06.01.2021Interview

Corona-Hilfen: „Änderungen transparenter kommunizieren!“

Die Corona-Hilfen waren nicht nur im vergangenen Jahr ein großes Thema für Unternehmen, sie werden uns auch in diesem Jahr weiter beschäftigen. Im Interview spricht Steuerberater und Wirtschaftsprüfer Jörg Kretschmar über Antragsstellungen, Verzögerungen und Auszahlungen. Er kritisiert die Informationspolitik von Bund und Ländern und fordert eine transparentere Kommunikation. Das Interview wurde am 6. Januar 2021 geführt.

Update 02.02.2021: Die Überbrückungshilfe II fiel bislang unter den Beihilferahmen der Bundesregelung Fixkosten 2020, bei dem ein Verlustnachweis erforderlich ist. Die zwischenzeitliche Erhöhung der beihilferechtlichen Obergrenze für Kleinbeihilfen auf 1,8 Millionen Euro pro Unternehmen (zuvor 800.000 Euro) durch die Europäische Kommission am 28. Januar 2021 schafft nun den nötigen beihilferechtlichen Spielraum, um für den Großteil der Unternehmen auch bei der Überbrückungshilfe II - ein Wahlrecht zu eröffnen, auf welchen Beihilferahmen die Überbrückungshilfe II gestützt wird. Die Unternehmen können im Rahmen der Schlussabrechnung wählen, ob sie die Überbrückungshilfe II auf Grundlage der „Bundesregelung Kleinbeihilfen“ oder der „Bundesregelung Fixkostenhilfe 2020“ erhalten möchten. Dieses Wahlrecht wird einfach und unkompliziert als Teil der ohnehin vorgesehenen Schlussabrechnung umgesetzt. Es ergeben sich keine neuen Anforderungen an die Antragstellung. (Quelle: BMWi)


DMB: Herr Kretschmar, Sie sind als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer in Mönchengladbach und in Jüchen bei Grevenbroich tätig. Was sind für Sie in Bezug auf die Themen Soforthilfe, Überbrückungshilfen und November- und Dezemberhilfen die großen Berührungspunkte und vielleicht auch Fallstricke in diesem Jahr gewesen?

Kretschmar: In Bezug auf die Soforthilfen zu Beginn dieses Jahres hat sich für uns relativ schnell herausgestellt, dass zwischen 80 und 90 Prozent unserer Mandanten nicht antragsberechtigt sind. Da die Philosophie unserer Kanzlei ist, nicht zu schnell auf fahrende Züge aufzuspringen, sondern Neuerungen und Gesetzesänderungen erst einmal gründlich zu hinterfragen, konnten wir diesen Umstand mit unseren Mandanten im Vorfeld erörtern. So konnten unberechtigte Erwartungen der von uns betreuten Kleinunternehmen auf Soforthilfeleistungen von vorneherein weitestgehend vermieden werden.

Anfangs war zum Beispiel nicht allen bekannt, dass die Soforthilfen dem Grunde nach nicht zur Abdeckung von Kosten der privaten Lebensführung gedacht waren. Diese Information wurde nicht klar kommuniziert und insofern meinen wir zu erkennen, dass die erste Soforthilfe zwar ein gut gemeintes Angebot war, welches aber eigentlich eher in der Wirkung verpufft ist. Schließlich zeichnet sich die Kostenstruktur von Soloselbstständigen im Regelfall gerade dadurch aus, dass diese keine großen liquiditätswirksamen betrieblichen Ausgaben haben, die durch die Soforthilfe gefördert werden sollten.


Vor kurzem wurden elementare Antragsbedingungen der Überbrückungshilfe verändert, ohne die entsprechenden Änderungen kommunikativ zu vermitteln. Können Sie uns einen kleinen Einblick geben? Was genau ist angepasst worden? Was hat sich verändert bei den Überbrückungshilfen?

