28.07.2010Fachbeitrag

Rechtskommentar:
Appetitanreger Umsatzsteuer. Die Feinheiten des deutschen Umsatzsteuerrechts.

Rechtskommentar:

In Schnellzügen wird der Aufenthalt im Speisewagen immer wieder per Durchsage empfohlen. Nahezu unbemerkt von steuerlichen Laien und auch von Steuerfachleuten, die sich nicht tagtäglich mit Feinheiten des Umsatzsteuerrechts beschäftigen, ergab sich seit Anfang 2010 für Unternehmer als Speisewagenkunden (oder auch als Genießer einer Restaurationsleistung im Flugzeug) ein schon fast schildbürgerliches Problem, das der Steuergesetzgeber bei seinen zahlreichen Gesetzes- und Verordnungsänderungen im Umsatzsteuerrecht ganz offenbar völlig übersehen hatte.

Nach der Rechtslage bis 31.12.2009 befand sich der sogenannte Leistungsort bei der Abgabe von Speisen und Getränken, die an Bord eines Schiffs, in einem Luftfahrzeug oder in einer Eisenbahn während einer Beförderung an Reisende erbracht werden, nach § 3a Abs. 1 UStG am Sitz des leistenden Unternehmers, also dem Sitz der Fluggesellschaft, der Reederei oder der Zentrale des Bahnunternehmens. Das Beförderungsmittel (Schiff, Flugzeug, Zug) selbst stellte keine Betriebsstätte des leistenden Unternehmers dar. Grund dafür sollte sein: dort werden nicht die wesentlichen Entscheidungen (z.B. Wareneinkauf, Personalplanung) getroffen und außer den Kopien der Kassenbelege keine Aufzeichnungen geführt. Ob das so überzeugend war, mag dahingestellt bleiben; es war jedenfalls ausgesprochen praktisch. Auch der reisende Unternehmer brauchte sich beim frischen Bier und Weißwürsten wenigstens keinen (umsatzsteuerlich belasteten) Kopf zu zerbrechen.

Seit dem 01.01.2010 wurden zur Vereinfachung und Vereinheitlichung im EU-Raum zahlreiche Bestimmungen des Umsatzsteuerrechts geändert, gerade auch solche, die den Leistungsort betreffen. Ein neuer § 3e UStG bestimmt nunmehr, dass bei einer derartigen Restaurationsleistung innerhalb des Gemeinschaftsgebietes der Abgangsort der Beförderung als Leistungsort anzusehen sei. Abgangsort in diesem Sinne ist der erste Ort innerhalb des Gemeinschaftsgebiets, an dem Reisende in das Beförderungsmittel einsteigen können, § 3e Abs. 2 Satz 2 UStG. Werden Restaurationsleistungen von einem im Ausland ansässigen Unternehmer erbracht und befindet sich der Abgangsort der Beförderung innerhalb des Gemeinschaftsgebietes in Deutschland, verlagert sich die Steuerschuldnerschaft nach § 13b UStG auf den Leistungsempfänger, wenn dieser Unternehmer ist. Folglich müsste jeder einzelne reisende Unternehmer, der Restaurationsleistungen bezieht, diese bei dem für ihn zuständigen Finanzamt erklären, und zwar unabhängig davon, ob er die Leistungen für sein Unternehmen oder für private Zwecke bezogen hat, vgl. hierzu § 13b Abs. 2 Satz 3 i. V. m. Satz 1 UStG.

Praxisbeispiel:

Der französische Unternehmer U reist mit dem Zug eines schweizerischen Bahn- und Speisewagenunternehmens vom schweizerischen Zürich über Freiburg, Mannheim und Saarbrücken ins französische Metz und dann weiter nach Paris. Auf der gesamten Wegstrecke werden Restaurationsleistungen erbracht. Der Speisewagenkellner kommt mehrfach vorbei und macht Zwischenkasse.


Die umsatzsteuerliche Überraschung:

Die Restaurationsleistungen, die auf der Wegstrecke von Freiburg bis Saarbrücken erbracht werden, sind ab 01.01.2010 in Deutschland umsatzsteuerbar, weil nach dem neuen § 3e Abs. 1 UStG der Abgangsort innerhalb des Gemeinschaftsgebiets in Freiburg liegt, dem ersten in Deutschland und damit im Gemeinschaftsgebiet möglichen Einstiegsbahnhof.

