Staaten, die in Sachen Energiewende und Klimaschutz bereits viel getan haben, tun sich da natürlich leichter. Die anderen Staaten werden aber auch mitziehen. Auch wenn in Städten und Einzelstaaten in den letzten Jahren weiterhin Klimaschutz betrieben wurde, ist es wichtig, dass es auch auf föderaler Ebene wieder entsprechende Impulse gibt.

 

An welchen Stellen besteht bei der amerikanischen Energiewende aus Ihrer Sicht noch Verbesserungspotential?

Je nach Blickwinkel kann man da natürlich immer sehr kritisch sein. Ich bin jetzt schon sehr lange in den USA und kenne die Situation dort viel besser als die in Deutschland. Ich denke, der amerikanische Weg sowie die Finanzierung und auch die Struktur der Projekte ist etwas anders. Hier wird viel über Anreize geregelt, zum Beispiel mit Tax-Credits. Zur Vermarktung von Strom aus erneuerbaren Energien werden oft Power Purchase Agreements (PPA)* geschlossen. Bei einem Windenergieprojekt an der Küste, für das jetzt ein Power Purchase Agreement geschlossen wurde, erfolgt die Stromabnahme zu einem Preis von 7,5 Dollar-Cent pro Kilowattstunde Windstrom. Das ist doch ein sehr wettbewerbsintensiver Preis für die Konsumenten.

Den NIMBY-Effekt**und Erneuerbare-Energien-Projekte, die nach mehreren Jahren an gerichtlichen Verfügungen und Einsprüchen scheitern, gibt es trotz allem natürlich auch in den USA. Mit der neuen Regierung besteht der politische Wille zu mehr Klimaschutz und Energiewende jetzt aber auch wieder auf föderaler Ebene.

* Power Purchase Agreement: privatrechtlicher Strombezugsvertrag für erneuerbaren Strom, bei dem ein Vertragspartner üblicherweise ein Stromerzeuger und der andere Vertragspartner ein größerer Abnehmer ist.

** NIMBY steht für “Not In My Back Yard” und bezeichnet die Haltung, die Vorteile moderner Technik zwar nutzen zu wollen, aber gleichzeitig keine damit einhergehenden Nachteile in der eigenen Umgebung zu akzeptieren.

 

Welche Rolle erwarten Sie von den USA beim globalen Einsatz für den Klimaschutz?

Die Ziele der Biden-Administration sind sehr klar und wurden bereits als Green New Deal bezeichnet. Klimaschutz ist integraler Bestandteil ihrer geplanten Infrastrukturmaßnahmen, die derzeit intensiv und lebendig im US-Kongress debattiert werden. Auch wenn die Mehrheiten dort sehr dünn sind, hat die Regierung das Ziel ganz klar vorgegeben und unterfüttert es mit entsprechenden Gesetzesentwürfen. Ich erwarte, dass dies auch auf der UN-Klimakonferenz in Glasgow eindeutig sichtbar wird.

 

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Rieg!

 

Dieses Interview ist Teil der Beitragsserie Internationale Klimapolitik

 

Mehr zu diesen Themen