Es wurde in den FAQ insbesondere der sogenannte Punkt 4.16 geändert. Hier wurde die Regelung insofern angepasst, als das jetzt nur noch sogenannte. „Ungedeckte Fixkosten“ der Förderung unterliegen. Diese sind nach der neuen Regelung im Grunde genommen die Verluste, die die Unternehmen für den Zeitraum vom 01.09.2020 bis 31.12.2020 in ihrer Gewinn- und Verlustrechnung ausweisen. Hier erfolgen zwar noch einige rechnerische Anpassungen. Aber eine Anrechnung von positiven Deckungsbeiträgen des Unternehmens im Förderzeitraum ist in diesem Zusammenhang neu eingeführt worden.

Zu kritisieren ist an dieser Stelle zum einen, dass sich diese Änderung unter der Überschrift „Was ist beihilferechtlich zu beachten?“ und nicht in der Rubrik „Welche Kosten sind förderfähig?“ findet, wo man sie aber eigentlich erwarten würde. Ob der Verlust dabei auf monatlicher Basis gerechnet wird oder ob ein Totalverlust vorliegen muss, ist derzeit nicht geklärt (Stand: 06.01.2021 Anm. d. Red.). Diese Unsicherheiten sind besonders im Zusammenhang mit dem technischen Procedere der Antragsstellung problematisch. Das Programm berechnet den voraussichtlichen Förderbetrag automatisch auf der Grundlage der explizit dort abgefragten Umsatz- und Kostenwerte. Der Umstand einer jetzt notwendig werdenden Anrechnung von positiven Deckungsbeiträgen des Unternehmens im Förderzeitraum auf die zu erwartende Förderung wird vom Programm zumindest derzeit nicht berücksichtigt. Wenn ein solches Programm zur Verfügung gestellt wird, müssen auch alle relevanten Kriterien abgefragt werden.


Wie zufrieden sind Sie, als Steuer- und Wirtschaftsberater, in diesem Zusammenhang mit der Informationspolitik von Bund und Ländern?

Positiv ist, dass man nach anfänglichen Schwierigkeiten relativ schnell ein funktionsfähiges Online-Portal auf die Beine gestellt hat, welches zügig und einfach zu einer Beantragung führt. Dennoch kann es meines Erachtens nicht sein, dass ich mich als beantragender Steuerberater bei diesem Portal mit meinen Kontaktinformationen aufwendig registrieren muss, es dann aber versäumt wird, mir und meinen Kollegen solche einschneidenden Änderungen direkt und transparent mitzuteilen. Eine einfache Mail mit detaillierten Informationen bezüglich der kommenden Änderungen wäre ausreichend gewesen. Diese Kritik muss sich die Politik an dieser Stelle gefallen lassen. Diese Änderungen in den sogenannte FAQ unterzubringen, ist an dieser Stelle auch nicht zielführend. Schließlich beachtet man die FAQ insbesondere im Rahmen der ersten Antragstellungen. Bei Folgeanträgen, ergeben sich in der Regel schließlich keine über die FAQ zu klärenden Fragestellungen mehr. Dementsprechend besteht für den Steuerberater auch keine Veranlassung, bei jedem neuen Antrag die FAQ erneut vollständig zu lesen.


Wie beurteilen Sie den Umstand, dass es bei der Auszahlung der Hilfen doch zu erheblichen Verzögerungen gekommen ist? Halten Sie die Verzögerungen für vertretbar?