Werden die Restaurationsleistungen an eine Privatperson als Nichtunternehmer erbracht, schuldet der schweizerische Betreiber des Speisewagens die Umsatzsteuer, und zwar in Deutschland! Das ist sein Problem.

Handelt es sich bei dem Leistungsempfänger hingegen um einen Unternehmer, verlagert sich die Steuerschuldnerschaft nach § 13 b UStG mangels einer inländischen Betriebsstätte des schweizerischen Speisewagenbetreibers auf den Leistungsempfänger, also den Unternehmer. Handelt es sich bei diesem als Steuerschuldner auch noch um einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Unternehmer, müsste dieser sich ggf. in Deutschland für diese Zwecke umsatzsteuerlich registrieren lassen und die deutsche Umsatzsteuer abführen. Ein steuerbürokratischer Alptraum!

Die Finanzverwaltung hat darüber monatelang nachgedacht und dann erkannt: Das Ergebnis aus der Neuregelung des § 3e UStG ist nicht handhabbar. Zwischenzeitlich liegt auch ein Referentenentwurf für das Jahressteuergesetz 2010 vor, in dem diese Leistungen aus dem Anwendungsbereich des § 13b UStG herausgenommen werden sollen.

Was bedeutet das für die Praxis:

Nach einem von der Oberfinanzdirektion Frankfurt AZ S 7279 A-26-St 113 am 07.05.2010 bekannt gegebenen Beschluss der Vertreter der obersten Finanzbehörden der Länder und des Bundes ist es bis zum Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung nicht zu beanstanden, wenn die leistenden, nicht im Inland ansässigen Unternehmer derartige Leistungen bereits in 2010 der Umsatzbesteuerung unterwerfen. Weist der leistende Unternehmer in derartigen Fällen Umsatzsteuer in einer Rechnung aus, wird es ebenfalls nicht beanstandet, wenn der Leistungsempfänger unter den Voraussetzungen des § 15 UStG insoweit einen Vorsteuerabzug in Anspruch nimmt. Von einer Anwendung des § 13b UStG kann insoweit wegen sachlicher Unbilligkeit abgesehen werden.

Die Nichtbeanstandungsregelung gilt für sämtliche im Inland steuerpflichtigen Restaurationsleistungen im Schienenbahnverkehr sowie an Bord von Schiffen oder Flugzeugen, wenn die Leistungen von einem nicht im Inland ansässigen Unternehmer an andere Unternehmer oder juristische Personen erbracht werden.

Fazit:

Auch in schweren Krisenzeiten leistet der Steuergesetzgeber seinen Beitrag zur vermeintlichen "Steuervereinfachung". Allerdings um den Preis, dass die Finanzverwaltung in die steuerliche Bresche springen muss, um für den Normalbürger wenigstens einigermaßen akzeptable Zustände zu schaffen. Ein weiteres Beispiel für die kaum noch nachzuvollziehende „Systematik“ des geltenden Umsatzsteuerrechts. Die Frage ist erlaubt, wem all dieser Aufwand am Ende nützt?

Zu den Autoren:

Dr. Carlo H. Borggreve war zunächst als Sachgebietsleiter in der Finanzverwaltung und anschließend als Referent im Bundeswirtschaftsministerium tätig. Ende 1983 wechselte er als Syndikusanwalt zu einem namhaften Montankonzern. Er verantwortete dort als Zentralbereichsleiter die Steuer- und Bilanzfragen bis er 2004 die Leitung des Bereichs Steuern eines renommierten Versicherungskonzerns im Rheinland übernahm. Seit Mitte 2007 ist er Partner einer Wirtschaftskanzlei in Dortmund mit Beratungsschwerpunkt im Gesellschafts-und Unternehmenssteuerrecht sowie Steuerverfahrensrecht und Beirat der ADVOCATAX Steuerberatungsgesellschaft mbH, Düsseldorf. Er ist Dozent für internationales Steuerrecht an der RFH Köln.

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