Meine persönliche Erfahrung bei meinen eigenen Beantragungen ist eher positiv, wenn auch in keiner Weise repräsentativ für den Auszahlungsprozess in Deutschland. Ich habe die Bescheide in der Regel innerhalb von zwei Wochen erhalten und die Auszahlungen folgten kurz darauf. In Anbetracht des Aufwands einer solchen Antragsprüfung durch hier erforderliche Datenabgleiche mit Finanzbehörden und anderen Stellen, bin ich auf der Grundlage meiner gemachten Erfahrungen eigentlich sogar positiv überrascht. Verbesserungspotenzial sehe ich auch hier eher im Bereich der Informationspolitik.  Der Umstand, dass sich die im Frühjahr des vergangenen Jahres großzügig und schnell ausgezahlten Soforthilfen für den überwiegenden Teil der kleinen Unternehmen als zurückzuzahlen herausgestellt haben, ist meines Erachtens allein dem Umstand geschuldet, dass die tatsächlichen Förderungsvoraussetzungen nicht transparent und vor allem allgemeinverständlich kommuniziert wurden. Die Anfang Dezember 2020 erfolgte Änderung der Regelung 4.16 der FAQ zur Überbrückungshilfe ist ein weiteres Beispiel. Aus Gesprächen mit meinen Berufskollegen war erkennbar, dass viele Steuerberater und Unternehmer diese Änderung möglicherweise bis heute nicht zur Kenntnis nehmen konnten.


Vorausgesetzt, es gäbe neue Zuschüsse im neuen Jahr, die ausgezahlt werden. Wie ließe sich die Antragsstellung und die Auszahlung entbürokratisieren und beschleunigen?

Der erste Registrierungsprozess für uns Steuerberater war relativ zeitaufwendig in Bezug auf die Wartezeiten, nicht die Bearbeitungszeit, da wir auch von unserer Berufskammer als zugelassener Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer bestätigt werden mussten. Eigentlich bin ich positiv überrascht von der Schlankheit des Systems, wobei die Online-Antragsstellung sicherlich schon ein Novum in Deutschland ist. Ich empfand in den von mir betreuten Fällen die Bearbeitungszeiten bis zur Bescheiderteilung und der Auszahlung der Fördergelder als angemessen. In diesem Zusammenhang muss auch noch einmal betont werden, dass es über Schätzungen möglich war, auch schon Monate zu beantragen, die noch in der Zukunft lagen.  Verbesserungsmöglichkeiten im Prozess sehe ich jedoch zum Beispiel darin, dass einmal erfasste Unternehmensdaten, wie zum Beispiel Adressen, Bankverbindungen, Steuernummern etc. von der Antragsplattform automatisch in Folgeanträge übernommen werden sollten, ohne diese jeweils erneut händisch erfassen zu müssen.


Sie haben als Steuerberater dieses Jahr absolut an der Belastungsgrenze gearbeitet. Haben Sie überhaupt noch Kapazitäten, um neue Mandanten, die eine Soforthilfe beantragen wollen, aufzunehmen? Gibt es generell in der Branche noch Kapazitäten?

Als Steuerberater fällt uns die Beantragung von Corona-Hilfen naturgemäß sehr viel leichter, wenn wir dieses für bereits von uns betreute Unternehmen tun. Hier haben wir aus unserer täglichen Arbeit heraus bereits tiefe Einblicke in das jeweilige Rechnungswesen. Die Bearbeitung von Corona-Hilfen für Unternehmen, die uns allein aus diesem Grund ansprechen, sei es, weil sie ihr Rechnungswesen selber führen oder weil deren eigener Steuerberater diese Anträge nicht betreut, ist hier erheblich aufwendiger. Da wir im Beantragungsprozess als Steuerberater die Richtigkeit der Angaben im Antrag ebenfalls im eigenen Namen bestätigen müssen, ist hier ein erhöhter Prüfungsaufwand erforderlich. Vor dem Hintergrund der derzeitigen Unsicherheiten durch die kürzlich erfolgte Änderung der Förderrichtlinien wird unsere Kanzlei, wie viele andere Berufskollegen auch, jedoch zunächst einmal keine Anträge mehr stellen. Dieses ist natürlich sehr unbefriedigend, aber dem Risiko im Hinblick auf drohende Sanktionen bei Falschbeantragungen geschuldet. Insofern ist hier die Politik dringend gefordert, die derzeit bestehenden Unsicherheiten möglichst schnell auszuräumen und die Antragsplattform förderrichtlinienkonform umprogrammieren zu lassen.

 

Herr Kretschmar, vielen Dank für das Gespräch!

 

Mehr Informationen zu den Corona-Hilfen erhalten Sie auf der DMB-Sonderseite.

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